Unerträgliche Leichtigkeit?
Ich zähle mich nicht zu den hartgesottenen Kulturpessimisten. Deshalb will ich auch nicht in ein allgemeines Lamento über den Zu- bzw. Missstand der einen oder anderen Kunstform einstimmen. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass es nicht an zeitgenössischen kulturellen Leistungen mit Anspruch mangelt, die ihre verdiente Anerkennung erfahren. Trotzdem spricht Ingold in seinem Verweis […]
Ich zähle mich nicht zu den hartgesottenen Kulturpessimisten. Deshalb will ich auch nicht in ein allgemeines Lamento über den Zu- bzw. Missstand der einen oder anderen Kunstform einstimmen. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass es nicht an zeitgenössischen kulturellen Leistungen mit Anspruch mangelt, die ihre verdiente Anerkennung erfahren. Trotzdem spricht Ingold in seinem Verweis vom vergangenen «Monat» auf die Leichtigkeit (oder eher: Leichtgewichtigkeit) unseres generellen Konsumverhaltens ein heikles Thema an. Die Betonung liegt dabei auf «Konsum». Wer sich nach den Gründen für die Lust auf «leichte Kost» fragt, findet eine Antwort in der Leichtigkeit des Zugangs. Beispiel Fernsehen: auf den frei verfügbaren Sendern hat das Programm nicht nur in unseren Breitengraden ein geradezu unterirdisches Niveau erreicht. Qualitätsinhalte und Innovation werden fast ausschliesslich im kostenpflichtigen Segment angeboten. Dieselbe Angebotsdifferenzierung gilt vermehrt auch im Internet.
Angesichts des Trends zur Bekömmlichkeit gibt es zwei mögliche Szenarien. Das erste, finstere, ist aus dem Film «Idiocracy» bekannt. Dessen zynische Zukunftsvision zeichnet eine tragische Welt: Das Anwaltspatent gibt’s im Supermarkt, die Bürger schnallen sich an einen Allzwecksessel (Bett, Küche und WC in einem) vor ein futuristisches Entertainmentsystem, das sie den ganzen Tag mit niederster Unterhaltung zudröhnt, und haben auch ihre sprachlichen Fähigkeiten weitgehend verloren. Kommunikation besteht aus sinnfrei aneinander gereihten Wörtern und Grunzlauten. Die «Leichtigkeit» ist in diesem Szenario zur kompletten Verblödung geworden – und wird buchstäblich «unerträglich».
Das zweite Szenario ist vergleichsweise unspektakulär. Es ist charakterisiert durch eine unübersichtliche Menge von sich konkurrenzierenden kulturellen und medialen Angeboten mit kurzer Halbwertszeit. Kurz, weil die Aufnahmefähigkeit der Konsumenten wegen des Überangebots strapaziert ist und dadurch einen Output motiviert, der das Aufmerksamkeitsreservoir nicht zusätzlich antastet.
Deswegen aber zu behaupten, dass das kulturelle Angebot einförmig und medioker sei, wird der Realität nicht gerecht. Wirtschaft, Arbeitswelt, Bildung, Technologie, Mobilität unterliegen dynamischen Kräften, die dem Faktor Zeit eine neue Qualität geben. Kontinuität tritt zugunsten der Synchronität von kurzen, diskreten Zeitintervallen in den Hintergrund. Es ist klar, dass der Umgang mit kulturellen Artefakten davon nicht unberührt bleibt. Und dass Kunstschaffende darauf reagieren, ist selbstverständlich. Wenn sich die Parameter ändern, gilt es das Angebot zu überdenken. Austausch- und Vorhersehbarkeit müssen aber keineswegs das Ergebnis sein. Das Spiel mit den Erwartungen bietet vielmehr eine notwendige Gelegenheit zur Selbstreflexion. 1996 hielt die Sokal-Affäre dem Betrieb den Spiegel vor, indem sie aufzeigte, wie leicht sich Nonsens, wattiert in akademisches Kauderwelsch, in geisteswissenschaftlichen Journals placieren lässt. Kürzlich gelang das gleiche Kunststück auch einem naturwissenschaftlichen Artikel, der trotz massiver Mängel von 157 Publikationen angenommen wurde.
Kulturelle wie wissenschaftliche «Verflachung» lässt sich immer irgendwie und irgendwo diagnostizieren. Deshalb haben die Kläger über die Verflachung ja auch Dauerkonjunktur. Dass Fernsehzuschauer auf billige Stimuli reagieren und sogenannte Experten auf blenderische Scheinwissenschaft und Plagiate hereinfallen, wird sich nie ändern. Was sich angesichts der Multioptionalität verändert, ist unsere Wahrnehmung, die kursorischer, dafür breiter und flexibler wird. Leichtigkeit ist auch eine Überlebensstrategie. Dennoch gibt es immer Platz für das Herausragende, das Geniale und das Sperrige. Anthony Hopkins, ein bekennender Kulturskeptiker, erlebte kürzlich einen versöhnlichen Aha-Moment. Über seine Seherfahrung mit der monumentalen TV-Serie «Breaking Bad» schrieb er deren Machern: «Thank you. That kind of work/artistry is rare, and when, once in a while, it occurs, as in this epic work, it restores confidence.» Ich nehme es ihm gerne ab.