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Unangepasste Akademiker
gefährden ihre Karriere

Unter dem Mantel der richtigen Gesinnung werden an Universitäten Andersdenkende schikaniert und ausgegrenzt. Nicht einmal im Falle von Antisemitismus wagen es die Hochschulleitungen einzuschreiten.

Unangepasste Akademiker gefährden ihre Karriere
Studenten an einer Kundgebung für Palästina an der FU Berlin, im November 2023. 
Bild: picture alliance/dpa/Fabian Sommer.

Wer sich gegenwärtig für kritisches Denken interessiert, ist an den Hochschulen am falschen Ort. Die völlig durchverwalteten Universitäten, die seit zwei Jahrzehnten auf modularisierte Bachelor- und Masterabschlüsse setzen, Dissertationen am Fliessband hervorbringen sowie die Simulation von Produktivität mit Erkenntnisgewinn verwechseln, eignen sich schlecht für gründliche Reflexion.

Dass in einem solchen Arbeitsumfeld ein Konformitätsdruck waltet, überrascht nicht. Wer nach oben will, muss inhaltlich, optisch, organisatorisch und rhetorisch angepasst sein. Mit bekannten Folgen: Selbst die konventionellsten und langweiligsten Forschungsvorhaben lassen sich mit akademischen Trendwörtern in vermeintlich innovatives Licht tauchen. Dabei wird die groteske Distanz zur Lebensrealität vor der eigenen Haustür durch das unentwegte Betonen der Relevanz des eigenen Tuns nicht etwa kaschiert, sondern verschärft. Zahllose Geistes- und Sozialwissenschafter wähnen sich in einer gesellschaftlich bedeutsamen Rolle. Doch ihr Wirken gründet nicht in Dringlichkeit, sondern im verblassenden Wohlstand des 20. Jahrhunderts.

«Mutig» ist eine Beleidigung

Wer thematisch aus dieser Konsenskultur ausschert, wird nicht selten mit einem verräterischen Adjektiv bedacht: Das abfällig intonierte «mutig» ist im kollegialen Jargon, der auf dem Universitätsflur und in den Kommissionen gepflegt wird, nicht etwa ein Kompliment, sondern eine Verurteilung, weil man es anders, besser und aufregender macht als alle anderen. Komplementär dazu verhält sich das inflationär verteilte Kommentarlob, etwas sei «spannend». Das wird in der Regel dann vergeben, wenn sich ohnehin Uninteressantes in die bestehenden Konventionen fügt, um dort etwas Variation vorzutäuschen.

Zu den unausgesprochenen, gleichwohl offensichtlichen Prämissen des akademischen Auftritts zählt inzwischen aber auch die Geste, politisch alert zu sein. Das meint tatsächlich eine Geste im Wortsinn – also gerade nicht den Anspruch, mit wissenschaftlichen Analysen auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, die durchaus Empörung nach sich ziehen könnten, oder eine Haltung, die sich auf gut durchargumentierte Gedankengänge stützt. Vielmehr geht es darum, konform codiert zu verstehen zu geben, dass man dem Zeitgeist anhängt. Und dieser diktiert in der Ära des allgemeinen Rummoralisierens, Dazugehörens und Weltrettens nicht nur, gefühlslinks zu ticken, sondern unbedingt im Rudel aufzutreten.

Wer also wissen möchte, was Zivilcourage an den Universitäten nicht ist, sollte zuerst auf diejenigen schauen, die sich für ausgesprochen tapfer halten und die ihren Gratismut als eine Art Hebel für öffentliche Interventionen missverstehen. Für ­ihren standesgemässen Auftritt auf der Bühne des Meinungsmarktes bevorzugen sie ein Format, das sich in den letzten Jahren immer grösserer Beliebtheit erfreut hat und das ausdrücklich darum bedacht ist, ein vermeintlich bedeutsames Zeichen zu setzen, das nach aussen Widerspruch geltend macht und das den Hauch des Riskanten umwehen soll: die Mischform aus offenem Brief und Unterschriftenliste.

Sie ist zum primären Medium für all diejenigen geworden, die heute für das Gegenteil von akademischer Furchtlosigkeit stehen. Dort nämlich, wo sich der beziehungsweise die Einzelne nebst Angabe des Arbeitsplatzes in einen kurzen Zeileneintrag unter Tausenden verwandelt, geht es gerade nicht um Einspruch gegen einen Missstand, sondern um die Demonstration der eigenen Gesinnung in Form eines kollektiven Machtanspruchs. Als Gruppenerlebnis kostet das die einzelnen Beteiligten nichts. Es wird aber dennoch als grosse, kühne Geste vermarktet.

Staatlich bezuschusste Antizionisten

Eines der aufschlussreichsten Dokumente, die diesbezüglich 2024 veröffentlicht worden sind, ist das «Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten», das von mehr als 1000 Universitätsprofessoren, Hochschuldozentinnen und Lehrbeauftragten unterzeichnet worden ist.1Im Zuge des Massenmordes der Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober 2023 mit mehr als 1200 Toten, 5000 Verletzten und etwa 240 Geiseln entstanden überall im Westen dem Terror zugeneigte Zeltlager, mit denen der antisemitische Nachwuchs unter Einsatz der ­bekannten Tarnbegriffe – «palästinasolidarischer Protest», «kritische Stimmen» und so weiter2 – seine aggressive bis gewaltbereite Gesinnung zelebrierte.

Auch an der Freien Universität Berlin kam es zu einer Campusbesetzung. Die Universitätsspitze entschied sich, nachdem die Sicherheit der Studierenden wie Angestellten nicht länger gewährleistet werden konnte, zur Räumung durch die Polizei. In seiner Stellungnahme räumte das Präsidium immerhin ein, dass der bei «dem Protest am 7. Mai implizit und explizit vorgebrachte Antisemitismus» die Hochschulleitung «weiterhin mit grosser Sorge» erfülle. Es war sich in seiner Stellungnahme ­allerdings nicht zu schade, das selbstgezimmerte Nest der ­Hamas-Versteher weiterhin als «Protestcamp» zu bezeichnen, statt einmal dem Vokabular der jungen Antisemiten nachzugehen, das diese nämlich zu guten Teilen aus einschlägigen Lehrveranstaltungen übernommen haben dürften. In diesen frönen nicht wenige staatlich bezuschusste Gegner des jüdischen Staates ihrem kaum verklausulierten Hass auf die Bastion des freiheitlichen Westens im Nahen Osten.3

Spätestens mit dem Siegeszug unhinterfragter Wörter wie «race» und «postkolonial», die a priori als gesellschaftskritisch gelten wollen, setzte die gegenwärtige Entwicklung ein. Längst sind solche Begriffe für alle, die Vernunft nicht für ein Kon­strukt alter, weisser Männer halten, als akademischer Nachhall des allgemeinen Verfalls der bürgerlichen Gesellschaft in Stammesprinzipien erkennbar geworden. Damit war es aber lange noch nicht getan. Auf der Überholspur kam in den vergangenen Jahren plötzlich der Terminus «dekolonial» daher, dessen einzige Funktion darin besteht, ein aktivistisches Bewusstsein zu deklarieren. Mit ihr will gar nichts anderes ausgedrückt werden, als moralisch ausstaffiert zur Tat zu schreiten – und genau das haben die immatrikulierten Feinde Israels mit der Campusbesetzung an der FU Berlin getan.

Die professoralen Sympathisanten der studentischen Terrorbefürworter gaben daraufhin ihr «Statement» ab, in dem das Pogrom vom 7. Oktober nicht einmal beim Namen genannt wird. Stattdessen wird Israel gezielter Massenmord um des Massenmords willen unterstellt. Als die Boulevardpresse hier­über berichtete und ein paar einschlägige «Berliner Lehrende» beim Namen nannte, bezog die Leitung der FU auch hierzu ­Stellung, und zwar für die akademischen Versteher der jungen Hamas-Sympathisanten: «Zugleich verurteilt das Präsidium entschieden jede Art der Diffamierung gegenüber einzelnen Unterzeichner*innen des offenen Briefes in den sozialen Medien und insbesondere die verleumderische Berichterstattung der ‹Bild-Zeitung›. Diese stellt in den Augen des Präsidiums ­einen Angriff auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit dar, den es nicht akzeptiert. Daher werden presserechtliche Schritte geprüft.»4

Diejenigen, die sich diesem Klüngel widersetzen, sind die tatsächlichen Opfer, weil sie Mobbing, intriganten Kampa­gnen und Verleumdungsversuchen ausgesetzt sind und sich aus einer absoluten Minderheitenposition heraus gegen eine schier endlose Vielzahl an Feinden und Opportunisten behaupten müssen. Das jedoch ist dem FU-Präsidium beim Versuch, öffentlich mit Äquidistanz zu punkten, augenscheinlich entgangen.

Fühlen statt Denken

Am Beispiel von Shai Davidai zeigt sich, wie es inzwischen um genuinen Mut in der akademischen Welt bestellt ist. Der an der Columbia University lehrende Assistenzprofessor hat den antisemitischen Hass auf dem Campus der Ivy-League-Universität dokumentiert und sich diesem als nahezu einziger Fakultäts­angehöriger lautstark widersetzt. Die Videos von seinem Einspruch gegen den Pro-Hamas-Jubel zeugen von einer Unerschrockenheit, die sich weder vom studentischen Mob noch von akademischen Vorgesetzten beeindrucken lässt. Davidai liess auch dann nicht vom Megafon und vom iPhone ab, als die Universität nicht etwa den zahllosen jungen Terrorsympathisanten, sondern ihm zeitweilig den Zutritt zum Campus versperrte.

Es sind wenige Individuen, die ohne Rücksicht auf etwaige Reputationsschäden, einen drohenden Karriereabstieg oder konkrete leibliche Gefährdung am Arbeitsplatz der Mehrheitsmeinung widersprechen. Sie sind einzig ihrer Urteilskraft verpflichtet – einer Fähigkeit also, zu deren Gebrauch die Universität eigentlich ausbilden sollte, wozu in einer Ära, in der immer weniger gedacht und immer mehr gefühlt wird, allerdings kaum mehr angeregt wird.

«Es sind wenige Individuen, die ohne Rücksicht auf Reputationsschäden
oder leibliche Gefährdung der Mehrheitsmeinung widersprechen.»

Der Hass der Meute gilt also vor allem denjenigen, die aus schieren Vernunftgründen wissen, was beispielsweise mit der Existenz Israels auf dem Spiel steht. Das markiert nicht zuletzt das näher rückende Ende der höheren Bildungsinstitutionen. Zugleich ist dies ein Vorgeschmack dessen, was sich gesamtgesellschaftlich abzeichnet, waren Universitäten doch stets ein verlässlicher Gradmesser für die herrschenden Ideen einer Zeit und deren Folgen. Wer also beobachtet, auf welch trickreiche Weise missliebige Einzelne auf dem Campus eingeschüchtert werden, bekommt eine Ahnung, was demnächst auch andernorts blühen dürfte.

  1. docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform

  2. Siehe etwa die Stellungnahme des AstA der Freien Universität zur Räumung vom 7. Mai 2024: astafu.de/node/603

  3. Die Stellungnahme des Präsidiums ist mit «Besetzung und Räumung des Theaterhofs am 7. Mai 2024 / Offener Brief Berliner Hochschullehrender. Fragen und Antworten» überschrieben und findet sich unter: http://www.fu-berlin.de/campusleben/campus/­2024/240513-faq-besetzung/index.html

  4. Ebd.

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