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Triumph der komischen Frau
Gardi Hutter, fotografiert von Christian Lanz.

Triumph der komischen Frau

Auch auf der Bühne lässt sich eine unternehmerische Lücke schliessen. Ein Essay darüber, wie man sich einen Traum erfüllt und ein Berufsleben lang die Selbständigkeit wahrt.

 

Theater zu spielen war für mich reine Rebellion. Mit 18 Jahren wollte ich etwas machen, was so weit weg war von den Erwartungen, die an mich gestellt wurden, wie nur möglich. Ich habe die Schauspielschule in ­Zürich absolviert und auch ein Jahr als Schauspielerin und Theaterpädagogin gearbeitet. Nur Schauspielerin zu sein hat mich aber gelangweilt, denn ich wollte mitbestimmen, was und wie etwas gespielt wird.

Clown zu sein war schon lange mein Traum. Ich versuchte, ein solcher zu werden, und habe es nach drei ­Jahren auch geschafft. Als ich damit vor 41 Jahren anfing, korrespondierte das auch mit einem gesellschaftlichen ­Bedürfnis: nämlich dem nach einer komischen Frau. Die Debatten über die Frauenemanzipation wurden schon ­damals seit einiger Zeit intensiv geführt. Die diesbezüg­lichen Probleme löst man aber nicht in fünf oder in zehn Jahren. Früher zielte ein Witz über Frauen in der Regel ­darauf ab, sie als unsympathisch und dumm zu zeichnen, einfach kleinzumachen. Das wollte ich ändern.

Männliche Clowns wie Buster Keaton und Charlie Chaplin waren auch für mich Vorbilder, weibliche gab es aber nicht. Frauen wurde mit Hinweis auf ihre Biologie lange Zeit der Humor abgesprochen. Dass es vor allem ­gesellschaftliche Repression und Abhängigkeit waren, die Frauen daran hinderten, in allen Branchen aufzusteigen, ist heute anerkannt.

Wir tun so «als ob»

Ich befinde mich nun in meinem fünften Bühnenjahrzehnt und war immer selbständig. Die Frage nach finanzieller Unterstützung war für mich nie eine existenzielle. Ich bin zur Hälfte Solistin, kooperiere aber auch mit anderen als Duo und im letzten Stück auch als Quartett. Diese Produktionen sind viel teurer, und von einer gutverdienenden Künstlerin wird natürlich erwartet, dass sie gute Löhne zahlt. Bis ein Künstler Anerkennung findet, dauert es im Theater stets ein paar Jahre. Nur im Film wird man über Nacht berühmt. Die Kosten, die später anfallen, sind Lohnkosten, Bühnenbild und Technik.

Wir verwenden den Begriff «Kleintheater» oder «Kleinkunst» nun seit über 60 Jahren und sind immer noch nicht glücklich damit. In Deutschland schrieb jemand, dass das wie «Kleinholz» klinge. «Kleintheater» sind wir aber nur in dem Sinn, als dass wir kleine Mittel einsetzen – und grosse Fantasie. Der Ausdruck, der etwas «Kleines» betont, ist unpassend, aber wir haben bis heute keinen allgemeingültigeren gefunden. «Armes Theater» ist das Theater, das ich anstrebe: Ich möchte viel Fantasie mit wenig Material untermauern. «Freies Theater» ist mir die liebste Bezeichnung, aber abgesehen davon, dass es auch freies Theater gibt, das mit grossen Summen unterstützt wird, ist das Freisein mehr Wunsch denn Wirklichkeit.

Die Szene, die sich um diesen Begriff sammelt, ist schweizweit ein farbenfroher, lustiger Haufen, der sich unter anderem an der Künstlerbörse in Thun trifft: Von Solokünstlern bis zu ganzen Truppen, die in Musik und Theater tätig sind, ist dort alles vertreten. Es sind Hunderte kleine Einheiten, die aber ein grosser wirtschaft­licher Faktor sind: Die ganze freie Szene hat mehr Publikum als die zehn grössten staatlich unterstützten Häuser – doch die finanzielle Unterstützung seitens des Staates spiegelt dies in keiner Art und Weise wider.

Unsere Selbstfinanzierung ist deshalb sehr viel höher, weil wir nah an den Leuten sind. Wir machen «populäres» Theater, «Volkstheater» – gefährliche Begriffe, die auch sehr kontrovers benutzt werden. In meinem Fall geht es darum, als Clown existenzielle Dramen in komische Stücke zu verwandeln und so Entspannung in unseren Lebensstress zu bringen. Wenn ich spiele, merke ich, wie die Emotionen hochgehen. Das grosse Gelächter und die tiefen Seufzer am Schluss sind befreiend. Auf der «Kleinbühne» machen wir also keine hohe Kunst, die bewundert werden will, sondern sind mit den Leuten.

«Spielen» ist für mich der zentralste Begriff. Wir spielen mit dem Leben, wir spielen mit dem Tod, wir spielen mit allem, was die menschliche Existenz hergibt. Wir tun so «als ob». Das hat etwas Kindliches – nicht Kindisches –, und das bewegt und gefällt. Es ist eine Art Ritual, eine gemeinsame Reise in emotionale Anderswelten. Wir haben in der Pandemie gemerkt, wie sehr das gefehlt hat. Das ist auch der Grund, warum das so anachronistische Theater noch lebt: Es ist die fast einzige analoge Form von gemeinsamem Erleben im Jetzt.

Weitermachen in der Postpandemie

In der Pandemie habe ich mich zurückgezogen. Meine Kunst funktioniert per Streaming nur bedingt – es ist, als fehle die Hälfte. Das liegt daran, dass ich als Clown immer eine direkte Beziehung zum Publikum aufbaue, im Gegensatz zum Schauspieler, der so spielt, als wäre kein Publikum da. Ich mache physisches Theater, Sprache kommt fast gar nicht zum Einsatz. Worauf es ankommt, ist die Beziehung, die ich zum Publikum schaffe, und der Energie­fluss, der hin und her geht.

«Clown zu sein war

schon lange mein Traum.

Ich versuchte, ein solcher zu werden,

und habe es nach drei ­Jahren auch geschafft.»

Die Szene befürchtet im Moment, dass der pandemiebedingte Unterbruch von zwei Jahren das Publikumsverhalten längerfristig verändern wird. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder, dass der Hunger nach kulturellen Veranstaltungen so gross ist, dass alle wieder etwas sehen möchten und in die Aufführungen strömen, oder aber, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Wir sehen gerade, dass die Säle nur zu einem Drittel oder zur Hälfte gefüllt sind. Viele Leute haben nach wie vor Angst, was auch daran liegt, dass ein grosser Teil des Theaterpublikums 50, 60 oder 70 Jahre alt ist; viele gehören aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe und haben deswegen ihr Abonnement nicht verlängert. Wir wissen aktuell nicht, wie es sich entwickeln wird.

Auch dank dem Lobbying der verschiedenen Kulturvereinigungen, darunter t. Theaterschaffen Schweiz, sind wir freischaffende Künstler gut und vor allem unbürokratisch unterstützt worden, was bei unseren Kollegen im Ausland, die mit derselben Situation zu kämpfen hatten, seltener der Fall war.

Seit zwei Jahren haben sich verschiedene Kulturverbände – für das Theater, für Musik – aufgrund der pandemischen Herausforderungen zusammengeschlossen, um politisch-soziale Verbesserungen zu erwirken. Das Künstlerleben ist oftmals ein prekäres. Ich bin in dieser Frage allerdings ambivalent gestimmt. Wenn sich in dieser Branche schnell sehr viel Geld machen liesse und der Beruf grundsätzlich finanziell verlockend wäre, könnten die falschen Leute angezogen werden. Wenn jemand Schauspieler oder Künstlerin wird, weil dies das dicke Geld bringt, wäre das eine ungünstige Motivation. Sicher, die ökonomische Wirklichkeit, insbesondere die Sozial- und Altersversicherung von Künstlern, muss verbessert werden. Das ist eine gesellschaftliche Frage und muss politisch gelöst werden. Die kleinen Bühnen sind oftmals selbst prekär dran und können nicht unterstützen. Ich kenne viele, die grossen Einsatz gezeigt haben, jedoch nicht über die Runden kommen.

Aber auch die Kunst ist ein Markt, der eben nach den Regeln des Marktes funktioniert. Ich hatte das Glück, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war: Die komische Frau war überfällig. Ich bin mit dem ersten Stück auf eine Welle aufgesprungen, die mich immer weitergetragen hat. Selbstverständlich reicht der Anfangsbonus nicht weit, für jedes neue Stück muss ich eine neue Welt erschaffen und das Publikum immer neu überzeugen.

Das Publikum ist das Wichtigste

Theater war anfänglich mein wütender Schlag gegen eine repressive Erziehung. Aus Trotz heraus Kunst zu machen funktioniert allerdings nur für das erste Stück. Danach braucht es andere Quellen. Ich habe bis heute neun Stücke gemacht, die beiden ersten ohne jedwede Unterstützung. Der Idealfall ist doch, wenn das Publikum bezahlt – wenn sie mein Werk wertschätzen und sehen wollen und dafür ein Ticket kaufen. Für die letzten Produktionen bekam ich zusätzlich öffentliche und private Unterstützung, die mein eigenes Risiko etwas minderten. Auch wenn ich «armes Theater» mache, setze ich für eine Produktion zwischen 150 000 und 250 000 Franken ein. Wenn’s ein Flop wird, ist das weg.

Es gab in meiner Karriere einige Momente, die mich sehr berührt haben und unvergesslich geblieben sind. Ich war kurz nach der Wende in Leipzig und habe im Schauspielhaus vor 800 Leuten die «tapfere Hanna» gespielt, meine Waschfrauenfigur, mit der ich mittlerweile seit 40 Jahren auftrete. Die Stimmung war so aufgewühlt, weil das Land plötzlich ein anderes war, voller Ängste und Unsicherheiten – was die «Hanna» abholte, weil sie von einer Katastrophe in die nächste rutscht und existenziell dauerbedroht ist. Es gab zehn Minuten Standing Ovation und mir kamen fast die Tränen, weil die Emotionen so dicht und spürbar waren.

Ähnliches erlebe ich in kürzerer oder weniger dichter Form nach jeder Aufführung: Die Emotionen kommen zu mir zurück. Einmal kam eine Familie in vier Generationen zu einer meiner Vorstellungen und stellte sich danach vor. Alle strahlten und konnten etwas für sich mitnehmen, was mich enorm gefreut hat. In solchen Momenten ist sonnenklar: Das freie Theater lebt!

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