«Trash-Talk ist nie persönlich gemeint»
In Rorbas tritt die 17-jährige Sanja Baur als Wrestling-Bösewicht WARChild Saga auf. Dabei diskriminiert sie nicht: Sie vermöbelt alle.
Im Ring kennt WARChild Saga kein Erbarmen: Ihr Gegner winselt um Gnade, während sie ihm einen Tritt nach dem anderen verabreicht. Szenen wie diese gibt es in der Wrestling Academy im zürcherischen Rorbas regelmässig zu sehen. Die 17-jährige WARChild Saga, mit bürgerlichem Namen Sanja Baur, ist der jüngste Wrestling-Star der Schweiz. Sechsmal hat sie ihren Titel an der Zürcher Pop Con verteidigt – immer gegen ältere Gegner. Im Ring ist sie ein sogenannter «Heel». Das Publikum soll ihr also gemäss Wrestling-Konvention trotzen und sie als schummelnden Schuft ausbuhen. Sanjas Gegner ist immer ein braves «Face» – ein Tugendlamm, dem das Publikum wohlgesinnt ist. Sanjas Vater ist ein «Face» und der Leiter der Wrestling Academy. Dass seine Tochter entgegen der väterlichen Wrestling-Rolle zum «Heel» geworden ist, könnte als Akt subtiler Rebellion gedeutet werden.
Auf die Frage, ob Toleranz im Ring eine Tugend sei, antwortet Baur in ihrem Charakter als WARChild Saga: «Natürlich ist Toleranz im Wrestling wichtig. Egal, wie alt, jung, breit, dünn oder dick du bist, vor mir sind alle gleich: Ich besiege sie alle gleichermassen.» Auf meinen Einwand, das Publikum könne sie aber nicht besiegen, entgegnet sie: «Das Publikum besteht sowieso nur aus Damen und Ladyboys. Kein richtiger Mann ist dort zu finden, geschweige denn im Ring.»
Eines von Sanjas Zielen in jedem Match ist, vom Publikum ausgebuht zu werden. Zu diesem Zweck streitet sie sich mit dem Schiedsrichter über Kleinigkeiten, um Ärger zu provozieren. Sie beleidigt gar den Schiri, stellt seine Kompetenz in Frage und schmeisst geübte Grimassen der Herablassung durch die Gegend. Einmal hat sie zur Entrüstung der Zuschauer einem «Face» laut vorgeworfen, er habe sie unsittlich berührt. Bei weiblichen Gegnern mit langen Haaren zieht WARChild gerne daran. Kurz: Sie tut alles, um die Feindseligkeit zu schüren, von der ein «Heel» lebt. Als Privatperson ausserhalb ihrer Wrestling-Rolle räumt Baur ein, dass das Ringen ein gewisses Mass an Toleranz erfordere. Man dürfe das, was im Ring passiere, nicht persönlich nehmen. Toleranz ermögliche ein Miteinander von «Face» und «Heel» und bilde damit die entscheidende Voraussetzung für eine anständige Prügelei im Ring. Sanja ist im ersten Lehrjahr als Fachfrau Gesundheit. Sie weiss deshalb, wie man professionell erste Hilfe leistet.
Ich frage WARChild Saga, was sie tun würde, wenn ich ihr im Ring gegenüberstehen würde, nachdem ich einen Artikel geschrieben habe, in dem ich behauptete, dass Wrestling nicht tolerant genug sei. Sie hält kurz inne und grinst: «Ich würde deinen Artikel auf der Bühne demonstrativ zerreissen, dir einen Ellenbogen in die Fresse geben und mich dann erkundigen, ob dir das tolerant genug war.»
Dieser Trash-Talk ist im Wrestling gang und gäbe. Baur sagt: «Trash-Talking ist nie persönlich gemeint, sondern immer als Spiel zur Freude des Publikums konstruiert.» Wrestling strapaziert die Nerven und ist offensichtlich nicht für jedermann geeignet. Doch in Rorbas wird die in Amerika beliebte Sportart mit beeindruckender Leidenschaft betrieben. Auch ihr Gegner, den Sanja an diesem Tag in die Knie zwingt, geniesst seine Niederlage in vollen Zügen. Dabei müssen die beiden Kontrahenten in bester Absicht zusammenarbeiten, um sich gegenseitig «die Köpfe einzuschlagen», ohne sich die Köpfe einzuschlagen.