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Unliterarisch?

Er sei der «unliterarischste aller Schweizer Schriftsteller», meinte Carl Albert Loosli (1877–1959) einmal bittersüss über sich selbst. Denn ab 1900 hatte er sich sechs Jahrzehnte lang wie kein zweiter mit Wort und Tat unermüdlich den Aussenseitern der Gesellschaft gewidmet. Bei all dieser humanitären Leistung blieb aber trotz der atemraubenden Sprache eines weitgehend auf der Strecke: […]

Er sei der «unliterarischste aller Schweizer Schriftsteller», meinte Carl Albert Loosli (1877–1959) einmal bittersüss über sich selbst. Denn ab 1900 hatte er sich sechs Jahrzehnte lang wie kein zweiter mit Wort und Tat unermüdlich den Aussenseitern der Gesellschaft gewidmet. Bei all dieser humanitären Leistung blieb aber trotz der atemraubenden Sprache eines weitgehend auf der Strecke: das Ansehen Carl Albert Looslis als belletristischen Schriftstellers.

Hugo Loetscher nahm sich in seinen letzten Lebensjahren vor, dieses Urteil zu revidieren. Nach seinem plötzlichen Tod haben F. Lerch und E. Marti, die beiden Herausgeber der Werkausgabe Looslis (Rotpunkt: 2006–2009) , nun den Berner Schriftsteller Pedro Lenz mit der Herausgabe von «Loosli für die Jackentasche» (der Titel stammt noch von Loetscher) betraut. Das Ergebnis ist zweischneidig.

Lenz teilt das Lesebuch in drei Teile: Geschichten, Gedichte und Satiren. Obwohl mit dieser Einteilung schon etwas vorschnell auf Auszüge aus Romanen oder weiteren literarischen Gattungen verzichtet wird, bleibt jeweils für bloss knapp ein Dutzend Geschichten und Satiren Platz. Dafür bietet Lenz den Lesern 70 Gedichte. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn jedes ein solch bewegendes Stück wäre wie etwa «Der Seelenzug», oder so treffend zynisch wie die erste Strophe von «Demokratie»: «Ihr braven Leute nennt euch Demokraten, / Weil euch das Stimmrecht in den Schoss gelegt, / Und seid so bettelarm an braven Taten; / Ihr habt euch um den Mammon stets bewegt! / Der Sinn der Freiheit, der in euch sich regt / Beim Bier allein, im Qualm, am Wirtshaustische, / Er ist berechnet und ist überlegt, / Euch fehlt der Mut, euch fehlt die kecke Frische / Und eure Rechte sind nur lose, leere Wische!». Leider ist aber hier, wie bei früheren Ausgaben von Gedichtsammlungen Looslis, die Qualität durchzogen.

Auch bei der Auswahl der Geschichten hat Lenz keine glückliche Hand. Wirklich grossartig sind nur knapp die Hälfte der zwölf Texte. Und hier wäre eindeutig mehr drin gelegen, bietet doch etwa der vierte Band der Werkausgabe bereits eine literarisch anspruchsvollere Auswahl. Gut gelungen ist dafür der dritte Teil. Die Satiren – ohnehin eine Stärke Looslis – sind klug gewählt und vermögen bei einem Leser, der sie nicht kennt, Lust auf den Schriftsteller zu wecken.

Das Hauptproblem des Bandes ist seine unklare Zielumsetzung. Während der Titel und die ursprüngliche Idee von einer Art Best of Loosli ausgehen, ist jetzt eine stattliche Anzahl unveröffentlichter Texte mitaufgenommen, die nicht in die verdienstvolle Werkausgabe aufgenommen werden konnten. Für einen begeisterten Kenner Looslis ist das ein Vergnügen, und er dankt es dem Herausgeber. Für den noch abtastenden Leser hätten jedoch nur die besten literarischen Texte hier landen dürfen.

Eines ist dem Band dafür nicht zu nehmen: Pedro Lenz verleiht ihm durch seine Bekanntheit die nicht zu unterschätzende Chance, dass Carl Albert Loosli auch von Lesern zur Kenntnis genommen wird, die den Namen bislang nicht gehört haben. Es ist ihm zu wünschen!

Pedro Lenz (Hrsg.) «Loosli für die Jackentasche». Zürich: Rotpunkt, 2010

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