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Und am Ende sind wir ja beide Idealisten…

Friedrich Schiller, zitiert aus seinem letzten Brief an Wilhelm von Humboldt
(«Wilhelm von Humboldt, Sein Leben und Wirken, dargestellt in Briefen, Tagebüchern
und Dokumenten seiner Zeit», hrsg. von Rudolf Freese, Darmstadt 1986, S. 431 f.)

Weimar, den 2. April 1805

«Ich könnte es vor dem Himmel nicht verantworten, teurer Freund, wenn ich die schöne Gelegenheit, die sich mir darbietet, Ihnen ein Wort des Andenkens zu sagen, unbenutzt liesse. Ist es gleich eine unendlich lange Zeit, dass ich Ihnen nicht eine Zeile gesagt, so kommt es mir doch vor, als ob unsere Geister immer zusammenhingen, und es macht mir Freude, zu denken, dass ich mich auch nach dem längsten Stillstande mit gleichem Vertrauen, da wir noch zusammenlebten, an ihr Herz legen kann. Für unser Einverständnis sind keine Jahre und keine Räume. Ihr Wirkungskreis kann Sie nicht so sehr zerstreuen und der meinige mich nicht so sehr vereinseitigen und beschränken, dass wir einander nicht immer in dem Würdigen und Rechten begegnen sollten. Und am Ende sind wir ja beide Idealisten und würden uns schämen uns nachsagen zu lassen, dass die Dinge uns formten und nicht wir die Dinge.

Dass ich in dieser langen Zeit unseres stockenden Briefwechsels auf meine Art tätig war, wissen Sie und haben es, wie ich denke, gelesen. Ich wünschte auch von Ihnen selbst zu hören, wie sie mit meinem ‹Tell› zufrieden sind, es ist ein erlaubter Wunsch, denn bei allem, was ich mache, denke ich, wie es Ihnen gefallen könnte. Der Ratgeber und Richter, der sie mir so oft in Wirklichkeit waren, sind Sie mir in Gedanken noch jetzt, und wenn ich mich, um aus meinem Subjekt herauszukommen, mir selbst gegenüberzustellen versuche, so geschieht es gerne in Ihrer Person und aus Ihrer Seele.

Noch hoffe ich, in meinem poetischen Streben keinen Rückschritt getan zu haben, einen Seitenschritt vielleicht, in dem es mir begegnet sein kann, den materiellen Forderungen der Welt und der Zeit etwas eingeräumt zu haben. Die Werke des dramatischen Dichters werden schneller als alle anderen von dem Zeitstrom ergriffen, er kommt selbst wider Willen mit der grossen Masse in eine vielseitige Berührung, bei der man nicht immer rein bleibt. Anfangs gefällt

es, den Herrscher zu machen über die Gemüter, aber welchem Herrscher begegnet es nicht, dass er auch wieder der Diener seiner Diener wird, um seine Herrschaft zu behaupten. Und so kann es leicht geschehen sein, dass ich, indem ich die deutschen Bühnen mit dem Geräusch meiner Stücke erfüllte, auch von den deutschen Bühnen etwas genommen habe.

Seit dem ‹Tell› haben Krankheiten und Zerstreuungen meine Tätigkeit öfters unterbrochen; eine Reise nach Berlin im vorigen Frühjahr, darauf im Sommer eine heftige Krankheit und dieser furchtbare angreifende Winter haben mich ziemlich von meinem Ziel verschlagen. An Vorsätzen und Entwürfen fehlte es zwar nicht, aber ich schwankte zu lange hin und her und habe mich erst seit einigen Monaten für eine neue Tragödie entschieden, die mich wohl bis Ende des Jahres beschäftigen wird. Um diesen Winter doch nicht ganz untätig zu sein, habe ich, da ich nichts Eigenes machen konnte, die ‹Phèdre› von Racine übersetzt und spielen lassen, und diese nicht ganz so leichte Arbeit hat mir eine angenehme Übung gemacht.(…)»

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