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Übertreibung ruiniert die Demokratie

Aristoteles, zitiert aus: «Politik», Artemis Verlag

«Man kann sich auch fragen, wozu es der Tugend bedarf, wenn einer gleichzeitig Fähig- keiten und Verfassungstreue besitzt; diese zwei Eigenschaften sollten allein alles Erforderliche leisten können. Oder können solche, die diese beiden Eigenschaften haben unbeherrscht sein? Und so wie einige zwar sich selbst kennen und lieben, aber doch ihrem Interesse nicht zu dienen vermögen, so kann es zuweilen auch im Staate sein.

Allgemein erhält all das die Verfassungen, was wir bei den Gesetzten als zweckmässig für eine Verfassung bezeichnen. Das Grundlegende ist das, was wir schon oft wiederholten: dafür zu sorgen, dass immer eine verfassungstreue Mehrheit vorhanden sei. Ausserdem darf man nicht übersehen, was faktisch alle verfehlten Verfassungen übersehen: die Mitte. Denn vieles, was demokratisch zu sein scheint, zerstört die Demokratie, und vieles Oligarchische die Oligarchie. Solche Leute meinen, das einzige Richtige sei das Fortschreiten zum Extrem, und sehen nicht, dass etwa eine Nase von der vollkommenen Geradheit etwas zur Habichtnase oder Stumpfnase abweichen kann, aber dennoch schön und anziehend bleibt, dagegen nicht mehr, wenn sie bis zum Extrem weitergeht: dann wird sie zuerst die rechten Proportionen verlieren und schliesslich so aussehen, dass man sie vor lauter Übermass an der einen und Mangel an der entgegengesetzten Eigenschaft gar nicht mehr für eine Nase wird halten können. Dasselbe kann man von den anderen Körperteilen und so auch von den Verfassungen sagen. Denn eine Oligarchie oder Demokratie kann lebensfähig sein, auch wenn sie von der vollkommenen Verfassung abweicht. Wenn man aber die eine oder andere extrem durchführt, dann wird man die Verfassung zuerst verschlechtern und schliesslich überhaupt zugrunde richten. Darum müssen der Gesetzgeber und der Politiker wohl bedenken, welche der demokratischen Einrichtungen eine Demokratie erhalten und welche sie ruinieren und ebenso bei der Oligarchie. Denn keine von beiden kann Bestand und Dauer haben ohne die Wohlhabenden und ohne die Menge; vielmehr wenn etwa die Vermögen gänzlich ausgeglichen sind, so entsteht eine neue Staatsform. Mit übertriebenen Gesetzen also zerstört man die Verfassungen.»

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