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Treuhänder der Allgemeinheit

Mehr Selbstbewusstsein, mehr Wirkung, mehr Dialog mit der Gesellschaft – SwissFoundations-Präsidentin Antonia Jann will, dass Stiftungen aus der selbstverschuldeten Anonymität heraustreten. Ein Gespräch über die helvetische Zivilgesellschaft.

Treuhänder der Allgemeinheit

Frau Jann, wer sich mit dem helvetischen Stiftungswesen beschäftigt, hört immer wieder von Hoffnungen, dass vieles in Bewegung gerate. Der Berner Ständerat Werner Luginbühl hat im Jahre 2009 unter dem Titel «Steigerung des Stiftungsstandortes Schweiz» eine vielbeachtete Motion lanciert. Seither sind drei Jahre vergangen – was ist geschehen?

Um ehrlich zu sein: in dieser Sache nicht viel. Die Motion wurde an den Bundesrat überwiesen, eine Arbeitsgruppe soll dem Vernehmen nach daran arbeiten und Ende Jahr ihre Vorschläge präsentieren. Dass seit 2009 nichts geschah, ist aus meiner Sicht jedoch nicht weiter schlimm. Der Schweizer Stiftungsstandort präsentiert sich in sehr guter Verfassung.

Wie kommen Sie darauf? Die Motion will ja die Attraktivität des Standorts verbessern. Unsere Nachbarländer und selbst die Europäische Union arbeiten daran, das Stiftungswesen zu reformieren, um neue Player anzuziehen – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Die Motion richtet den Fokus auf zwei Themen: auf die Steuerabzugsfähigkeit im Falle des Stiftens bzw. Spendens und auf die Benchmark mit dem europäischen Stiftungsumfeld. Ich habe natürlich nichts gegen gute Steuerbedingungen, doch ist dies nicht der entscheidende Punkt. Wer stiftet bzw. spendet, tut dies nicht, um Steuern zu sparen. Das ist eine Legende…

…die sich allerdings hartnäckig hält.

Zu Unrecht, wie all jene wissen, die im Stiftungssektor arbeiten. Halten wir uns an die Empirie. Im Kanton Baselland lassen sich gemeinnützige Zuwendungen zu 100 Prozent von den Steuern abziehen. Ist der Kanton deshalb ein Stiftungsparadies? Nein, ist er nicht. Entscheidend sind andere Antriebe. Wer stiftet oder spendet, verfolgt mit seinem Engagement andere Ziele. Er will etwas zurückgeben. Er will etwas bewegen. Er will der Zivilgesellschaft etwas hinterlassen. Und er will dies da tun, wo er arbeitet, wohnt und wirkt.

Ihre Referenz auf die Zivilgesellschaft in Ehren – Deutschland hat das Stiftungsrecht vereinfacht, und die Schweiz schaut einfach zu?

Wer in Deutschland eine gemeinnützige Stiftung ins Leben rufen will, muss beispielsweise aus einem Katalog gemeinnütziger Stiftungszwecke auswählen – was die Individualität doch beachtlich einschränkt. In der Schweiz ist der Umgang zwischen Behörden und Stiftungen nicht bürokratisch, sondern pragmatisch: Im Prinzip ist jede Formulierung im Stiftungszweck erlaubt, sie wird von Stiftungs- und Steuerbehörden einfach auf ihre Gemeinnützigkeit hin geprüft. Das helvetische Stiftungswesen ist zivilgesellschaftlich und föderalistisch gut verankert. Darum haben wir ein liberales Stiftungsrecht ohne Paragraphen­dschungel, das Stiften wird nicht unnötig erschwert. Es herrscht ein pragmatischer Geist vor – und ein unersetzliches Grundvertrauen.

Klingt vernünftig. Also ist alles gut in der Stiftungslandschaft Schweiz?

Vieles ja, aber es gibt selbstverständlich auch viel Entwicklungspotential. Insbesondere bezüglich Datenlage hinkt die Schweiz bedenklich hinter anderen europäischen Ländern her. Das Stiftungswesen gleicht hierzulande immer noch einer Blackbox. Es ist doch schon erstaunlich, dass wir trotz der Grösse und Bedeutung des Sektors immer noch nicht wissen, wie hoch das gesamte Ausschüttungsvolumen ist. Oder in welchen Bereichen Stiftungen fördern.

Also soll die Politik doch tätig werden?

Nicht im grossen Stil – aber für die Verbesserung der Datenlage kommen wir wohl nicht um ein gewisses politisches Engagement herum. Um die Stiftungsbranche als Sektor zu kennen, braucht es Daten, die gesammelt und von Statistikern ausgewertet werden. Aber ich möchte den Ball nicht in erster Linie den Politikern zuspielen – die Stiftungen selber können, ja sollten tätig werden.

Konkreter, bitte.

Gemeinnützige Stiftungen, und über die sprechen wir ja, gehören ja eigentlich – niemandem. Sie bestehen aus einem Vermögen, das zur Erfüllung eines Zwecks da ist, der vom Stifter vorgegeben ist. Ein Stiftungsrat macht letztlich nichts anderes, als dieses Vermögen treuhänderisch zu verwalten – treuhänderisch zum Nutzen der Allgemeinheit. Das macht das Stiftungswesen zu einem bedeutenden Sektor in der Gesellschaft, der deshalb zu Recht mit steuerbefreiten Geldern arbeitet. Stiftungen sind ein wichtiger Player der Zivilgesellschaft. Es ist an der Zeit, dass sie diese Rolle aktiver wahrnehmen. Sie sollten klarer als bisher kommunizieren, was sie Gutes tun. Und die Gesellschaft sollte wissen, was die Stiftungen treiben.

Ganz schlicht: mehr Transparenz?

Mehr Selbstbewusstsein, mehr Dialog mit der Gesellschaft, darum geht es. Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Stiftungen sollten sich auf ihre Grundfragen besinnen: Was will ich mit den Mitteln erreichen, die ich zur Verfügung habe? Welche Aufgabe in der Gesellschaft möchte ich erfüllen? Und wie kann ich dies am wirkungsvollsten tun? Diese Reflexion ist aus meiner Sicht absolut essentiell. Am besten können dies Stiftungen tun, wenn sie sich miteinander darüber unterhalten und sich zum Beispiel in Verbänden zusammenschliessen.

Heute ist es ja so, dass die eine Stiftung kaum weiss, was die andere tut.

Stimmt. Die Stiftungen brauchen untereinander mehr Dialog und einen höheren Organisationsgrad. Dies liegt im ureigenen Interesse der Stiftungen selbst. Denn wenn sie sich für ausgesuchte Projekte und Ini­tiativen zusammentun, also mehr Kooperationen eingehen, erzielen sie eine grössere Wirkung.

Die meisten Bürger assoziieren Stiftungen nach wie vor mit Diskretion, grandes dames et messieurs, die in Hinterzimmern Entscheidungen fällen.

Das gibt es sicher auch – aber wohl nicht mehr lange. Stiftungen haben einen Auftrag zu erfüllen. Ich halte nichts von der gläsernen Stiftung. Aber es ist ein absurder Gedanke, dass sich eine Stiftung weigert, nur schon zu sagen, wo sie ist und was sie macht. Und wenn sie nur sagt: «Wir nehmen keine Gesuche entgegen, wir suchen uns die Projektpartnerschaften selber aus», dann ist dies schon eine Information. Stiftungen können wie wir alle nicht nicht kommunizieren – und wenn sie sich abschotten, schaden sie dem Deal zwischen Gesellschaft und Stifter. Es geht also um ein neues Selbstverständnis der Rolle der Stiftungen selbst. Wir brauchen eine klare Wirkungsorientierung, unternehmerischen Geist, ein öffentlich zugängliches gesamtschweizerisches Stiftungsverzeichnis mit den bereits vorhandenen Grunddaten. Bittsteller sollen wissen, an wen sie sich wenden können. Und Stiftungen sollen Rechenschaft ablegen über ihre Aktivitäten und ihr Handeln ständig überprüfen. An den Stiftungen hängen ja mittlerweile ganze philanthropische Wertschöpfungsketten.

Ich höre schon den Vorwurf: Stiftungen treten in Konkurrenz zu den Aufgaben, derer sich heute der Staat angenommen hat…

…ganz und gar nicht. Sie ergänzen ihn – ganz abgesehen davon, dass sie projektbezogen auch mit ihm zusammenarbeiten. Stiftungen verfügen tatsächlich über die Möglichkeit, nichtmehrheitsfähige oder auf Langfristigkeit angelegte Projekte zu unterstützen, relativ grosse Risiken einzugehen, Innovationen zu fördern. Diese Rolle kann in einer eher kurzfristig orientierten und risikoaversen Gesellschaft kaum überschätzt werden. Ein Grossteil der Mittel, die die Förderstiftungen von SwissFoundations ausschütten, fliessen denn auch in Initiativen im Bereich Bildung, Forschung und Innovation. Nehmen Sie Venturekick, eine Plattform zur Förderung innovativer Start-ups, die von fünf grossen Stiftungen getragen wird – da werden neue Ideen generiert, Menschen mobilisiert, Arbeitsplätze geschaffen!

Klingt gut…

…und ist auch gut…

…nur weiss das die breite Öffentlichkeit nicht.

Wir arbeiten dran. Auch die besten Initiativen brauchen die nötige Zeit. Doch bleibt es in einer Zivilgesellschaft wie der helvetischen entscheidend, die Balance zu wahren – Stiftungen sind ja keine Selbstdarsteller. Jeder Rappen, der in die Kommunikation fliesst, fehlt für das Projekt. Die Kommunikation muss im Dienst der Sache stehen. Die Stiftungsräte ihrerseits arbeiten zumeist ehrenamtlich und halten eine alte helvetische Tugend hoch: Tue Gutes, statt bloss darüber zu reden! Auch hier braucht es eine Balance: einerseits Gutes tun, anderseits auch angemessen darüber reden. Protzerei ist dem Stiftungswesen aber zum Glück fremd.

Ich wundere mich, dass die Politik das Stiftungsthema nicht für sich entdeckt hat. Das wäre doch eine will-kommene Bühne für Selbstprofilierung in Zeiten prekärer Staatskassen.

Viele unserer Parlamentarier sind ehrenamtlich in Stiftungen engagiert. Das ist gut so und Teil unseres Milizsystems. Das Stiftungswesen politisch zu instrumentalisieren, entspräche nicht dem helvetischen Selbstverständnis. Die Stiftungen sollen ja dem Allgemeinwohl dienen, und da sind sie in den Händen der Stiftungsräte gut aufgehoben.

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Braucht die Schweiz eine Stiftungsstrategie?

Wann waren Sie das letzte Mal so richtig grosszügig? Nein, darunter fällt es nicht, wenn Sie einem Strassenmusiker für sein Spiel einen Fünffränkler in den Hut gelegt, einen Fair-Trade-Kaffee gekauft oder dem Nachbarsjungen 20 Franken fürs Rasenmähen gegeben haben. Grosszügigkeit, das ist die Kunst des Gebens, die sich ausserhalb der reinen Tauschbeziehung bewegt. Man gibt […]

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