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Spitzenköpfe, Geld und exzellente Universitäten: die Schweiz ist idealer ährboden für Start-ups. Nach den ersten zwei Finanzierungsrunden landen viele Jungunternehmen jedoch im Death Valley und trocknen aus. Ein Gespräch über das «Ökosystem Schweiz» – und darüber, wie es noch viel mehr Wertschöpfung schaffen könnte.

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Herr Griss, Wagniskapital bedeutet Risiko. Wann sind Sie selbst grosse Risiken eingegangen?

Die erste Firma, die ich mitgründete, entstand im Jahr 1999 – kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Wir entwickelten in Schweden das erste mobile Zahlungssystem, mit dem man mit alten GSM-Mobiltelefonen Zahlungsverkehr abwickeln konnte. Wir haben den Dotcom-Crash überlebt. Die Firma existiert heute noch, aber damals habe ich am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn man zu viel Risiko eingeht.

Klären Sie uns auf.

Es bedeutet, dass meine Gründeraktien plötzlich nichts mehr wert waren. So einfach ist das.

War Ihnen dieses Risiko von Beginn an bewusst?

Nein. Erstens war die Sache ein Nebenprojekt meines Doktorats und zweitens wurden wir mit Shorts und Baseballcaps von Venture Capitalists mit Kapital überschüttet.

Sie hatten ein gutes Timing.

Wir waren alle, inklusive Investoren, in der Dotcom-Euphorie unterwegs. Die Landung war dann umso härter.

Wie risikofreudig müssen nach diesen Erfahrungen Jungunternehmer für Sie sein, damit Sie ihnen Ihr Vertrauen schenken?

Sehr risikofreudig. Für mich bestand die Lektion darin, dass man mit einer guten Idee hohe Ziele verfolgen muss, zugleich aber nie eine gewisse Bescheidenheit verlieren darf. Es gibt ganz viele extrem smarte Leute, die vielleicht die gleiche Idee schon hatten, die man selbst mit sich herumträgt. Die Idee reicht aber nicht, sie muss umgesetzt werden, mit methodischer, harter Massarbeit. Das meine ich mit Bescheidenheit: eine gute Idee haben, hohe Ziele setzen und dann Kopf runter und «Vollgas». Während der Arbeit muss man sich immer wieder fragen: Stimmt die Richtung? Habe ich die Risiken im Griff? Was muss ich verändern? Wir hatten die Risiken damals völlig unterschätzt. Wir waren uns bewusst, dass wir juristisch das Recht hatten, den GSM-Standard zu nutzen. Wir waren aber nicht darauf vorbereitet, trotzdem vor Gericht gezerrt zu werden, einfach weil es uns als kleine Firma schwächt und vom Kurs abbringt.

Sie haben nicht mit allen Eventualitäten gerechnet!

Das war das Resultat einer gewissen Überheblichkeit unsererseits. Wenn man in solche Bereiche vorstösst, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder absichern oder unterm Radar fliegen, bis es für die andere Seite zu spät ist. Wir waren naiv. Der Netzbetreiber hat uns mit Anwälten und Rechtskosten an die Wand gedrückt. Die Lust am Risiko habe ich dadurch zwar nicht verloren, aber ich habe gelernt, dass es die saubere Umsetzung ist, auf die es ankommt. Eine Idee hat man relativ schnell einmal, eine Strategie ebenso. Aber die Umsetzung und die ständige Überprüfung von Risiken sind die wahren Knackpunkte.

Ist dies eine Frage der Erfahrung oder eine Frage der Persönlichkeit?

Erfahrung spielt eine grosse Rolle, ebenso Persönlichkeit. Ohne Erfahrung macht man zu viele Umwege. Viele verlieren die Freude, wenn sie sich immer wieder die Nase anschlagen. Mit Erfahrung kann man Abkürzungen nehmen. Man wird sich die Nase zwar immer noch anschlagen, aber weniger oft. Die Kunst besteht dann auch darin, immer wieder aufzustehen und daraus zu lernen.

Wie nehmen Sie die Schweizer Venture-Szene im Jahr 2016 wahr?

Mein Steckenpferd ist das junge «Ökosystem Schweiz». Da braucht es mehr Risikobereitschaft für Firmen, die die ersten ein bis zwei Finanzierungsrunden hinter sich haben, und es braucht mehr Kapital, das kulturell an unseren Standort gebunden ist.

Was spricht für die Schweizer Venture-Szene?

Wir haben in der Schweiz eine unglaublich gute Basis für Ideen. Die Universitäten sind top, der Ausbildungsstand ist hoch. Die Universitäten verfügen über sehr gute Anschubfinanzierung und über Unternehmerprogramme. Es ist in der Schweiz möglich, frühe Finanzierungsrunden zu schliessen. Es gibt eine phantastische Breite an Clubs von Business-Angels und Early-Stage-Investoren. Das funktioniert sehr gut.

Es gibt Spitzenköpfe, es gibt Geld, es gibt exzellente Universitäten – woran fehlt es?

Was uns aus meiner Sicht fehlt, ist Execution – die Umsetzungskompetenz. Ventures sind oft zu optimistisch, wenn es darum geht, eine Idee in ein marktfähiges Produkt zu verwandeln.

Wir sind ausserordentlich innovationsfähig,  was sich in den Innovationsranglisten zeigt.

Ich muss eine Anmerkung machen zu diesen Listen. Sie messen meiner Meinung nach die «Erfindungskapazität» des Standorts und weniger die Fähigkeit, daraus dann auch Wertschöpfung zu generieren.

Ein konkretes Beispiel!

Gerade heute morgen stand etwas über Getyourguide in der Zeitung.

Die bauen derzeit in Berlin aus.

Ja. Und Housetrip sind in London. Da muss man sich doch schon fragen: warum sind die in London oder Berlin?

Weil Start-ups in der Phase des Momentums nicht auf die Schnelle 50 oder 100 Spezialisten anstellen können. Erstens bekommen sie die entsprechenden Leute in der Schweiz nicht, und zweitens wären diese viel zu teuer.

Aber London? Dort ist das doch alles noch viel teurer!

Woran liegt es dann?

Es fehlt am richtigen Kapital zu diesem Zeitpunkt. In der Schweiz ist das Death Valley irgendwann nach den ersten zwei Finanzierungsrunden. Dann wird es auf einmal sehr leer. 

Das müssen Sie erklären.

Es ist eine Phase, bevor man Umsatz generiert. Das Produkt ist noch nicht fertig und man bereitet sich darauf vor, in den Markt zu treten. Man hat vielleicht erste Demonstratoren gebaut, erste Kundenfeedbacks bekommen…

…und es macht sich vielleicht erste Ernüchterung breit…

Genau! Das Risiko ist immer noch hoch und es braucht viel Geld. Zugleich hat man aus dem schweizerischen Ökosystem heraus zu wenig Schiesspulver.

Aber dafür gibt es ja auch internationale Investoren!

Klar. Wenn Firmen das benötigte Geld dorther bekommen, kann es weitergehen. Aber von mir aus gesehen ist es das falsche Geld. Kommt das Geld, geht es weiter, und der Erfolg mag kommen. Die Bedingungen vom Aktienanteil mögen okay sein, man hat teilweise hohe Unternehmensbewertungen, auf die man stolz sein kann. Aber der Aktienanteil ist nicht das einzige, was vertraglich geregelt ist. 

Was sind die kritischen Punkte, an die man beim Einstieg von Investoren denken muss?

Da gibt es so Sachen wie Liquidation Preference, die Wahl des Verwaltungsrats, bestimmte Vetorechte etc. – eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen, die die Wertschöpfung zu einem grossen Teil dorthin bringen, wo das Geld ursprünglich hergekommen ist.

Was folgt daraus?

Wenn wir es nicht fertigbringen, uns das Ökosystem so zurechtzubiegen, dass man grossflächig auch die späteren Runden machen kann, verlieren wir an Wertschöpfung für den Standort Schweiz. Und die Fähigkeit, in gewissen Themen schlagkräftige Cluster zu bilden.

Das Kapital für spätere Finanzierungsrunden wäre eigentlich vorhanden.

Das rohe Kapital, ja. Aber die Bereitschaft, es auch wirklich in jener heiklen Phase, die wir vorher besprochen haben, zu investieren, ist von meiner Warte aus unterentwickelt. Es geht darum, den Claim «Innovationsweltmeister» langfristig zu halten.

Können Sie «Innovation» ausdeutschen?

Ich meine das vor allem in Schumpeters Sinn von «Creative Destruction». Mit neuen Technologien neue Produkte in einem idealerweise bestehenden Markt zu realisieren und diesen Prozess zu monetarisieren, Wert zu schöpfen. So wie wir investieren, entsteht die Wertschöpfung über einen Verkauf der Firma an eine grosse Unternehmung.

Welches Verständnis von Wertschöpfung  prägt die hiesige Venture-Szene?

Wenn ich das schweizerische Ökosystem betrachte, geht es in Richtung handfeste Sachen. Sensoren, Robotik, Systeme, Biotechnologie. Für Internetthemen wie Sharing Economy, Retail, Platforms oder andere gibt es bessere Cluster als die Schweiz.

Zum Beispiel?

Solche handfesten Sachen sind schwer zu kopieren und können mit Patenten geschützt werden. Was ich persönlich speziell gut mag: stark skalierende Geschäftsmodelle in der Cloud, denen ein Hardwareteil zugrunde liegt, der nicht einfach zu kopieren ist. In diesem Bereich sind wir in der Schweiz sehr gut aufgestellt. Zum Beispiel im Bereich Sensoren.

Konkreter, bitte!

Wir haben etwa in eine Firma investiert, die einen raffinierten Vitalparameter-Sensor baut, der so hochgradig miniaturisiert ist und zu solch interessanten Kosten herstellbar ist, dass er in ein Smartphone eingebaut werden kann. Dann kann man mit dem Telefon am Finger den Blutdruck messen, Puls, Sauerstoffsättigung, EKG und so weiter. Der Wert der Firma macht die Verfügbarkeit kontinuierlicher Daten im Netz aus und die medizinischen Erkenntnisse, die daraus entstehen. Der Schlüssel dazu ist der Sensor. Mich reizt die Zwischenwelt zwischen handfester Hardware und Digitalisierung, skalierbare Modelle, bei denen beides zusammenkommt. Solche Geschäftsmodelle sind extrem mächtig. Ich kann mir über Hardware einen echten Vorsprung und einen gewissen Schutz erarbeiten.

Warum hat es bisher noch kein schweizerisches Start-up-Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar gegeben?

Ein sogenanntes «Unicorn» baut seinen Milliardenmarkt selber auf. Diesen Marketingeffort verstehen wir in der Schweiz zu wenig. Da haben wir nicht genug Erfahrung.

Was sind weitere Hindernisse für schweizerische «Unicorns»?

Das Schweizer Obligationenrecht macht es zumindest nicht immer einfacher. Ein Start-up im frühen Stadium, ohne fertiges Produkt oder Umsatz, operiert naturgemäss mit Kapitalverlust. Die Firma brennt schnell durch ihr Kapital, und gemäss Artikel 725 ist der VR für verschiedene Massnahmen verantwortlich, die nicht wertschöpfend sind, bevor man richtig angefangen hat. Warum nicht das OR anpassen und mit bestimmten Artikeln auch den Themenfeldern Innovationen und Start-ups Rechnung tragen?

Warum sind Sie überhaupt im Venture-Bereich gelandet?

In den USA sagt Ihnen jeder Venture Capitalist: execution is everything. Die Zühlke-Gruppe entwickelt Ideen zur Produktreife und ist ein effizienter und erfahrener Umsetzungspartner. Dies ist Wissen, das entscheidend sein kann für einen Investor. Also haben wir beschlossen, als informierter Investor Risiko zu nehmen, uns an Start-ups zu beteiligen, um am Ende die volle Wertschöpfung zu erhalten.

Start-ups sind konjunkturresistent. Jährlich werden 20 000 neue Jobs geschaffen.

Ich habe mir die Zahlen von der Stanford University angeschaut. Man schätzt, dass die Alumni mit ihren Start-ups seit den 1930er Jahren über 3 Millionen Jobs geschaffen haben und mehr als 3 Trillionen USD Umsatz pro Jahr machen. Harvard und MIT bewegen sich in ähnlichen Grössenordnungen. Unglaubliche Zahlen, wenn man bedenkt, dass das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz im Bereich von 700 Milliarden CHF ist.

Das ist eine unglaubliche Maschinerie.

Deshalb verstehe ich das Verhalten der schweizerischen Pensionskassen nicht. Dass die bloss im Promillebereich ins schweizerische Ökosystem investieren, ist zu wenig. Aus meiner Sicht müssten sie mehr machen. Einer Pensionskasse muss es wichtig sein, was mit dem Wirtschaftsplatz Schweiz passiert. Und wenn wir sagen, Innovation sei wichtig, hat die Pensionskasse die Aufgabe, in diese Richtung zu wirken. Stanford’s Endowment Fund ist einer der erfolgreichsten und hat ungefähr 25 Prozent der Assets in Private Equity angelegt, ein Grossteil davon in Venture-Kapital. Wir können und sollen nicht das Stanford-Konzept kopieren, aber nur schon ein Prozent würde bei uns einen riesigen Unterschied machen. Wir beobachten zudem, dass Schweizer Technologiefirmen Produkte, speziell auch Medizinprodukte, sehr effizient in die Serie bringen. Darin sind wir Weltmeister. Und das hat es uns auch schon ermöglicht, eine unfertige, vielversprechende Technologie zu uns in die Schweiz zu holen, ein Produkt daraus zu entwickeln mit dem Ziel eines Verkaufs an eine grosse Firma, wahrscheinlich wieder im Ausland. Da sind wir stark. Jetzt könnte man ein Brikett nachlegen, dem Standort Schweiz einen Extrakick geben und richtig schön Wert schöpfen.


Patrick Griss
ist promovierter Ingenieur der Mikrotechnik, Co-Gründer der Zühlke Ventures AG und Partner der Zühlke-Gruppe.


Florian Rittmeyer
ist Chefredaktor des «Schweizer Monats».


Mitarbeit: Gregor Szyndler

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