Truth Matters!
Ja, wir sind anfällig für Unwahrheiten – aber wir sind nicht faktenresistent. Untersuchungen zeigen: beim Kontakt mit fundiertem Widerspruch korrigieren wir falsche Vorstellungen.
Akzeptieren Menschen Fakten, auch wenn diese ihren politischen Ansichten widersprechen? Diese Frage konnte bisher von der Forschungsgemeinschaft nicht eindeutig beantwortet werden. Die eine Denkschule beantwortet sie mit einem klaren «Nein»: Wenn Menschen mit Fakten konfrontiert sind, die ihr politisches Engagement oder ihre Loyalität in irgendeiner Weise in Frage stellen, so lehnen sie diese Fakten nicht nur ab, sondern sie glauben sogar noch stärker an das Gegenteil, sie ziehen sich also sozusagen noch weiter in ihr Schneckenhaus zurück. In der Fachliteratur wird das als «Backfire Effect» bezeichnet. Die andere Denkschule nimmt – etwas optimistischer – an, dass Menschen unwillkommene Fakten zwar nicht mit Handkuss begrüssen, aber eben doch annehmen.
Die Debatte darüber ist bei weitem nicht nur akademischer Natur. Auf dem Spiel steht die grundlegende Funktionsfähigkeit der Demokratie. Ist der «Backfire Effect» ein weitverbreitetes Phänomen, würde Parteinahme Stimmbürger unabänderlich vor der Wahrheit blenden, Aufklärung wäre sinnlos, Schwarz wäre Weiss, oben wäre unten.
Um dieser Debatte auf den Grund zu gehen, haben wir 2016 eine Reihe von Experimenten durchgeführt. Gesamthaft nahmen über 10 000 Amerikanerinnen und Amerikaner daran teil. Sie wurden mit echten Beispielen politischer Fehlaussagen konfrontiert, und zwar seitens der Republikaner wie auch seitens der Demokraten. Erstere übertrieben z.B. die US-Steuerbelastung, letztere die Entwicklung der Schusswaffengewalt. Es gab auch Gegenstände, über die beide Seiten falsche Angaben verbreiteten, wie z.B. den Anteil der von China gehaltenen US-Schulden. Nach dem Zufallsprinzip wurde dann ein Teil der Studienteilnehmer einer sachlichen Korrektur ausgesetzt – basierend auf neutralen Bundesstatistiken, also empirischen Daten. Beispielsweise weisen verschiedene Surveys nach, dass die Verbrecherquote unter Einwanderern niedriger liegt als unter Nichteinwanderern. Damit wurde die Behauptung des damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump korrigiert, mexikanische Immigranten hätten einen Hang zur Kriminalität. Auf der anderen Seite wurde Präsidentschaftskandidatin Hillary Clintons Aussage, Hedgefonds-Manager würden weniger Steuern bezahlen als Krankenschwestern oder Lastwagenfahrer, mit der Steuerstatistik widerlegt, die aufzeigt, dass sie in Wirklichkeit durchschnittlich zwanzigmal mehr Steuern bezahlen. In einigen Anordnungen wurden die Themen bloss als Falschaussage mit beiliegender Korrektur präsentiert, in anderen wurden die falschen Informationen und die Korrektur in längere Nachrichtenartikel eingebettet. Wir haben kontroverse Themen ausgewählt, die die Wahrscheinlichkeit für ein «Backfiring» maximieren sollten. Gesamthaft wurden 36 Aussagen (siehe Abbildung) getestet.
Die Teilnehmer wurden gebeten, ihre Zustimmung zu einer Aussage auf einer Skala von 1 bis 5 anzugeben. Im Falle das «Backfiring» wäre zu erwarten, dass die Zustimmung von Personen, die den Republikanern bzw. den Demokraten zugeneigt sind, für eine Falschaussage ihres jeweiligen politischen Repräsentanten im Falle der Korrektur nicht ab-, sondern sogar zunimmt.
Für keine einzige Aussage haben wir ein solches «Backfiring» beobachtet. Nicht nur die durchschnittliche Person hat ihre Meinung in Richtung der Wahrheit verändert, sondern auch der durchschnittliche Republikaner bei Korrekturen, die die politische Agenda der Demokraten stützen und vice versa (vgl. Abbildungen). Natürlich gab es vereinzelt Testpersonen, die ihre falsche Ansicht verhärteten, aber ein Massenphänomen ist das nicht.
Das bedeutet nun aber natürlich nicht, dass sich Bürger ihre politischen Ansichten allein auf der Grundlage von Fakten bilden. Parteinahme kann eine soziale Identität sein, ähnlich der Religion, die eine tiefe Verbundenheit unter ihren Anhängern hervorruft. Aber der Macht dieser sozialen Identität sind anscheinend Grenzen gesetzt. Der Glaube an absolute Unwahrheiten wird schwächer, wenn die Menschen der Wahrheit ausgesetzt sind. Das ist eine erfreuliche Botschaft. Sie ist allerdings nur die halbe Miete für eine gut funktionierende Demokratie: von den Bürgern ist auch die Bereitschaft gefordert, sich immer wieder aus ihren «Filterbubbles» herauszubewegen und den Diskurs mit Andersdenkenden aufrechtzuerhalten. Denn wenn man mit wahren Fakten gar nicht erst in Berührung kommt, hilft es herzlich wenig, dass man sich von ihnen potenziell eines Besseren belehren lassen würde.
Ethan Porter
ist Assistenzprofessor an der School of Media and Public Affairs der George Washington University.
Thomas Wood
ist Assistenzprofessor am Department of Political Science der Ohio State University.