Vater Staat, zu Hülf!
Warum die zugunsten einer Frauenquote in Führungsetagen vorgebrachten Argumente keiner näheren Betrachtung standhalten – und ein gesetzlicher Vaterschaftsurlaub schlicht unnötig ist.
Die Schweiz zählt sich zu den fortschrittlichsten und freiheitlichsten Staaten auf dieser Welt. Doch der Ruf nach kollektiven, «solidarischen» Problemlösungen wird auch hierzulande immer lauter. Der Glaube an den Staat als «Haltgeber» in einer immer komplexer werdenden Welt ist ungebrochen. Meistens sind es vermeintlich hehre Gründe, die ein Einschreiten des Staates als geboten erscheinen lassen: komplexe Lebenswirklichkeiten, tatsächliche oder bloss behauptete Diskriminierungen, angebliches Marktversagen. Dass solcherlei staatliche Regulierungsaktivität aus liberaler Sicht oft nicht gerechtfertigt und schlecht begründet ist, möchten wir am Beispiel zweier Themen aufzeigen, die derzeit auf der politischen Regulierungsagenda stehen: die Frauenquote und der Vaterschaftsurlaub.
Frauenquote
Die gegenwärtige Aktienrechtsrevision wird in die Geschichte eingehen: Am 19. Juni dieses Jahres hat der Ständerat – im Einklang mit dem Nationalrat und dem Vorschlag des Bundesrates folgend – sich für Geschlechterrichtwerte ausgesprochen. Die vorgeschlagene Lösung wird die Schlussabstimmung, die für das Jahr 2020 erwartet wird, wohl «überleben». Demnach müssen Frauen künftig im Verwaltungsrat grosser börsenkotierter Gesellschaften zu mindestens 30 Prozent, in der Geschäftsleitung zu mindestens 20 Prozent vertreten sein. Erfüllt ein Unternehmen die Richtwerte nicht, muss es sich erklären. Im Vergütungsbericht müssen die Gründe sowie die Massnahmen zur Verbesserung dargelegt werden, nach dem sogenannten Comply-or-Explain-Ansatz. Die neue Regulierung wurde seitens der Befürworter – auch und gerade von den «liberalen» Kräften – mit dem Gleichstellungsartikel und mit der angeblich besseren Performance eines Unternehmens, das Frauen in seinen Führungsetagen hat, begründet. Zudem wurde oft betont, dass es sich lediglich um eine Transparenzvorschrift handle. Wir wollen diesen drei Argumenten genauer auf den Grund gehen.
Der Gleichstellungsartikel: Der Bundesrat begründet die Einführung solcher Geschlechterrichtwerte mit dem Hinweis auf Artikel 8 Absatz 3 der Bundesverfassung. Nach dieser Vorschrift sind Mann und Frau gleichberechtigt. Das Gesetz soll für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung sorgen, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit.
Die vom Bundesrat in seiner Botschaft zum Aktienrecht ins Feld geführten Studien weisen auf eine Untervertretung von Frauen in den Führungsetagen hiesiger börsenkotierter Unternehmen hin. Laut Bundesrat belege dies, dass die Gleichstellung nicht gewährleistet sei, was gestützt auf den oben genannten Verfassungsauftrag einen Eingriff des Gesetzgebers rechtfertige. Als langfristiges Ziel nennt der Bundesrat denn auch das Erreichen der Parität in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen.
«Es ist offensichtlich, dass Ergebnisgleichheit weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Chancengleichheit sein kann.»
Richtig ist, dass empirisch feststeht, dass die Geschlechter in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung grosser kotierter Unternehmen hierzulande nicht gleich vertreten sind. Damit allein ist aber der Nachweis der fehlenden Gleichstellung bzw. einer Diskriminierung nicht erbracht. Der Bundesrat (und die übrigen Apologeten der Geschlechterrichtwerte) weichen dieser Lücke in der Beweisführung aus, wenn sie behaupten, Artikel 8 der Bundesverfassung postuliere eine Ergebnisgleichheit.
Der Auftrag dieser Verfassungsnorm geht aber vielmehr dahin, Chancengleichheit zu schaffen: Bürgerinnen und Bürgern soll es möglich sein, am gesellschaftlichen Leben, insbesondere in Familie, Ausbildung und Arbeit, gleichermassen teilzuhaben. Es ist offensichtlich, dass Ergebnisgleichheit weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Chancengleichheit sein kann. Ganz im Gegenteil kann forcierte Ergebnisgleichheit – z.B. in Form erzwungener Frauenquoten – die Chancengleichheit zwischen Mann und Frau sogar empfindlich einschränken, weil unter diesen Voraussetzungen eine Frau einem gleich qualifizierten Mann – unter Umständen sogar einem besser qualifizierten – immer vorgezogen werden müsste.
Für eine Gleichstellung im Sinne einer gleichen Vertretung von Mann und Frau in Führungsgremien besteht somit keinerlei Verfassungsgrundlage. Reale Chancengleichheit, geschaffen durch die intensiven Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte, ist hier und heute weitestgehend erreicht: Unsere soziale Marktwirtschaft erlaubt jedem Mann und jeder Frau mit den entsprechenden Fähigkeiten, der geforderten Leistungsbereitschaft – und dem nötigen Quentchen Glück –, seinen oder ihren Berufswunsch zu verwirklichen.
Frauenanteil und Unternehmensperformance: Es gibt einige wissenschaftliche Studien, deren Autoren zu belegen glauben, dass Unternehmen mit angemessener Frauenvertretung in den Führungsgremien im Vergleich zu anderen Unternehmen eine bessere Performance aufweisen. Dass andere Studien diesen Effekt nicht replizieren können – oder gar einen gegenteiligen nachweisen –, ist nicht das entscheidende Gegenargument. Entscheidend ist vielmehr: Sollte ein höherer Frauenanteil tatsächlich kausal zu einer besseren Unternehmensperformance führen, würde dieser ziemlich schnell steigen – auch und gerade in einer auf den Shareholder Value abstellenden Wirtschaft: Ein stark männlich dominiertes Unternehmen käme vor seinem Aktionariat ganz automatisch unter Rechtfertigungszwang. Und aus liberaler Optik ist nicht zuletzt ganz grundsätzlich folgendes anzumerken: Selbst wenn eine Frauenquote die Performance eines Unternehmens ansteigen lassen sollte, so gilt in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung noch immer das Recht eines jeden einzelnen Unternehmens bzw. seiner Eigentümer (also der Aktionäre), Personalentscheidungen eigenständig, unbeeinflusst von der Politik, zu fällen – auch wenn sie sich letztlich als die falschen erweisen sollten. Dies ist die Grundvoraussetzung einer liberalen Ordnung: Wer das Risikokapital verwaltet und das damit verbundene wirtschaftliche Risiko trägt, soll allein entscheiden können, wie er es einsetzt. Im Lichte dieser Überlegungen ist jedes Argument, dass Frauen (oder genauso: Männer) Unternehmen erfolgreicher machen, in bezug auf politische Massnahmen ohne Bedeutung, ganz gleich, ob es zutreffend ist oder nicht.
«Blosse» Transparenzvorschrift: Es gehört mittlerweile zur vorherrschenden rechtspolitischen Auffassung, dass Transparenzvorschriften ordnungspolitisch vollkommen seien, da sie nur Offenlegung verlangten und Informationsasymmetrien behöben und dadurch ein überlegtes Handeln ermöglichten. Dass das falsch ist, sieht man am Beispiel der Geschlechterrichtwerte deutlich: Die Forderung nach Transparenz beinhaltet die Forderung nach einem bestimmten aktiven Verhalten. Wenn Verbesserungsmassnahmen transparent gemacht werden müssen, müssen Verbesserungsmassnahmen getroffen werden. Zudem wird mit der Transparenz der Reputationsmechanismus – peer pressure, political correctness und ähnliches – aktiviert. Transparenz mag zwar ein freundlicheres Antlitz haben als staatlicher Zwang in seiner ganzen offenkundigen Rohheit. In Tat und Wahrheit ist die Berichterstattungspflicht jedoch nichts anderes als staatlicher Zwang, getarnt im euphemistischen Gewande der Transparenz.
Zur «Diversität»: Menschen treffen oft dann die besten Entscheidungen, wenn in ihrem Kreis möglichst viele unterschiedliche Fähigkeiten und Eigenschaften vertreten sind. Diversität ist in erster Linie nicht eine Wohltat gegenüber Minoritäten, sondern ein Gebot guter Corporate Governance: Die Vielfalt stört den Herdentrieb, den «Mainstream», sie bricht Passivität und Bequemlichkeit auf. Kurzum: Es gibt gute Gründe, die für ein «divers» zusammengesetztes Führungsgremium eines Unternehmens sprechen. Damit ist aber auch gesagt, dass die Fixierung auf die Geschlechtervertretung einseitig ist, indem eine einzige Eigenschaft hervorgehoben wird. Diversität ist mehr als nur Geschlecht. Diversität ist ebenso sozialer Hintergrund, Ausbildung, berufliche Erfahrung, Religion, Alter, Persönlichkeitsstruktur. Die Privilegierung des Kriteriums «Geschlecht» ist verfehlt. Hier lassen sich die Fürsprecher von Geschlechterrichtwerten in die Karten blicken: Es geht ihnen gar nicht um gute Corporate Governance, sondern um die Verwirklichung eines ideologischen Programms.
Vaterschaftsurlaub
Nach geltendem Recht besteht in der Schweiz kein Anspruch auf Vaterschaftsurlaub. Dieses Relikt aus vermeintlich patriarchalen Urzeiten ist einer Garde progressiver Kräfte, von den Sozialisten bis zu einigen «Liberalen», ein Dorn im Auge; die Forderung nach einem gesetzlichen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub ist deshalb zurzeit en vogue. 2017 ist eine Volksinitiative, die einen vierwöchigen Urlaubsanspruch normieren möchte, zustande gekommen. Obwohl der Bundesrat einem indirekten Gegenvorschlag ablehnend gegenüberstand, haben sich Stände- und Nationalrat in der Sommer- bzw. Herbstsession 2019 für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ausgesprochen. Der Bundesrat rechnet damit, dass ein vierwöchiger Urlaubsanspruch Kosten von ungefähr 420 Millionen Franken zur Folge hätte; der zweiwöchige Anspruch wäre entsprechend halb so teuer. Finanziert werden soll dies aus der Erwerbsersatzordnung (EO), aus der auch der Mutterschaftsurlaub finanziert wird. Der EO-Beitragssatz müsste im Fall des Gegenvorschlags um knapp 0,06 Prozentpunkte auf 0,51 Prozent angehoben werden, wenn der Initiative Erfolg beschieden wäre, läge der Anstieg bei 0,11 Prozentpunkten.
«Ein Vaterschaftsurlaub zulasten der Allgemeinheit führt zu einer Sozialisierung der Kosten privater Lebensentwürfe und Lebensentscheidungen.»
Ein tatsächliches Bedürfnis für einen gesetzlichen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub besteht nach jedem rationalen Dafürhalten nicht: Schon nach geltendem Arbeitsrecht hat jeder Arbeitnehmer zwischen 20 und 50 Jahren Anspruch auf vier Wochen Urlaub pro Jahr, faktisch oft sogar auf fünf Wochen. Was hindert also gewordene Väter daran, von ihrem Ferienanspruch unmittelbar nach der Geburt ihres Kindes Gebrauch zu machen? Dadurch bliebe die Allgemeinheit von den finanziellen Lasten selbst getroffener Entscheidungen verschont. Immerhin liesse sich – im Sinne einer vermittelnden Lösung – diskutieren, ob das Gesetz dahingehend zu ändern sei, dass der werdende Vater (und nicht der Arbeitgeber) das Recht habe, den Zeitpunkt seiner Ferien zu bestimmen.
Ein Vaterschaftsurlaub zulasten der Allgemeinheit führt zu einer Sozialisierung der Kosten privater Lebensentwürfe und Lebensentscheidungen. Die Diskussion um einen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub ist nur ein Beispiel für eine gleichsam epochale Entwicklung, einen «Megatrend», der sich in allen Industrienationen des Planeten beobachten lässt: Jeder will zwar seinen ganz persönlichen Lebensentwurf leben, frei von jeder äusseren Einwirkung, aber die finanziellen Lasten dieses Lebensentwurfs nicht selbst tragen müssen. Die individuelle Freiheit zur Entscheidung und die individuelle Verantwortlichkeit für diese Entscheidung fallen auseinander. Dieser Megatrend hat auch einen Namen: Anspruchsmentalität.
Fazit
Die Forderung nach einem gesetzlichen Vaterschaftsurlaub reiht sich ein in einen von Jahr zu Jahr immer länger werdenden Katalog von Forderungen des einzelnen gegen den Staat, gegen die Gesellschaft, und entspringt derselben ideologischen Haltung, der auch die Forderung nach einer Frauenquote im Aktienrecht entstammt. Wie bei allen diesen Forderungen soll die Gesamtheit für den einzelnen bezahlen. Die beiden Beispiele – Frauenquote und Vaterschaftsurlaub – mögen für sich allein betrachtet nur kleine, unbedeutende Mosaiksteinchen sein. Der Megatrend aber deutet zweifellos in eine Richtung: mehr Staat, weniger Freiheit. Der Staat aber kann und darf niemals zum vermeintlichen Heilsbringer, zum falschen Propheten avancieren; er ist immer nur das allerletzte Auffangnetz, die ultima ratio, um das Individuum vor der Unbill des Lebens zu bewahren. Das Leben bietet Chancen und Risiken gleichermassen. Private Lebensentwürfe und private Lebensentscheidungen dürfen vom Kollektiv weder behindert noch dürfen deren finanzielle Lasten ihm auferlegt werden.