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Unter falscher Flagge

Daniel de Roulet vereinigt 27 «Porträts» von Zeitgenossen und historischen Persönlichkeiten, die alle, sagt sein Vorwort, «eine enge Beziehung» zur Schweiz haben. Die meisten sind Schweizer, die meisten Künstler. Jedem der Texte ist ein mehr oder weniger einleuchtendes Haupt- und Merkwort beigegeben: «Heimweh», «Asyl», «Patriotismus», «Ehrgeiz», «Distanz». Sie sollen die Frage beantworten, «was danach kommt. […]

Daniel de Roulet vereinigt 27 «Porträts» von Zeitgenossen und historischen Persönlichkeiten, die alle, sagt sein Vorwort, «eine enge Beziehung» zur Schweiz haben. Die meisten sind Schweizer, die meisten Künstler. Jedem der Texte ist ein mehr oder weniger einleuchtendes Haupt- und Merkwort beigegeben: «Heimweh», «Asyl», «Patriotismus», «Ehrgeiz», «Distanz». Sie sollen die Frage beantworten, «was danach kommt. Nach der Schweiz». Doch zu dem suchenden Blick nach vorne bewegen, verleiten, zwingen die – wie das Vorwort sie nennt – «angedeuteten Lebensläufe, Bewunderungssplitter» in keiner Weise.

Es soll nicht bestritten werden, dass unser Land «diesen Leuten», nämlich den Künstlern, einen Grossteil seiner geistigen Offenheit verdankt. Sie nähmen vorweg, «was der posthelvetische Mensch sein wird». Das mag sehr wohl sein; allerdings ist schon Handfesteres über das seismographische Vermögen von Künstlern gesagt worden. Nun soll man, meint das Nachwort, «den» Schweizer Künstlern «vertrauen» und «unbedingt mit ihnen rechnen». Eine dürftigere Begründung für diese Zusammenstellung lässt sich schwerlich denken. Ihre Zufallsbuntheit verdankt sich offenbar der Tatsache, dass 21 Texte schon erschienen sind und nun auch noch, um weitere vermehrt, zwischen zwei Buchdeckel geklebt werden sollten. Das nähme man hin, wenn man aus diesen «Porträts zur Metamorphose eines Nationalgefühls» – dies der so hochtrabende wie nichtssagende Untertitel – wenn schon nichts im Hinblick auf die Zukunft der Schweiz, so wenigstens irgendetwas anderes lernen könnte.

Doch die kurzen Texte, deren Übersetzung aus dem Französischen leider chronisch zu spüren ist (zum Teil bleibt die Übertragung schlicht unverständlich: «Es hat lange gedauert, bis die Schweizer Unterstützung diverser Diktatoren sich abgelagert hat», S. 146 – was könnte das bedeuten?), – diese Texte enttäuschen fast durchs Band. Weder die Essays noch die Reportagen, wenn man sie so nennen will, noch die Erzählungen, in denen die behandelten Schicksale in eine anspruchslose Fiktion gedrängt werden, geben viel mehr her – und hier offenbart das Buch allerdings leider einen inneren Zusammenhang – als die biedere Verbindung altbekannter Fakten (Hodlers unheroisches Bildnis des Generals Wille, die Leiden der jungen Schwarzenbach, die politische Dubiosität Le Corbusiers etc.) und als altbekannte politisch-moralische Positionen, wie sie im Schweizer Kulturkuchen hohe Beliebtheit geniessen. Nichts, was man minder flach nicht da und dort schon vernommen hätte. Nicht einmal der reiche Zuschuss an Bekenntnissen des Autors mit ihren zum Teil rührend naiven und jüngerhaften Huldigungen überrascht durch Originalität und verschafft Einsichten. Nach Ausweis dieses Buchs jedenfalls gehört der Autor nicht zu den Stimmen, die die politische Deutschschweiz imperativ zur Kenntnis nehmen müsste, Unterstützung durch die Pro Helvetia hin oder her, und er zählt schon gar nicht zu den Intellektuellen, die uns durch geistige Stringenz, sprachliche Brillanz, polemische Wucht oder narrativ-argumentative Überzeugungskraft in den erwarteten oder erhofften Posthelvetismus helfen würden. Wenn eine sich ohnehin auflösende Schweiz überhaupt noch Kritik braucht, dann bedeutendere.

Eine Nachbemerkung. Das Buch trägt im Französischen den passenderen Titel «Un glacier dans le cœur. Vingt-six manières d’aimer un pays et d’en prendre congé». Unter dieser Flagge segeln Roulets Plaudereien leichter, und es kann gar nicht anders sein, als dass sie im Original etwas bessere Figur machen.

Daniel de Roulet: «Nach der Schweiz. 27 Porträts zur Metamorphose eines Nationalgefühls». Zürich: Limmat, 2009

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