Trump muss gehen,
der Trumpismus bleibt
Als Präsident hat Donald Trump die Republikanische Partei neu ausgerichtet – und die nächste Generation von Konservativen führt den Kurs fort. Die Zeichen stehen auf Kulturkampf.
«Das Verhalten der Republikanischen Partei in dieser Nominierung ist ein bemerkenswertes Kennzeichen einer Kleingeistigkeit, die sich noch selbst verkleinert. Links liegen lassen sie (…) Staatsmänner und fähige Typen und stellen einen viertklassigen Redenhalter auf, der keine gute Grammatik beherrscht.» Was sich liest wie ein typischer Satz aus der «New York Times» zum populistischen Schwenk der Republikaner unter Donald Trump, stammt in Wahrheit aus der «New York Tribune» des 19. Mai, 1860.1 Die Partei war dieselbe, aber ihr Kandidat hiess damals Abraham Lincoln, der ihr grösster Präsident und, nach seiner Wiederwahl, ermordet werden sollte. Präsident Trump hat die letzte Wahl verloren, aber ist lebendiger, als viele glauben.
Auch zur diesjährigen Präsidentschaftswahl gab es zahlreiche mediale Fehleinschätzungen. Von einem Erdrutschsieg, wie ihn viele ankündigten, kann bei Joe Bidens verkrampftem Erfolg keine Rede sein. Trump hat Millionen an Stimmen hinzugewonnen; attackierte Senatssitze konnten die Republikaner erfolgreich verteidigen, im Abgeordnetenhaus gewannen sie deutlich hinzu. Auch innerhalb der Bundesstaaten blieb die von den Demokraten erhoffte «blaue Welle» aus; im kleinen New Hampshire entglitt ihnen sogar die Kontrolle über beide gesetzgebende Kammern, in Montana das Amt des Gouverneurs.2 Trotz immensen Wahlkampfausgaben sind sie nun schwach aufgestellt für die anstehenden Neuzuschneidungen wichtiger Wahlbezirke.3 Die New York Post traf den Nagel auf den Kopf, als sie am Morgen nach der Wahlnacht titelte: «Egal, wer gewinnt: Die Umfragen, die Experten, die Presse lagen alle falsch, falsch, falsch.»
Demokratische Dominanz
Dass Trump nicht vollends gescheitert ist, lässt sich aber nicht nur am Wahlergebnis ablesen, sondern auch an der Art und Weise, in der er schon zum zweiten Mal unterschätzt wurde. Es hat sich bestätigt, worüber lange spekuliert wurde, nämlich dass insbesondere gebildete Trump-Wähler aus Sorge um berufliche Nachteile zur Verschleierung ihrer Wahlpräferenzen neigten, und sei es in einem einseitig maschinell geführten Telefongespräch mit einem Umfrageinstitut. Diese sogenannten «schüchternen Trumper» verzerrten Wahlprognosen zugunsten der Demokraten.4 Ihr Verhalten deutet darauf hin, dass der populistische Schlachtruf gegen das «Establishment» nicht aus der Luft gegriffen ist. Das übersehene Amerika benötigt auch in Zukunft Fürsprecher, denen Trump eine belastbare politische Machbarkeitsstudie vorgelegt hat. Diese wird durch seine Abwahl relativiert, aber nicht zerstört.
In der NZZ hat Hans Ulrich Gumbrecht die Präferenzverschleierungen dahingehend gedeutet, dass fast die Hälfte der amerikanischen Bürger sich «in der Öffentlichkeit als Raum der Repräsentation nicht mehr zu Hause» fühle.5 Aber in welchen öffentlichen Räumen konnten Trumps Wähler sich bisher repräsentiert fühlen? Oft sehen sie sich auch von traditionellen Republikanern nicht adäquat vertreten. Diese wiederum sind zwar in den gewählten Einrichtungen etwa gleich stark vertreten wie die Demokraten, am obersten Gerichtshof seit kurzem sogar mit leichtem Überhang. In fast allen anderen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen – Verwaltung, Bildung, Hollywood, Silicon Valley – dominieren die Demokraten jedoch so deutlich, dass bereits darin erkennbar wird, aus welchen Quellen das Unbehagen der «schüchternen Trumper» zehren mag. Wie eine Untersuchung von RAND vor vier Jahren zeigte, spricht Trump besonders jene Amerikaner an, die von sich sagen: «Leute wie ich haben keine Mitsprache.»6
«Das falsch dargestellte, übergangene und vergessene Amerika ins Zentrum zu stellen, ist ein Verdienst von Donald Trump.»
Besorgniserregend ist die mediale Repräsentationslücke. Schon 2013 war der Anteil an Journalisten, die sich selbst als Republikaner bezeichnen, auf 7 Prozent abgeschmolzen, bei immerhin 28 Prozent Demokraten. Der Trend geht zu modernen, internetlastigen Medienjobs, die in linkeren urbanen Zentren konzentriert sind.7 Dass die Berichterstattung oft unzuverlässig ist, verdeutlicht – unbeabsichtigt – auch Gumbrecht in der NZZ, wenn er behauptet, Bidens Ankündigung, ein «Präsident aller Amerikaner» zu werden, sei ein Versprechen, «das ja ausser Trump alle Vorgänger im Amt gemacht haben». Tatsächlich sagte Präsident Trump in seiner Siegesrede 2016: «Ich verspreche jedem Bürger unseres Landes, dass ich Präsident für alle Amerikaner sein werde, und das ist mir sehr wichtig.»
Die Arbeiterklassenkoalition
Das falsch dargestellte, übergangene und vergessene Amerika ins Zentrum zu stellen, ist ein Verdienst von Donald Trump. Als parteipolitisches Vermächtnis dürfte deshalb sein Ansatz zur Neuausrichtung der Republikaner überdauern, die er bereits nach seiner Amtseinführung zur neuen Arbeiterpartei ausrief.8 Er überführte die althergebrachte konservative Skepsis gegenüber der Zentralregierung in einen Missmut gegenüber institutionellen Eliten, dem sich auch Minderheiten und enttäuschte Demokraten leichter anschliessen können. David Shor, ein Datenanalyst der letzten Obama-Kampagne, fand in einem Interview ein neidloses Wort der Anerkennung für Trumps diesjährige Zugewinne bei nichtweissen Wählerschichten: «Der Witz ist ja gerade, dass die Republikaner tatsächlich die multiethnische Arbeiterklassenkoalition zusammensetzen, von der die Linke immer geträumt hat.»9
In der nachwachsenden Generation junger Republikaner gibt es vielversprechende Erbschaftsanwärter, die Trumps Lektionen schon länger studieren. Matt Gaetz, ein 38jähriger Abgeordneter aus Florida mit telegenem Surfer-Lächeln, verbindet wie Trump seinen arrivierten familiären Hintergrund mit einem aufmerksamkeitsheischenden Kommunikationsstil. Mit seiner Nähe zu Trump brüstet er sich, übertrifft ihn aber noch in seiner Aufgeschlossenheit in sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen, etwa beim Cannabis, für dessen Entkriminalisierung Gaetz sich seit langem einsetzt. Seinen Vater, ein Mitglied des Abgeordnetenhauses in Florida, überzeugte er davon, gemeinsam mit Demokraten für die Aufhebung des dortigen Verbots gleichgeschlechtlicher Adoptionen zu stimmen.10
Aber gerade weil Gaetz die Zeichen der Zeit erkannt hat, ist er auch ein Kulturkrieger. Für Gaetz wie für Trump benötigt auch ein weicher Sozialliberalismus den strengen, nationalen Resonanzrahmen einer patriotischen Kultur. Damit steht er nah an der politischen Philosophie der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: Die Gleichheit aller Menschen ist natürlich, mündet aber in Gesellschaftsverträge, aus denen getrennte Nationen mit ihren Kulturen hervorgehen. So begrüsst er die Todesstrafe für Polizistenmörder, stemmt sich gegen China und illegale Einwanderung und spricht von einer «politischen Neuausrichtung» unter Trump, welche die «neolibertären Tage» der Post-Reagan-Republikaner zu den Akten zu legen habe.11 Das alles passt zu der konservativ-populistischen «Siegesformel», mit welcher der britische Politikwissenschafter Matt Goodwin den Erdrutschsieg Boris Johnsons erklärte: In ökonomischen Fragen nach links lehnen, in kulturellen nach rechts.
Auch der 43jährige Senator Tom Cotton aus Arkansas steht fest an der Seite Trumps, beschwört den Geist von Recht und Ordnung und zählt zu den führenden Stimmen bei der Konfrontation mit China, insbesondere der Aufarbeitung des Covid-19-Ausbruchs. Einer seiner Senatskollegen aus Missouri, der 40jährige Josh Hawley, predigt Skepsis gegen die kulturelle wie politische Macht der grossen Technologiefirmen aus dem Silicon Valley und schiebt regelmässig legislative Initiativen zu ihrer Bändigung an. Einst kritisierte er ihre Unfähigkeit zu «echter Innovation» in einem Zeitungsbeitrag, der auch von dem Trump-Unterstützer und Technologiemilliardär Peter Thiel hätte geschrieben sein können (der zu seinen Spendern gehört).12 Wie Gaetz suchen Cotton und Hawley den Anschluss an Trumps Politik des Kulturkampfes, aber auch an seine Erfolge in der Wirtschafts- und Aussenpolitik, bei der Richterernennung und den Regulierungsreformen.
Ausserhalb des Kongresses gibt es Ideengeber, die Trump noch übertrumpfen möchten. Will Chamberlain, ein junger Anwalt und Herausgeber des als Onlinemagazin neu aufgelegten Organs «Human Events», hat es besonders auf die Universitäten abgesehen. Weil sie wehrlose Studenten mit überzogenen Versprechen und Gebühren betrögen und insbesondere für Konservative eine feindliche Atmosphäre schüfen, sei es Zeit, das komplette Arsenal der Zentralregierung in den Dienst des Kulturkrieges zu stellen. Es ist kein Zufall, dass es auf «Human Events» neben empörten Artikeln zur Zensur Konservativer durch soziale Netzwerke auch politische Texte über Videospiele gibt. Das Trump-Ethos eines übergangenen Patriotismus, der den kulturellen Kommandohöhen des linken Amerikas trotzt, passt perfekt zum wachsenden Ökosystem junger Gamer, die sich oft von einer «woken» politischen Korrektheit bedrängt fühlen, welche ihre Spielewelten anhand der aktuellsten akademischen Trends «sozial gerecht» umzugestalten versucht. Derartige Einmischung ausgerechnet mit der Autonomie freien Unternehmertums zu rechtfertigen, wie es traditionelle Republikaner gelegentlich tun, klingt für sie wie eine Kapitulation.
Dem Strom entgegen
Dieses Amerika will alleine gelassen werden, sich aber auch wehren können. Deshalb hat es für die reine Lehre libertärer Prämissen weniger übrig als für die stolze Seele einer trotzig-patriotischen Arbeiterschaft. Es ist die Andeutung einer überraschend säkularen republikanischen Partei der Ehrfurchtsfreien, Tätowierten und digitalen Freibeuter, die in Trump auch deshalb eine Repräsentationsfigur erkennen, weil er öffentlich einfordert, was sie privat praktizieren, nämlich nicht nach den künstlichen Regeln einer flatterhaften Elite zu leben. Wer von Trump lernt, versteht den berühmten Satz des Proto-Trumpers Andrew Breitbart: «Politik ist stromabwärts von Kultur.» Die Republikaner der Zukunft schwimmen dem Strom entgegen.
«The conduct of the republican party in this nomination is a remarkable indication of small intellect, growing smaller. They pass over . . . statesmen and able men, and they take up a fourth rate lecturer, who cannot speak good grammar.» Zitiert nach Doris Kearns Goodwin: Team of Rivals: The Political Genius of Abraham Lincoln. 4. Auflage. New York: Simon & Schuster, 2005. ↩
Sabrina Tavernise: Democrats’ «Blue Wave» Crashed in Statehouses Across the Country. In: New York Times vom 4. November 2020. nytimes.com/2020/11/04/us/election-state-house-legislature-governors.html ↩
Ally Mutnick, Sabrina Rodriguez: «A decade of power»: Statehouse wins position GOP to dominate redistricting. In: Politico vom 4. November 2020. politico.com/news/2020/11/04/statehouse-elections-2020-434108 ↩
Eric Kaufmann: Who are the real shy Trumpers? In: UnHerd vom 6. November 2020. unherd.com/2020/11/meet-the-shy-trumpers ↩
Hans Ulrich Gumbrecht: Donald Trump ist kein Irrtum der amerikanischen Geschichte. In: Neue Zürcher Zeitung vom 12. November 2020. nzz.ch/feuilleton/donald-trump-ist-kein-irrtum-der-amerikanischen-geschichte-woran-intellektuelle-nun-zu-kauen-haben-ld.1586202 ↩
Michael S. Pollard and Joshua Mendelsohn: RAND Kicks Off 2016 Presidential Election Panel Survey. In: RAND Blog vom 27. Januar 2016. rand.org/blog/2016/01/rand-kicks-off-2016-presidential-election-panel-survey.html ↩
Jack Shafer, Tucker Doherty: The Media Bubble Is Worse Than You Think. In: Politico vom Mai/Juni 2017. politico.com/magazine/story/2017/04/25/media-bubble-real-journalism-jobs-east-coast-215048; Hadas Gold: Survey: 7 percent of reporters identify as Republican. In: Politico vom 6. Mai 2014. http://politico.com/blogs/media/2014/05/survey-7-percent-of-reporters-identify-as-republican-188053 ↩
Tyler Pager: Donald Trump claims to remake GOP as party of «the American worker». In: Boston Globe vom 27. Februar 2017. bostonglobe.com/news/politics/2017/02/24/donald-trump-claims-remake-gop-party-american-worker/PeF6IjybU9C77idKYgIshK/story.html ↩
Zack Stanton: How 2020 Killed Off Democrats’ Demographic Hopes. In: Politico vom 12. November 2020. politico.com/news/magazine/2020/11/12/2020-election-analysis-democrats-future-david-shor-interview-436334 ↩
Glenn Thrush: Matt Gaetz Is a Congressman Liberals Love to Loathe. It’s All Part of the Plan. In: New York Times vom 30. März 2019. nytimes.com/2019/03/30/us/politics/matt-gaetz-trump.html ↩
Reagan Foundation: A Virtual Conversation with Congressman Matt Gaetz, 27. Oktober 2020. youtube.com/watch?v=WE42S04_YQU&feature=emb_title ↩
Josh Hawley: Big Tech’s «Innovations» That Aren’t. In: Wall Street Journal, 28. August 2019. wsj.com/articles/big-techs-innovations-that-arent-11567033288 ↩