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Über nachhaltigen und modernen Miserabilismus

Als ich zufällig im jüngsten Positionspapier des Bundesrats zur «Agenda für eine Nachhaltige Entwicklung» zu lesen begann, glaubte ich an eine Verwechslung.1  Diese willkürliche Aneinanderreihung von Begriffswolken, so sagte ich mir, kann unmöglich von der Landesregierung stammen. Wie sich zeigte, habe ich mich getäuscht. Das Elaborat wurde zwar von zuständigen Behörden verfasst, doch hat es […]

Als ich zufällig im jüngsten Positionspapier des Bundesrats zur «Agenda für eine Nachhaltige Entwicklung» zu lesen begann, glaubte ich an eine Verwechslung.1  Diese willkürliche Aneinanderreihung von Begriffswolken, so sagte ich mir, kann unmöglich von der Landesregierung stammen. Wie sich zeigte, habe ich mich getäuscht. Das Elaborat wurde zwar von zuständigen Behörden verfasst, doch hat es der Bundesrat hochoffiziell abgesegnet und mit den höchsten staatlichen Insignien ausgestattet. Er malt darin den Teufel an die Wand – und gibt sich dadurch gleich selbst das Mandat, alle möglichen Massnahmen unter das Label der «Nachhaltigen Entwicklung» [grossgeschrieben!] zu stellen.

Das Positionspapier ist ein beeindruckendes Dokument des modernen Miserabilismus. In den Blick genommen wird alles, was nicht ist, wie es aus Sicht der selbsternannten Nachhaltigkeitsapostel sein sollte. Die Welt scheint bevölkert von Menschen, denen übel mitgespielt wird: Jeder ist irgendwie benachteiligt, ausgegrenzt, entrechtet und abgehängt. Die Erde ist ein einziges Jammertal, es wimmelt selbst im wohlhabenden Westen von systematischer Diskriminierung, und wer sich angesichts dieser Ungerechtigkeiten noch über seinen Wohlstand freut, kann nur ein Zyniker von Gottes Gnaden sein.

Gleich einleitend heisst es: «In den letzten Jahren ist die Welt mit einer hartnäckigen Krise konfrontiert worden: Die Arbeitslosigkeit hat Rekordwerte erreicht, die ökologischen Gefahren nehmen zu, wenig nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sowie die demografische Entwicklung haben den Druck auf die natürlichen Ressourcen erhöht, und anhaltende Ungleichheiten untergraben den sozialen Zusammenhalt.» Arbeitslosigkeit ist nicht nachhaltig, Ungleichheit auch nicht, Klimawandel ohnehin nicht, Krieg nicht, häusliche Gewalt nicht, schlechte Luftqualität sowieso nicht – und so zieht sich das über Seiten hin, von der Beschwörung des Kriegs bis hin und hinab zur Anleitung zu richtiger Ernährung und einem gesunden Lebenswandel. Sind all diese Probleme erst einmal erkannt, kommt die Politik zum Zug, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Lässt man sie gewähren, schafft sie kurzerhand die Arbeitslosigkeit aus der Welt, macht alle wohlhabender, stabilisiert den Klimawandel, sorgt für gute Luft, schafft Zugang zu sauberem Wasser. Wenn alle nachhaltig leben, sind künftig bestimmt auch die Wirtschaftskrisen gebannt. Wer angesichts so schöner Aussichten daran zu erinnern wagt, dass jedes Handeln unbeabsichtigte Konsequenzen hat und einen Preis – nun, er kommt sich vor wie ein Ewiggestriger. Und wer gar fragt, warum es überhaupt noch Übel gibt auf dieser Welt, die unter dynamischen Knappheitsbedingungen funktionieren muss – nun, für den kann es nur eine Antwort geben: Die in Konferenzzimmern verfassten Parolen sind noch nicht dort angekommen, wo sie sollten.

Mit auffälliger Häufigkeit ist im bundesrätlichen Positionspapier von «Gesundheit» die Rede: «Gesundheit ist Vorbedingung, Indikator und Ergebnis von Fortschritten im Bereich der Nachhaltigen Entwicklung [grossgeschrieben!].» Mit anderen Worten: Gesundheit lässt sich messen, und sie macht Nachhaltige Entwicklung [grossgeschrieben!] erfahr- und messbar. Hier kommt nun das Individuum ins Spiel, das Objekt pseudonachhaltiger Manipulation. Weiter: «Dieses Gesundheitsziel fördert auch die Umsetzung evidenzbasierter Massnahmen [!], die einen gesunden Lebensstil begünstigen, Risikofaktoren bekämpfen und auf die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, umweltbedingten und politischen Determinanten von Gesundheit einwirken.» Der moderne Miserabilismus mündet also in eine Art säkularer Ökoreligion, die zu einem gesunden Leben anhält. Nicht nachhaltig zu leben, wäre so gesehen eine moderne Form der Sünde am Planeten (und den Mitmenschen). Der unbedarfte Leser kann über so viel floskelhafte Unbestimmtheit einerseits nur staunen. Anderseits hat er aber auch guten Grund, seine Stirn in Sorgenfalten zu legen – mit dieser Anleitung zu einem gesunden Leben lässt sich jede Form der Volkserziehung rechtfertigen.

Darum meine ewiggestrige Gegenposition: Nachhaltig ist nicht, wer unter Berufung auf ein neues ökosoziales Glaubens­bekenntnis leugnet, dass alles menschliche Handeln einen Preis hat. Nachhaltig agiert vielmehr, wer diesen Preis selbst zu zahlen bereit ist – statt ihn auf andere abzuwälzen.

 


1 Schweizer Position zur Agenda für eine Nachhaltige Entwicklung post-2015 www.deza.admin.ch/ressources/resource_de_225086.pdf

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