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(4) Tüftler, Unternehmen oder kollektive Anstrengungen?

mit Thomas Held Im Privatsektor werden Produktivitätssteigerung und Anregung der Innovationstätigkeit umgesetzt. Der Staat ist eher für die Rahmenbedingungen verantwortlich. Hinter Innovationen stecken jedoch nicht immer private Tüftler, sondern oft auch kollektive Anstrengungen mit staatlicher Präsenz.

Wo wird Produktivität konkret umgesetzt? Im Alltag sind es die Unternehmen, die ein gutes Teil dazu beitragen müssen, dass man den in der «Lissabon»-Strategie festgelegten Zielen näher kommt. Unternehmen haben zwar ihre eigenen Probleme und Ziele, aber vor allem in Forschung und Entwicklung sollte auch der Staat seine Rolle wahrnehmen und jene unterstützen. So ungefähr lässt sich umreissen, worum es den Vertretern aus der Industrie und der betriebswirtschaftlichen Forschung ging, als sie an der Zermatter Tagung die Rolle der Unternehmen im «Lissabon»-Prozess beleuchteten. Dabei entstand stellenweise der Eindruck, in Unternehmen und Betriebswirtschaft hätte man eine Art europäisches Modell des Menschen, des Unternehmens und der Unternehmensführung vor Augen, das der Globalisierung in gewisser Hinsicht trotzen würde. Die Tatsache, dass Siemens und BASF mit Referenten vertreten waren, verlieh der deutschen Sicht ziemlich grosses Gewicht.

Als Vertreter der betriebswirtschaftlichen Forschung stand zudem Santiago Garcia Echevarria (Universität Alcala) der deutschen Sicht nah. Er betonte, dass in der europäischen Wirtschaft eine Transformation nötig sei, um zu jener Effizienz zu gelangen, die für beschleunigtes Wirtschaftswachstum nötig wäre. Im Kern ging es ihm um eine Reduktion der Koordinationskosten in einer Firma. Seiner Ansicht nach wäre dies in einer netzwerkartigen Organisationsstruktur, in der Werthaltungen und Transparenz wichtig sind, eher zu erreichen als in den strengeren Strukturen der heute aktuellen Modelle. Firmen müssten Führung besser auf die Menschen und die Innovationskraft ausrichten, wogegen die heute dominierende Konzentration auf Kostensenkungsmassnahmen Werte vernichte. Produktivität solle vielmehr durch Fortschritte auf der Outputseite – «also über, nicht unter dem Bruchstrich» –, verbessert werden. Echevarria wandte sich wiederholt gegen eine allzu starke Betonung des Shareholder-Value, unter anderem mit dem Hinweis auf Aussagen von Heinrich von Pierer, der bis vor kurzem Chef des Siemens-Konzerns war.

Pierer hat seine Aufzeichnungen zusammen mit dem ehemaligen Strategiechef des Siemens-Konzerns, Michael Mirow, veröffentlicht; und Mirow war ebenfalls am Zermatter Symposium, um im Zusammenhang mit der «Lissabon»-Strategie die unternehmerische Sichtweise darzulegen. Mirow erinnerte daran, dass es ja nicht die Regierungen seien, die Produkte herstellten und Arbeitsplätze schüfen; Regierungen müssten nur für den Rahmen sorgen, in dem die Unternehmen dann arbeiten könnten. Die «Lissabon»-Strategie sei somit Sache der Politik; die Unternehmen hätten ihre eigene Agenda zu erledigen und sich unter anderem der Globalisierung zu stellen. Firmen seien praktisch gezwungen, internationale Kostenunterschiede weitgehend auszunützen und mit den Fabriken mehr oder weniger den grossen Märkten zu folgen.

Mit Umsatz und Wertschöpfung, geographisch gesehen, den «Märkten und den Kosten folgen» – bedeutet das, dass sich die Firmen von Europa abwenden müssen? Mirows Botschaft war gemischt. Einerseits gibt es seiner Ansicht nach meistens so etwas wie einen Heimatstandort eines Konzerns, an dem die Manager hinsichtlich Investitionen und Arbeitsplätzen mit einigem Beharrungsvermögen festhielten. Anderseits seien Verlagerungen nach Asien und teilweise Amerika im Gange, die unausweichlich seien. Das Beispiel Siemens zeigt, dass die weltweite Präsenz des Unternehmens von seiner deutschen Herkunft noch deutlich gepägt ist. Die Umsätze des Konzerns sind viel stärker auf die Heimmärkte Deutschland und Europa konzentriert als auf die Weltmärkte, in denen Siemens tätig ist. Siemens erzielte 2004 noch immer einen Viertel aller Umsätze in Deutschland, der deutsche Markt macht aber nur 6 Prozent des entsprechenden Weltmarktes aus. Noch bedeutender ist der Kontrast bei den Arbeitsplätzen, von denen fast zwei Fünftel sich noch in Deutschland befinden.

Mirow betonte indessen, dass Konzerne wie Siemens laufend Anpassungen vornähmen, um die Kosten in bessere Übereinstimmung mit der Umsatzgeographie zu bringen. Neben Währungseinflüssen sei in vielen Märkten eine lokale Produktion günstiger als Lieferungen über weite Strecken. Er wies aber auch darauf hin, dass europäische Standorte durchaus Vorteile auszuspielen hätten, da nicht allein die Arbeitskosten, sondern die totalen Kosten, einschliesslich Qualität und Risiken, ausschlaggebend seien. Ähnlich argumentierte Klaus Heinzelbecker von BASF. Er skizzierte unter anderem die «Migration» der Autoindustrie, die sich aus Europa nach China verlagere und die Zulieferer sozusagen zum Mitziehen zwinge.

Was können oder sollen Politiker, die die europäische Wirtschaft in Schwung bringen wollen, angesichts dieses Wanderungsdrucks unternehmen? In der Diskussion liessen Industrievertreter erkennen, dass ihnen eine europäische Technologiepolitik willkommen wäre, in der die Entwicklungsrichtung vorgezeichnet und gleichfalls Mittel für Forschung und Entwicklung verteilt würden. Mirow sprach sich zwar auch für Deregulierung aus und dafür, dass die Schaffung «europäischer Industrie-Champions» nicht der Politik, sondern den Märkten zu überlassen sei, aber das mehrfach vorgebrachte Plädoyer für europäische Werte, Kultur oder Identität erweckte doch den Eindruck, dass «Lissabon» in der Industrie ein Stück weit ebenfalls als kollektive Herausforderung angesehen wird.

Beat Gygi ist Wirtschaftsredaktor der NZZ.

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Innovation durch Markt- wie auch Staatswirtschaft

Im Kern der Agenda von Lissabon steht das Bekenntnis zu Innovation, und auch der nationale Diskurs über Wirtschaftswachstum und die dafür notwendigen Reformen scheint sich immer stärker auf dieses Thema auszurichten. Die neue Begeisterung für Innovation in einem eher technik- und wissenschaftsskeptischen Umfeld mag erstaunen. Sie ergibt sich zunächst aus der inhaltlichen Unbestimmtheit des Innovations-Begriffs: was den einen ihr Windrädchen, ist den anderen ihr Reaktor. Aber der fast inflationäre Gebrauch des Begriffs Innovation hat auch damit zu tun, dass dieser Zauberbegriff die wirtschaftspolitische Konfrontation zwischen «Etatisten» und «Free-Marketern», zwischen «Umverteilern» und «Sparern», kurz: zwischen links und rechts scheinbar überwindet. Innovation verspricht Produktivitätssprünge, Wachstum ohne Arbeit (d.h. auch bei schrumpfender Erwerbsbevölkerung), ein ökonomisches Schlaraffenland, in dem sich die Renten- und anderen Transferprobleme wie von selbst lösen.

Vom breiten Konsens bezüglich der zentralen Bedeutung der Innovation, hin zum Ruf nach Innovationsförderung und von da zu politischen Programmen, Aktionen und Interventionen sonder Zahl, führt – in der von Interessengruppen beherrschten modernen Demokratie – nur ein kurzer Weg. Auch wer von einem marktwirtschaftlichen Standpunkt aus argumentiert, gerät unter dem Imperativ von Innovations- bzw. Technologie-Initiativen leicht in die Versuchung, mehr Mittel, auf jeden Fall aber ein grösseres Engagement des Staates zu fordern. Aber auch eine gegensätzliche Position findet sich in der liberalen Diskussion. Auf einer Tagung der Progress Foundation in Schwarzenberg (zum Thema «Technischer Fortschritt und Wirtschaftsordnung», 2004) wurde die aktuelle Forschungs- und Technologieentwicklung als (zunehmend) kollektivistisch eingeschätzt, eher als potentielle Gefahr für die Freiheit und gerade nicht als Stärkung des unternehmerischen Individuums. In dieser Perspektive wurde auch die Bedeutung, die Joseph Schumpeter der organisierten Forschung und damit den Grossunternehmen – und somit letztlich auch dem Staat – im Innovationsprozess zumass, fast schon als Häresie eingestuft.

Zur Klärung der Diskussion ist es wahrscheinlich nützlich, idealtypisch zwischen zwei Entwicklungslinien (technologischer) Innovation zu unterscheiden. Der technologische Fortschritt via Staatswirtschaft gewann in den nationalstaatlichen Auseinandersetzungen im 18. und 19. Jahrhundert, vor allem aber in den beiden Weltkriegen und ganz besonders im Kalten Krieg und im Systemwettbewerb immer mehr an Bedeutung. Historische Höhepunkte dieser organisierten, ja unter staatlichem Zwang erzielten Innovation sind das «Manhattan-Projekt» und die Apollo-Mission, die dann ihre staatliche Fortsetzung nicht nur im Abschreckungs- und Frühwarnwettlauf (mit dem weltgeschichtlichen Erfolg des «Star Wars»-Projektes), sondern auch im zivilen Bereich gefunden haben (im Zusammenhang mit CERN, Fusionsreaktor, NASA, ESA etc.).

Auch das Internet – heute Basisinstrument und gleichzeitig Metapher für den individualistischen, vom Markt bestimmten technologischen Fortschritt – hat seinen Ursprung im Wettrüsten und wurde während Jahrzehnten durch staatliche Mittel gefördert. Der Wissenschaftsjournalist Gero von Randow spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Politik Innovationen voranbringen kann, «wenn es ums Ganze geht». Es ist Innovationspolitik nach dem Top-Down-Prinzip: die Politik bringt Leute und Geld zu einem nationalen Kraftakt zusammen, unten kommt die Innovation heraus. Dies funktioniert nicht nur im Krieg, sondern auch bei der Verfolgung europäischer strategischer Interessen gegenüber einem möglichen amerikanischen Monopol. Als Erfolg in diesem Sinne gelten etwa die Projekte Ariane, Galileo und Airbus. Bei der Nano-Technologie und der sogenannten Pentaflop-Generation der Supercomputer dagegen stehen die USA mit Japan und zunehmend mit China im Wettbewerb um die Weltführerschaft.

Die Beispiele zeigen, dass neben strategischen und handelspolitischen Interessen auch das ökonomische Argument des Marktversagens zugunsten einer staatswirtschaftlich organisierten Innovation angeführt werden kann. Die Investitionsvolumina und Laufzeiten für die genannten Branchen, in denen Grössenvorteile wichtig sind (nach Beat Hotz-Hart), implizieren Risiken, die nur noch vom Staat, in manchen Fällen – etwa im Zusammenhang mit Teilchenbeschleunigern oder dem Fusionsreaktor – nur noch von Staatengemeinschaften übernommen werden können.

Gegenüber dieser staatswirtschaftlichen technologischen Innovation hat sich aber gerade im letzten Jahrzehnt wieder ein individualistisches, wenig reguliertes und sehr marktnahes Innovationsmodell in den Vordergrund geschoben. Die «digital revolution», die «New Economy», aber auch ein grosser Teil der neuen «life sciences» sind geprägt von Erfindern und Gründern, von Schumpeterschen Einzelunternehmern in Reinkultur, und vom Prozess permanenter schöpferischer Zerstörung. Wenn man im Magazin «WIRED» – Produkt und Zeuge dieser Epoche zugleich – zurückblättert, springt einem die gesellschaftliche Glorifizierung dieser Entrepreneurs ins Auge, die meist auch selber Ingenieure sind.

In der Innovationskultur der verschiedenen «Valleys» dominiert eine risikoreiche, aber fruchtbare Mischung von härtestem Wettbewerb und offenem, schnellen Austausch – Open Source ist ein typisches Beispiel. Die Orientierung am Peer-to-Peer-Modell, am «Empowerment» des Nutzers und Konsumenten bringt immer wieder entscheidende Innovationen hervor, wie dies etwa Netscape, Google, Napster oder Gnutella veranschaulichen. Da funktioniert bis zu einem gewissen Grad auch die Gründer-Romantik, wonach David gegen Goliath gewinnen kann. Der Erfolg macht den erfolgreichen Innovator, der auf verbesserte Produkte für eine bestehende Kundenbasis zielt, anfällig für den Angriff des disruptiven Innovators, der keine Kunden zu verlieren hat, kurz: «in disruptive technology battles, the newcomers to the industry almost invariably crush the incumbent» (Clayton Christensen, «The Innovator’s Dilemma»).

Beat Hotz-Hart skizziert als Beobachter der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit eine Evolution von der Technikproduktion im Kalten Krieg über die Förderung der Technologiediffusion ab den 1970er Jahren zu einem sogenannten Realtransfer und schliesslich zu einer Stärkung von Innovationsnetzwerken. Man könnte aber auch eine historische Kontinuität und Parallelität der zwei hier skizzierten Innovationsprozesse postulieren. Im Falle des eher «staatsnahen» Prozesses bestehen sehr grosse Pfadabhängigkeiten sowohl von nationalen Industrieverfassungen als auch von der in Frage stehenden Wissenschaft bzw. ihrer Tools und Risiken. Diese Charakteristika der Industrie und der entsprechenden Wissenschaften kann man kaum verändern. Es ergibt selbst aus liberaler Sicht wenig Sinn, in diesem Bereich für einen Abbau staatlicher Aktivitäten zu plädieren, nicht zuletzt weil damit Steuergelder nicht eingespart, sondern höchstens noch stärker zu konsumptiven Staatsaufgaben verschoben würden.

Viel entscheidender ist jedoch, dass die eher «staatsfernen» Innovationsprozesse nicht reguliert oder beispielsweise durch staatliche Konkurrenzen eingeschränkt werden. Kürzlich wurde berichtet, dass das FBI und das Pentagon via eine echte Venture-Capital-Firma Startunternehmer in Zusammenarbeit mit privaten Investoren finanzieren. Das Beispiel zeigt, dass in der Beurteilung der Innovationspolitik nicht so sehr die Frage «Staatliche Förderung oder Markt?» im Vordergrund steht, sondern vor allem die Frage der Organisation, und damit jene der Handlungsspielräume für kreative und unternehmerische Individuen. Es scheint, dass die für die USA typische Delegation selbst der vom Staat finanzierten Innovationsanstrengungen an weitgehend autonome Institute und Firmen, und teilweise auch an Investoren, jenes Anreizklima schafft, dessen Fehlen an den europäischen Universitäten und staatlichen Forschungseinrichtungen immer wieder beklagt wird.

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(5) Ansprüche an die Hochschulen

mit Thomas Straubhaar und Alexander Zehnder Die Hochschulen sind im Prinzip für die Wachs-tumsfaktoren Bildung und Forschung zuständig und für einen Teil des Wissenstransfers verantwortlich. Europa scheint auf diesen Feldern weniger effizient zu sein als die USA, unter anderem, weil auf dem alten Kontinent das Proporzdenken dominiert.

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