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Umverteilungsmaschine

Die Transformation vom Kapitaldeckungs- zum Umlageverfahren in der 2. Säule läuft. Die Polemik vom Rentenklau ist zahnlos: wenn schon, ist es Zeit für eine Polemik über den Kapitalklau.

Vor einigen Monaten gab die AXA Winterthur bekannt, ihren Umwandlungssatz im Überobligatorium schrittweise auf 5 Prozent anzupassen. Der Unterschied zum gesetzlich vorgegebenen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent ist massiv; Überobligatorium und Obligatorium driften auseinander. Während das Gesetz über die berufliche Vorsorge weiterhin in den Mühlen der Politik steckt, findet eine massive Umverteilung von Aktiven zu Rentenbezügern statt. Bereits heute werden jährlich circa 3,5 Milliarden Franken1 der Beitragszahler genommen, um damit überzogene Rentenansprüche zu erfüllen. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich: wenn die 2. Säule nicht bald grundlegend reformiert wird, sehen die heutigen Sparer im Alter dereinst nichts mehr von ihrem Geld. Dem schleichenden Wandel vom kapitalgedeckten Verfahren zum Umlageverfahren muss ein Riegel geschoben werden. Wir müssen heute die Chance nutzen, die starre2. Säule grundsätzlich zu hinterfragen, anstatt weiter minimal an den Stellschräubchen zu drehen. Es ist Zeit, dass sowohl aktive Beitragszahler als auch Rentenbezüger verstehen, was hier passiert, und sich zu einer echten Diskussion und Lösungsfindung zusammenraufen.

In der 2. Säule, die eigentlich der individuellen Vorsorge dient, zeigen sich heute Probleme, die mit den kollektiv festgelegten Stellschrauben des Systems zusammenhängen. Vor allem der Umwandlungssatz steht im Fokus: die heute gesetzlich festgelegten 6,8 Prozent in der obligatorischen Vorsorge sind zu hoch angesetzt. Dem Umwandlungssatz liegt eine Annahme der durchschnittlichen Lebenserwartung der Rentenbezüger zugrunde, die heute in der Realität rund zehn Jahre höher liegt. Daher kommt es zur aktuellen Umverteilung von Aktiven zu Rentnern: die Sparkapitalien sollten länger in eine Rente umgewandelt werden als ursprünglich vorgesehen. Zudem erwirtschaften die Sparkapitalien längst nicht mehr die Renditen, die ursprünglich vom Gesetzgeber erwartet wurden.

Wie die Senkung des Umwandlungssatzes im Überobligatorium zeigt, findet zudem eine Umverteilung vom Überobligatorium zum Obligatorium statt. Dies rührt daher, dass die Pensionskassen versuchen, der Umverteilung der 3,5 Milliarden Franken entgegenzuwirken, etwa indem sie den Umwandlungssatz des Überobligatoriums nach unten korrigieren. Hier bietet sich den Pensionskassen Spielraum, im Gegensatz zu dem im Gesetz über die berufliche Altersvorsorge (BVG) festgelegten Umwandlungssatz.

 

Altersvorsorge mit Kinderkrankheiten

Es wird also bereits heute massiv umverteilt – und das notabene in der individuellen Vorsorge! Um die 2. Säule zu retten, müssten die Weichen sehr schnell gestellt werden. Das kann nicht von heute auf morgen geschehen. Der politische Weg ist steinig, wie im Jahr 2010 die Abstimmung zur Initiative «Senkung des Mindestumwandlungssatzes» zeigte. Damals wurde eine Senkung des Umwandlungssatzes mit 72,7 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Angesichts der grossen Zahl Direkt- oder Bald-Direktbetroffener einer solchen Rentenkürzung, die fleissig abstimmen, ist das Resultat nicht verwunderlich. Es zeigt, dass nicht nur Empörung – oder gar ein «Aufstand» – der Beitragszahler notwendig ist, sondern dass auch die (potentiellen) Rentenbezüger überzeugt werden müssen, dass die 2. Säule in ihrer Form langfristig nicht bestehen kann.

Auch das aktuelle Projekt von Bundesrat Alain Berset, die «Altersvorsorge 2020», leidet an Kinderkrankheiten. Den Titel des Projekts interpretiere ich dahingehend, dass die Beratungen zur Vorlage erst im Jahr 2020 zu einem Ende kommen, obwohl bis dahin eigentlich doch schon vieles umgesetzt sein müsste. Denkt man an die fünfjährige Beratungszeit der gescheiterten 11. AHV-Reform, hat man keinen Grund anzunehmen, dass die komplexe Vorlage «Altersvorsorge 2020» schneller verabschiedet wird. Äusserungen von Experten und Akteuren, etwa vom Schweizerischen Versicherungsverband (SVV), zeigen, dass die Vorlage bereits jetzt, also schon vor der parlamentarischen Phase, eine Kompromisslösung darstellt. Beispielsweise wäre ein Umwandlungssatz unter 6 Prozent gewünscht, aber 6 Prozent scheinen politisch eher vertretbar zu sein, damit das Projekt nicht im Parlament scheitert 2. Folglich ist vom Paket «Altersvorsorge 2020» keine nachhaltige Lösung zu erwarten. Es handelt sich um einen Balanceakt, der alle Seiten ein bisschen zufriedenstellen und die Baustellen provisorisch zudecken soll. Dabei nehmen weder die Entwicklung der Lebenserwartung noch der Kapitalmarkt Rücksicht auf das politische Klima der Schweiz. Das zentrale Problem der 2. Säule wird bleiben: die systemwidrige Umverteilung von den Aktiven auf die Rentner. Der Begriff «Rentenklau» fällt oft, gerade aus linken Kreisen, wenn über nötige Reformen gesprochen wird. Dabei ist der Ausdruck «Kapitalklau» genauso zutreffend.

 

Problem bekannt, Lösung bekannt – Anpacken verschoben

Jetzt, da die Debatte endlich aufkommt, besteht die Chance, grundsätzlich über die Altersvorsorge nachzudenken. Die technischen Grössen und deren Realität zeigen auf, dass vom Gesetzgeber festgelegte Parameter nicht sinnvoll sind. Es ist notwendig, die Gestaltung der Parameter den Pensionskassen selbst zu überlassen, wie dies im Überobligatorium bereits heute der Fall ist. Dem BVG liegt aber eine weitere veraltete Idee zugrunde: der Arbeitgeber wählt die Pensionskasse des Arbeitnehmers. Dies kann sinnvoll und bequem sein, wenn Arbeitnehmer ihre Karriere über lange Zeit in einem einzigen Unternehmen verfolgen. Heute wechseln die Leute aber nach einigen Jahren den Arbeitgeber. Auch verlaufen Karrieren häufig nicht nur in der Schweiz, sondern sie beinhalten Auslandsaufenthalte. Dies macht es für Arbeitnehmer nicht einfacher, ein Kapitalpolster aufzubauen. Es ist unsinnig, Sparkapital stets zu überführen oder auf einem Freizügigkeitskonto zu parken.

Es ist unbegreiflich, weshalb die Individuen über so etwas Zentrales wie ihre Altersvorsorge nicht mehr Entscheidungsfreiheit besitzen sollen. Wie kann es sein, dass Schweizerinnen und Schweizern zugetraut wird, über Ausbildung, Beruf, Familiengründung, Krankenkasse et cetera zu entscheiden, nicht aber über ihre individuelle Vorsorge? Dabei handelt es sich um circa 720 Milliarden Franken – ein riesiger Kapitalstock, der auf keinen Fall Spielball3 der Politik sein darf. Während nun mühselig über Jahre die Details eines neuen Reformpakets diskutiert werden, verpassen wir die Chance, die private Vorsorge grundsätzlich zu überdenken. Die Probleme sind bekannt, mögliche Lösungen auch.

Zusätzlich zur Entpolitisierung der technischen Parameter des BVG und der freien Wahl der Pensionskasse sollte die Abschaffung des Vorsorgeobligatoriums geprüft werden. Heute besteht bei einigen gewichtigen Risiken keine Versicherungspflicht, etwa bei der Haftpflicht oder Hausratsversicherung. Bei letzterer gehen Schätzungen davon aus, dass dennoch gut neunzig Prozent der Haushalte eine solche abgeschlossen haben4. Schweizer sind risikobewusst. Es ist schwer vorstellbar, dass sie sich keine Gedanken zu ihrer Altersvorsorge machen würden, wenn sie nicht obligatorisch wäre. Im Gegenteil: so sind rund sechzig Prozent der Arbeitnehmer einer Einrichtung der 3. Säule angeschlossen5. Auch nimmt die Sicherheit des Vorsorgesystems beim «Sorgenbarometer» regelmässig eine Spitzenposition ein6. Vor allem die jüngere Generation, die von der aktuellen Umverteilung in der 2. Säule besonders betroffen ist, macht sich Sorgen um die Sicherheit der Altersvorsorge. So sind rund dreissig Prozent der unter Vierzigjährigen skeptisch, je eine Rente aus der 2. Säule zu erhalten7. Die Arbeitnehmer haben ein starkes Interesse, ihre Vorsorge selbst zu gestalten, anstatt dies der Politik anzuvertrauen.

 

Bezüger und Einzahler: solidarisch

Die Abschaffung des Vorsorgeobligatoriums ist ein radikaler Vorschlag. So wirkungsvoll (da radikal) der Vorschlag auch wäre, so gering ist die Chance, dass er sich politisch umsetzen lässt. Dennoch muss ein solch radikaler Vorschlag unterbreitet werden, um die grundsätzlichen Probleme der 2. Säule aufzuzeigen und die Debatte zu eröffnen. Wir vom Kapitalklau betroffenen Einzahler müssen solch radikale Forderungen stellen – auch wenn deren Umsetzung einem Aufstand gleichkäme. Vielleicht aber ist ja ein solcher auch nötig: die bisherigen Rettungsversuche für die 2. Säule zeigen, dass die Interessen derjenigen, die ins marode System einzahlen, kein Gehör finden. Dies ist peinlich für die Schweizer Politik, die sich gerne für eine nachhaltige Altersvorsorge rühmt. Passiert weiterhin nichts, werden die Aktiven die Geprellten sein. Es braucht den Reformwillen von Bezügern und Einzahlern, um die 2. Säule langfristig auf gesunde Beine zu stellen. Es ist inakzeptabel, dass wir die individuelle Vorsorge durch Untätigkeit zu einer Umverteilungsmaschine verkommen lassen. Dies ist nicht nachhaltig und die zukünftigen Generationen werden die Last eines falsch kalkulierten Gesetzes tragen, das der Demographie und den Finanzmärkten vorschreiben wollte, was sie zu tun haben.


Brenda Mäder
ist Co-Präsidentin der Unabhängigkeitspartei und Strategieberaterin. Sie befasst sich intensiv mit Vorsorgefragen.


1 Credit Suisse: Herausforderungen Pensionskassen 2012 – Aktuelles Stimmungsbild und Hintergründe.
2
SVV: Reform Altersvorsorge 2020: ein Zukunftsprojekt für die Schweiz, 2014.
3
Karl Reichmuth: Schweden studieren statt schwarzsehen, Schweizer Monat Sonderthema 13/Dezember 2013.
4
SVV: Versicherungen von Elementarschäden in der Schweiz, 2013.
5
Comparis: Mit der 3. Säule auf Nummer sicher gehen, 2010.
6
Gfs, Credit Suisse: «Credit Suisse Sorgenbarometer 2014, Schlussbericht»
7
ebd.

 

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