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Unterwegs zur Mediokratie

Vom Staatsbürger zum Medienkonsumenten Einig war man sich in der Forderung nach einer Reregulierung des Verhältnisses
zwischen Politik, Medien und Ökonomie. Diese soll mehr Transparenz, Anreize zur Selbstreflexion und Selbstregulierung sowie zur Qualitätssteigerung zum Ziel haben.

Der Begriff «Mediokratie» bezeichnet im engeren Sinne Herrschaft der Medien. Adäquater gefasst, beschreibt der Begriff den Umstand, dass die Massenmedien neue zentrale Akteure im demokratischen Entscheidungsfindungsprozess sind. Dieser verändert sich dadurch grundlegend. Die Ursachen wie auch die Folgen der «Mediokratie» werden nachfolgend in Bezug auf die Veränderungen der Systemstruktur, der Sozialstruktur und der national- und rechtsstaatlichen Ordnungsstruktur unserer Gesellschaft diskutiert.

Provokative Thesen

Erstens: Die Systemstruktur verändert sich durch die Ablösung der Medien von traditionellen politischen wie religiösen Trägerorganisationen und durch ihre Orientierung an den Marktlogiken des ökonomischen Systems seit den 1960er Jahren. In diesem Prozess verschiebt sich für die Medien der Publikumsbegriff vom Staatsbürger zum Medienkonsumenten. Die am Medienkonsumenten orientierte Berichterstattung ist zunehmend durch eine Unterhaltungsorientierung, eine Stilisierung von Konflikten und Skandalen sowie durch eine verstärkte Personalisierung gekennzeichnet.

Um erfolgreich zu sein, passt sich die Politik der Ereignisproduktion des modernen Mediensystems an. Dadurch wird die Verflechtung von Politik und Medien aus der Ära der Parteipresse und des Integrationsrundfunks durch die wechselseitige Instrumentalisierung politischer und medialer Akteure ersetzt. Mangels direkter Medienmacht und unter dem Druck des Wettbewerbs um mediale Resonanz müssen sich die Parteien und Verbände permanent um Aufmerksamkeit bemühen. Die neuen Kommunikationsanforderungen führen zu einer Zentralisierung der politischen Organisationen in Richtung Präsidialparteien, zu einer Professionalisierung der Aussenkommunikation von Regierung, Behörden, Parteien und Verbänden, zu einem intensivierten Beizug externer Berater und zur Einrichtung einer systematischen Umweltbeobachtung. Durch diese Professionalisierung gerät die traditionell gemeinschaftsorientierte Binnenkommunikation in Konflikt mit der hoch personalisierten Aussenkommunikation, die sich an den Imperativen der Medien orientiert. Als wichtigste Ressource im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit und für die Sicherung der Binnenintegration erweist sich Charisma.

Durch diese Ausrichtung der Politikvermittlung an den Logiken eines kommerzialisierten Mediensystems wird die Basis korporativer Entscheidungsfindungsprozesse erodiert, denn diese sind, z.B für Verhandlungen, auf publizitätsfreie Räume angewiesen.

Unter Medialisierungsdruck geraten jedoch nicht nur politische Organisationen, sondern zunehmend auch Unternehmen. Die medienvermittelte Kommunikation über die Wirtschaft hat sprunghaft zugenommen, während die herkömmliche, wirtschaftsfreundliche Verlautbarungsberichterstattung verschwunden ist. Die Wirtschaftsberichterstattung hat sich der Politikberichterstattung angeglichen. Unternehmen werden in den Medien immer stärker als Akteure wahrgenommen, die soziale Verpflichtungen einzuhalten haben. Die «Reputation» der Unternehmen wird hinterfragt, und zunehmend geraten die wirtschaftlichen wie die politischen Eliten unter medialen Legitimations- und Skandalisierungsdruck. Gesamthaft zeichnet sich in diesem Prozess eine Repolitisierung der Wirtschaft ab, die einst im sozial-marktwirtschaftlichen Gesellschaftsmodell erfolgreich entpolitisiert werden konnte.

Zweitens: Die Sozialstruktur unserer Gesellschaft ist durch die Akzentuierung sozialer Ungleichheit bei gleichzeitiger Problematisierung der demokratisch errichteten sozialen Sicherungsnetze einer tiefgreifenden Veränderung ausgesetzt. Die Verschärfung sozialer Ungleichheit manifestiert sich im Weltmassstab und im nationalen Massstab durch gewachsene Schichtungsdifferenzen. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit Ungleichheit an materiellem Kapital und Bildungskapital die Partizipationschancen, die Partizipationsfähigkeit und die Partizipationsmotivation der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich des demokratischen Entscheidungsfindungsprozesses beeinflusst.

Drittens: Schliesslich haben wir es mit einer tiefgreifenden Veränderung der national- und rechtsstaatlichen Ordnungsstruktur zu tun. Während sich die Wirtschaft globalisiert und die (Kabinetts-) Politik diesem Prozess durch den Transfer politischer Macht an supranationale Institutionen folgt, bleibt die politische Öffentlichkeit an nationalstaatlich definierte Territorien zurückgebunden. Transnationale Regulierungen und transnationale politische Institutionen entbehren daher zunehmend demokratischer Legitimität. Es gibt weder ein europäisches Mediensystem, noch nationale Mediensysteme, die sich europäisch ausrichten. Im Gegenteil: Die Berichterstattung über die Institutionen der EU ist, gemessen an ihrer politischen Bedeutung, marginal und eng auf nationale Interessengesichtspunkte ausgerichtet.

Dieses Öffentlichkeitsdefizit muss als Legitimationsdefizit beschrieben werden. Unter diesen Bedingungen ist zu erwarten, dass das Thema Europa mehr und mehr zu den emotional sensiblen Bereichen zählen wird, deren sich Bewegungsparteien und Boulevardmedien politisch annehmen. Doch auch innerhalb des Nationalstaats orientieren sich die medial erschlossenen Räume nicht mehr an den klassisch politisch definierten Territorien: Publikumsmärkte sind blind gegenüber föderalen Grenzen, und da wo der Markt zu klein ist, findet eine Entöffentlichung statt (Gemeindeebene). Damit schwindet die «klassische» Korrespondenz zwischen medial erschlossenen Räumen und territorial gebundenen politischen Geltungsräumen in der lokalen resp. regionalen wie in der supranationalen Dimension.

Kontroverse Diskussion

Am Beginn der spannenden und kontroversen Gruppendiskussion stand die Auseinandersetzung mit dem Demokratiebegriff. Er impliziert, dass sich die Bürger einer Gesellschaft als Autoren jener Gesetze und Institutionen betrachten können, denen sie sich selbst unterwerfen. In der Diskussion dieses Demokratieverständnisses wurde dessen Übertragbarkeit auf nicht-westliche Gesellschaften zur Frage gestellt und aktuell eine Verkürzung demokratischen Bürgersinns auf Situationen unmittelbarer Betroffenheit beklagt. Doch grundsätzlich bestand Konsens hinsichtlich dieses Anspruchs an Demokratie.

Marktversagen im Mediensystem

Damit rückte die Frage ins Zentrum, wie es um die politische Öffentlichkeit als den zentralen Ort demokratischer Deliberation bestellt ist. Da Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften primär über Massenmedien hergestellt wird, stand die Qualität medialer Berichterstattung im Zentrum der Diskussion. Diese ist verstärkt durch Personalisierung, Skandalisierung und Moralisierung geprägt. Die Komplexität politischer Probleme wird in einer Form medial reduziert, die dem Stimmbürger eine rationale Entscheidung verunmöglicht. Viele Medien betreiben zunehmend Kampagnenjournalismus und werden – oft im Zusammenspiel mit politischen Akteuren – zu eigentlichen Eventproduzenten, die das politische System unter Druck setzen. Zudem lässt sich eine Angleichung der Medienberichterstattung feststellen. Gemessen am Postulat der Themen- und Meinungsvielfalt kommt es klar zu einem Marktversagen im Mediensystem.

Moralisierung

Die Ursachen hierfür wurden kontrovers diskutiert. So wurde beispielsweise die Moralisierung der Berichterstattung als Ausdruck der Verfilzung zwischen Medien und Politik interpretiert. Doch gerade in einem von politischen Bindungen gelösten und unter Wettbewerbsbedingungen funktionierenden Mediensystem bestehen starke Anreize zu einer moralisierenden und skandalisierenden Berichterstattung, denn morals sell. Die Folgen der veränderten Medienberichterstattung betreffen nicht nur den politischen Entscheidfindungsprozess. Skandalisierungen haben auch für Individuen und Organisationen massive Auswirkungen, die vom Reputationsverlust bis hin zum sozialen Tod reichen.

Anreize zu mehr Qualität

Es braucht daher – darin war man sich jenseits aller semantischen Differenzen einig – eine Reregulierung des Verhältnisses zwischen Politik, Medien und Ökonomie. Gefordert wurden: mehr Transparenz von Journalisten wie von Medienunternehmen, Anreize zur Selbstreflexion und Selbstregulierung der Medien, sowie (ökonomische) Anreize zur Steigerung publizistischer Qualität. Vorgeschlagen wurde auch die Einrichtung eines Skandalisierungsboards, das mit entsprechender Besetzung und Reputation schneller als die Standesorganisationen oder Gerichte auf Skandalisierungen reagieren kann.

Fehlende europäische Öffentlichkeit

Die Veränderungen der Sozialstruktur wurden in der Diskussion nur gestreift. Mit Blick auf die Medienrezipienten wurde die Stärkung reflexiven Wissens gefordert, das einen kritischen Umgang mit Medien ermöglicht. Ein Mittel hierzu ist die Förderung der Medienpädagogik. Demokratie wurde bisher nur im Rahmen des Nationalstaates verwirklicht. Transnationale Organisationen leiden an einem Demokratiedefizit. Eine europäische Öffentlichkeit, die als Korrektiv wirken könnte, fehlt bisher, da sich die Berichterstattung über Brüssel anhand nationaler Interessen und Perspektiven organisiert. Wie aber lässt sich eine solche transnationale Öffentlichkeit herstellen? Am Beispiel der Bundesstaatsgründung der Schweiz kann die Bedeutung des Bürgerkriegs wie der äusseren Bedrohung abgelesen werden. Dies verweist in Bezug auf eine europäische Öffentlichkeit auf die Bedeutung sozialer Bewegungen (z.B. Globalisierungsgegner) und die aktuelle Rolle der USA als «gemeinsamen Feindes». Gerade diese Beispiele verweisen aber auch auf die Bedeutung einer reflexiven, sich der Qualität ihrer öffentlich-politischen Kommunikation bewussten Moderne.

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