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«Unternehmergeist ist nicht angeboren»

«Unternehmergeist ist nicht angeboren»

Alan Frei scheiterte mit 51 Start-ups, beim 52. Versuch klappte es – mit Sextoys. Eine gute Idee sei nur ein kleiner Teil des Erfolgs, sagt er.

Das vollständige Interview ist auch als Video verfügbar.

Alan, du hast die Firma Amorana 2014 gemeinsam mit Lukas Speiser gegründet und sie 2022 verkauft. Die Anfänge, habe ich auf der Firmen-Webseite gelesen, seien «unbeholfen» gewesen.

Alan Frei: «Unbeholfen» ist sogar noch etwas zu positiv dargestellt. Lukas, der damals bei einer Bank arbeitete, und ich hatten im wahrsten Sinne des Wortes von Tuten und Blasen keine Ahnung. Wir hatten keine Webseite, kein Lager, nichts.

 

Wie ging es denn los?

Wir bastelten eine Landing-Page in einem Tag und schickten diese anonym an 4000 E-Mail-Adressen von Bekannten. Zu unserer Überraschung kauften dann drei Leute etwas. Wir besorgten das Material im «MagicX» am Zürcher Limmatquai: Massage-Öle, deren Preis um 50 Prozent reduziert war, weil ihr Ablaufdatum überschritten war. Das brachte uns dann gleich die ersten Reklamationen ein.

 

Viele sehen ja in diesem Thema – Vibratoren, Dessous, Gleitgel – etwas Anrüchiges. Wie haben die Leute reagiert auf das Thema?

Als wir damit anfingen, fand das niemand eine gute Idee. Niemand wollte investieren. Meine Eltern, beide Katholiken, waren wenig begeistert. Auch Lukas’ Grosseltern nicht. Unsere Hypothese war, dass solche Toys gut für die Beziehung sind; weil es besser ist, wenn man offen über Sexualität kommuniziert. Wir hatten den Anspruch, das Thema aus der Nische in den Massen markt zu bringen. Unser Glück war dann der Erfolg von ‹Fifty Shades of Grey› – damit war das Thema plötzlich massentauglich.

«Wir hatten den Anspruch, das Thema aus der Nische in den

Massenmarkt zu bringen. Unser Glück war dann der Erfolg von «Fifty Shades of Grey» – damit war das Thema plötzlich massentauglich.»

 

Wie kam dann der Erfolg? Wenn ihr totale Amateure wart, reichte das ja nicht.

Wie der Erfolg kam, fragen wir uns auch immer wieder (lacht). Wir waren die Ersten, die den Mut hatten, sich zu diesem Thema zu exponieren. Wir sind rausgegangen und haben gesagt: «Hey, wir verkaufen jetzt Sextoys» – mit allen negativen Konsequenzen und mit allen blöden Sprüchen, die wir uns anhören mussten. Zugleich entwickelte sich die Technologie von Sextoys. Wir lernten den Erfinder des meistverkauften Sextoys der Welt, «The Womanizer», sehr früh kennen und brachten das Produkt in die Schweiz; das war ein Quantensprung auf technologischer Ebene. Und es gab unseren Amorana-Adventskalender, mit dem wir es hingekriegt haben, dass die Leute das Thema auf eine spielerische Art und Weise angehen konnten.

Alan Frei hat als Co-Gründer des Erotik-Onlineshops Amorana erfolgreich Sextoys verkauft. Bild: Unsplash.

 

Bis du Erfolg hattest, hast du viel Ausdauer gezeigt: 51 von dir angerissene Projekte hatten nur wenig Erfolg. Es war das 52., das dann abgehoben hat. An was für Projekten bist du gescheitert?

Ich bin etwa der Erfinder des Mango-Schnapses; dummerweise ist Mango in etwa die dümmste Frucht, um daraus Schnaps zu machen, weil Mango im Vergleich zum Fruchtfleisch einen relativ grossen Kern hat. Weshalb man ja Schnaps eben aus Äpfeln und Birnen macht. Ebenfalls nicht funktioniert haben das Klopapier ohne Kartonrolle, Online-Scheidungen, eine Nachhilfeplattform, eine Datingplattform auf Facebook oder eine Plattform, welche die Informationsasymmetrie im Taxigeschäft reduzieren wollte. Eine andere, bekannte Firma hat das dann sehr viel erfolgreicher als wir umgesetzt.

 

Wie hast du all das finanziert? Hast du einen Job gehabt nebenbei?

Ich habe rasch gemerkt, dass die New Economy zu dieser Zeit auf dem Internet aufgebaut werden konnte. Während es noch vor dreissig Jahren Büros, Lager, Maschinen und viele Angestellte brauchte, bin ich zum Unternehmer geworden, als das Internet boomte und grosse Firmen darin entstanden. Die Kosten für den Firmenaufbau waren massiv geringer, man konnte plötzlich für 1000 Franken eine Webseite bauen. Heute ist der Einstieg noch leichter.

 

Damit zahlt man aber noch keine Miete.

Wenn es um Geld geht, gibt es zwei Komponenten: die Ausgaben und die Einnahmen. Sind die Einnahmen gering, müssen die Ausgaben gering sein. Daraus folgte, dass ich während 14 Jahren in einer sehr günstigen, aber auch sehr lärmigen Wohnung an der Verlängerung der Rosengartenstrasse in Zürich wohnte. Ich hatte nur 70 Dinge, darunter eine Gabel, ein Messer, einen Löffel. Ich habe sehr, sehr minimalistisch gelebt, weil ich wusste, dass ich länger ausprobieren kann, wenn die Fixkosten tief sind. Ab und zu habe ich auch wieder mal einen Job angenommen. Es gab auch Projekte, bei denen Investorinnen und Investoren mitgemacht haben, die aber dann nicht funktioniert haben.

 

Heute hast du Geld und musst nicht mehr minimalistisch leben. Machst du es immer noch?

Nach dem Verkauf von Amorana habe ich drei Jahre lang in einem Hotel gewohnt und damit einen grossen Traum umgesetzt. Heute habe ich wieder Teller, Gabeln, Messer, ich lebe in einem mehr oder weniger normalen Haushalt. Aber besonders viel habe ich immer noch nicht: zwei Paar Hosen, sieben Hemden, sieben Unterhosen, sieben Paar Socken, zwei Pullis, zwei Sporthosen, fünf T-Shirts.

 

Viele können ja mit plötzlich viel Geld schlecht umgehen, viele Lottogewinner werden bald todunglücklich. Wie war das bei dir?

Das Problem ist, dass sie sich dieses Geld nicht erarbeiten mussten. Ich selbst hatte lange nichts und gehörte zu den Leuten, die bei der Steuerverwaltung anrufen und fragen mussten: «Können wir die Steuerzahlungen auf sechs Monate splitten?» Als ich dann Geld hatte, fragte ich mich, was mir wichtig ist im Leben, und kam darauf, dass es die Freiheit ist. Diese Freiheit wollte ich nicht verspielen, indem ich materielle Güter wie Autos, Haus, Boot anschaffe. Die Freiheit zu tun, was ich will, um meine Ideen umzusetzen, ist mir einfach viel, viel wichtiger, als etwa eine Villa in Küsnacht zu besitzen.

 

Ich habe deinen Unternehmerleitfaden «Alans Start-up Guide» gelesen. Da schreibst du: «Alles, was du benötigst, ist eine klar definierte Grundidee, ein Logo und eine Kreditkarte.» Warum nur das?

Mit einem Logo, mit einer Kreditkarte, mit einer klar definierten Idee kann man eine Idee sehr, sehr schnell testen. Man macht für 100 Franken eine Webseite und schaltet für 50 Franken Ads. Man sieht dann rasch, ob eine Nachfrage da ist oder nicht.

 

Dein Rezept ist «ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren». Viele Jungunternehmer fürchten sich davor, dass sie eine geniale Idee haben und dass sie jemand wegschnappt. Und reden dann immer verschwörerisch über ihre Projekte. Ist das nicht in den meisten Fällen Unsinn?

Meine Erfahrung ist, dass eine Idee nur ein geringer Prozentsatz des Erfolgs ist. Sicher braucht man eine gute Idee, aber für ein erfolgreiches Geschäft reicht das noch lange nicht. Am Anfang war ich auch so, ich fragte die Leute, ob sie NDAs unterschreiben können, also Verschwiegenheitsvereinbarungen. Über die Jahre lernte ich: Je mehr ich von meiner Idee erzähle, desto besser kann ich sie formulieren, desto klarer wird meine Vision. Man kann sich das ein bisschen so vorstellen wie einen Rohdiamanten, den man sich zurechtschleift im Kopf. Es gibt ja auch diesen schönen Satz: «Du hast es erst verstanden, wenn du es selber erklären kannst.» Genauso ist es beim Unternehmertum. Wenn du dich die ganze Zeit nur versteckst und alles in deinem Kopf durchspielst, bringst du es nicht an den Markt. Man muss rausgehen, um auf die Reaktionen zu achten, wenn jemand mit der Idee konfrontiert wird. Die Frage ist: Wollen das die Leute oder wollen sie es nicht?

 

Was sollte ein Jungunternehmer weiter beachten?

Wir haben eine beschränkte Zeit auf dieser Erde. Man kann diese beschränkte Zeit nutzen, indem man als Angestellter Excel-Tabellen ausfüllt. Oder man kann seine eigene Idee umsetzen. Ich propagiere, die eigenen Ideen umzusetzen, es zu probieren.

«Unsere Zeit auf dieser Erde ist beschränkt. Man kann diese nutzen,

indem man als Angestellter Excel-Tabellen ausfüllt. Oder man kann seine eigene Idee umsetzen.»

 

Das machen aber nur wenige.

Es ist nicht immer ganz einfach. Man hat Verpflichtungen, eine Familie, ein Haus. Hat man sich entschieden, etwas umzusetzen, gehört als zweiter Schritt dazu, keine Angst vor einem Misserfolg oder vor einer Brandmarkung zu haben. Deshalb lebe und propagiere ich auch die Fehlerkultur.

 

Siehst du das in der Schweiz?

Die Schweiz ist ein Unternehmerinnen- und Unternehmerland. Das Problem ist, dass diese Unternehmungen zu erfolgreich wurden! Also sind in den letzten 100 Jahren mehr und mehr Leute in diese Grossfirmen gegangen und arbeiten dort. Wenn wir in der Schweiz weiterhin unseren Wohlstand haben wollen, dann müssen wir den jungen Leuten die Möglichkeit geben, eigene Ideen und Firmen zu realisieren. Scheitert man und geht dann zu einer Grossfirma, dann wird das nicht als negativ angesehen. Auch Grossfirmen suchen Leute, die unternehmerisch denken und unternehmerische Erfahrungen gemacht haben.

 

Was sind die grossen Stärken der Schweizer Wirtschaft?

Dank den Universitäten und den verschiedenen Lehrbetrieben ist der Nährboden, eine eigene Firma zu gründen, sehr gut in der Schweiz. Weil die Opportunitätskosten sehr hoch sind, sehen sich die meisten Leute, die eine Firma in der Schweiz gründen, ihrer Idee sehr verpflichtet. In Berlin beispielsweise haben ja viele nebenbei noch ein Start-up. Aber sie kommen nicht richtig vorwärts, weil sie tiefe Kosten haben und nur halb engagiert irgendwo in einem Café vor sich hinarbeiten. Auch deshalb beruhen die Entscheidungen, die in der Schweiz getroffen werden, meistens auf seriösen Grundlagen. Man sagt sich: «Ich ziehe das jetzt durch, denn sonst werde ich von den Kosten aufgefressen.»

 

Welche Probleme gibt es in der Schweiz?

Der Markt ist relativ klein und die Investitionskultur ist nicht so ausgeprägt wie anderswo. Zu Beginn ist es relativ einfach, Geld zu finden. Dann aber geraten viele Firmen ins «Valley of Death»: Weil die Kultur des «Venture Capital» fehlt, ist es schwierig, eine Firma zu skalieren. Wer dieses Todestal durchschritten hat, ist meist auf lange Frist erfolgreich. Man sieht auch, dass die Googles und Nvidias dieser Welt in die Schweiz kommen.

«Zu Beginn ist es relativ einfach, Geld zu finden. Dann aber geraten viele Firmen ins ‹Valley of Death›: Weil die Kultur des ‹Venture Capital› in der Schweiz fehlt, ist es schwierig, eine Firma zu skalieren.»

Warum?

Weil das Leben in der Schweiz wunderbar ist. Das Land ist sicher. Die Steuern sind verständlich. Das sind Vorteile, die es für grosse Arbeitgeber einfacher machen, Arbeitnehmer zu holen.

 

Du hast Unternehmergeist gezeigt. Ist der angeboren? Kann man ihn sich heranzüchten?

Ich denke, dass Unternehmergeist nicht angeboren ist. Denn ich sehe viele Unternehmer, die extrem erfolgreich sind und sagen: «Ich wollte gar nie Unternehmer werden. Ich hatte einfach diese Idee, und die musste aus mir raus.»

 

Wie war es bei dir?

Prägend war, dass ich 2003/04 mit 20, 21 Jahren nach China ging und dort Sinologie studierte. Heute sieht es anders aus, aber als ich dort war, gab es eine unfassbare Aufbruchsstimmung. Die Leute haben keine Businesspläne gemacht, sie haben einfach losgelegt! Diese Euphorie und die Einsicht, dass man etwas machen kann, fand ich faszinierend. Ich bin dann zurückgekommen und habe mir gesagt: «Das will ich auch.»

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