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Tot? Ist ja gelacht!

Im Jahr 1989 starben nicht nur Samuel Beckett und Thomas Bernhard. Nur wenige Wochen nach dem Tod des von ihm als «Prosalehrer» verehrten österreichischen Autors nahm sich Hermann Burger das Leben. Bei allen Unterschieden – Bernhard etwa wurde lange Zeit als Beckett-Epigone ridikülisiert («Alpenbeckett und Unterganghofer») – ist ein Gemeinsames dieser drei Autoren in ihrer […]

Im Jahr 1989 starben nicht nur Samuel Beckett und Thomas Bernhard. Nur wenige Wochen nach dem Tod des von ihm als «Prosalehrer» verehrten österreichischen Autors nahm sich Hermann Burger das Leben. Bei allen Unterschieden – Bernhard etwa wurde lange Zeit als Beckett-Epigone ridikülisiert («Alpenbeckett und Unterganghofer») – ist ein Gemeinsames dieser drei Autoren in ihrer nachtschwarzen Komik zu sehen. Von der Geburt des Lachens aus dem Schmerz handelt auch Hermann Burgers nachgelassene Erzählung «Der Lachartist»; sie wurde rund ein halbes Jahr vor seinem Suizid begonnen, aber von ihm nicht mehr autorisiert.

Zu einem Zeitpunkt, da kaum noch Texte des zu Lebzeiten nicht nur in der Schweiz hochgeschätzten Autors lieferbar sind – glücklicherweise gibt es auch eine Neuedition von Burgers erstem Roman «Schilten» – ist die Edition dieser kleinen Erzählung höchst willkommen. Sie ist bestens geeignet, in Burgers Schreib- und Sprachwelt einzuführen. Das Artistische, das die Neuprägung «Lachartist» schon im Titel anzeigt, wird darin immer wieder auf die Welt des Circensischen oder des Zauberns zurückgeführt. Die Virtuosen sind dabei nicht nur den Gratwanderungen ihrer Virtuosität, sondern auch dem faszinierten Staunen und Starren der Menge ausgesetzt. Diese Unmittelbarkeit der Wirkung unterscheidet sie von der Virtuosität des Schriftstellers, der indes alle Register seiner Gelehrtheit zieht (Fremdwörter, Neologismen, Vertrautheit selbst mit den entlegensten Wissensgebieten), Satzungetüme errichtet und kühne Wechsel in der Erzählperspektive vollführt und, nicht zuletzt, ein schwindelerregendes Spiel mit Wiederholung, Wiederholungszwängen und Rekurrenzen errichtet. Das alles ist eine performative Übung zu dem Zweck, schreibend das hervorzubringen, wovon der Text spricht: Komik – und, damit die Übung keinesfalls zu leicht ausfalle, auch gleich eine Theorie des Komischen (Freuds Witztheorie ist darin enthalten samt einer gewagten Spekulation über die Österreicherwitze).

Burgers Sprachbesessenheit überlässt nichts dem Zufall; geradezu systematisch wird das semantische Feld des Lachens mit seinen Metaphern («sich totlachen») und lateinischen Künstlichkeiten (bis hin zum – schwankenden – Namen des Lachartisten: Riderius Gelan) abgesucht. Das Ende dieser todessehnsüchtigen Welt des Lachartisten erfolgt durch ein buchstäbliches Sichtotlachen, hervorgerufen durch ein raffiniertes Kunststück «aus der Domäne des Jonglierens». Und wo? – Natürlich in der amerikanischen Wüste, in Las Vegas. Statt mit einem Münzwurf eine Entscheidung herbeizuführen, bleibt die Münze… auf der Kante stehen. Komik ist ein Kipp-Phänomen und bringt den Lachartisten zu Tode. Der indes in Ich-Form von seinem Tod berichtet – ein letzter Kunstgriff auch des Textes.

Wie alle Artistik aus einer vielfältigen Verknüpfung seriellen Drills und anmutiger Leichtigkeit sich zusammensetzt, so ist auch Burgers Text gleichermassen forciert wie seiltänzerisch. Der Text lässt den Lachartisten Rache nehmen am Trauma der Geburt, an der kastrierenden, spermaabzapfenden Mutter, die ihren Sohn nur aus wissenschaftlichem Interesse nicht abgetrieben hat. Das tödliche Gelingen der Selbstauslöschung ist der Triumph des Sohnes als Artisten über solche Zumutungen des Lebens und des Familienromans: «So hatte ich denn also meine von Anfang an verfehlte Geburt definitiv rückgängig gemacht», lautet der letzte Satz der Erzählung. Und nicht nur der Redensart nach bleibt dem Lesenden das befreiende Lachen darob verwehrt.

Der Text erweist sich als ein zum Mutterkomplex Burgers («Die künstliche Mutter», 1982) gehörendes Experiment, das alle Elemente der Legende vom Künstler (als Christus, als Märtyrer, als Neurotiker etwa) unerbittlich an- und durchspielt.

Hermann Burger: «Der Lachartist». Aus dem Nachlass herausgegeben von Magnus Wieland und Simon Zumsteg. Zürich: Edition Voldemeer, 2009

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