
«Töpfern ist eine Lektion in Demut»
Ana Suárez fertigt Tassen und Töpfe aus Ton. Die Arbeit erfordert viel Geduld – dennoch interessieren sich immer mehr Leute dafür.
Die Coronakrise hat Ana Suárez im Geschäftsgang gespürt – und zwar positiv. Als Veranstaltungen reihenweise abgesagt wurden und sich die Leute im Homeoffice langweilten, begannen sich viele für das Töpfern zu interessieren. «Es ist zu einem Trend geworden», sagt Suárez. Die Nachfrage nach den Workshops, die sie neben ihrem eigentlichen Handwerk anbietet, stieg sprunghaft an. «Ich könnte wahrscheinlich jeden Tag einen Workshop machen.» Normalerweise beschränkt sich die 34-Jährige aber auf ein bis zwei pro Woche, wenn sie nicht, wie jetzt gerade, in der Mutterschaftspause ist. Eigentlich sind die Workshops ein Nebengeschäft. «Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich lieber ausschliesslich selber töpfern.»
Dass sich so viele Leute für das Töpferhandwerk zu interessieren begonnen haben, kann sie verstehen. «Es ist eine sehr beruhigende Arbeit.» Man müsse dem Prozess seine Zeit geben und könne ihn nicht beschleunigen. «Man muss sehr gut Acht geben auf Details und das Material kennen», sagt Suárez. Und selbst dann klappt nicht immer alles wie gewünscht. In solchen Fällen muss sie wieder ganz von vorne starten. «Töpfern ist auch eine Lektion in Sachen Demut.»
Langwieriger Prozess
Als mir Suárez ihr Studio zeigt, bin ich erstaunt, wie viel Aufwand hinter etwas Kleinem wie etwa einer Kaffeetasse steckt. Der ganze Prozess nimmt mehrere Tage in Anspruch. Zuerst formt Suárez das Objekt aus der Tonmasse, meist auf einer Drehscheibe. Anschliessend wird es drei bis vier Tage getrocknet, dann im Ofen bei 950 Grad gebrannt, ausgekühlt, glasiert und nochmals gebrannt, diesmal bei 1250 Grad.
«Ich möchte Dinge schaffen, die schön zu gebrauchen sind.» – Suarez
Suárez stammt aus Mexiko und lebt seit sechs Jahren in Bern. Das Haus, in dem sie mit ihrem Mann und dem kürzlich geborenen Sohn lebt und in dem sich auch ihr Studio befindet, liegt malerisch am Gurten, mit Aussicht auf die Altstadt und die Aare. Das kann die Kreativität nur anregen, denke ich bei meinem Besuch.
Ausgefallene Kundenwünsche
Eigentlich wollte Suárez Malerin oder Skulpteurin werden. Doch während des Studiums an der Kunstschule entdeckte sie ihre Leidenschaft fürs Töpfern. «Mir gefällt, wie viele Sachen man schaffen kann», erklärt sie. «Man kann Alltagsdinge herstellen oder eher Künstlerisches. Man kann mit verschiedenen Materialien und Glasuren experimentieren. Die Möglichkeiten sind endlos.» Im Gegensatz zur mexikanischen Tradition, die sehr kunstvoll gestaltete Objekte hervorbringt, bevorzugt Suárez schlichte Formen. «Meine Arbeiten sehen eher skandinavisch aus», sagt sie lachend. Funktionalität ist für sie zentral: «Ich möchte Dinge schaffen, die schön zu gebrauchen sind.»
Über 1000 Objekte stellt Suárez pro Jahr her – von Tassen über Krüge bis zu Schüsseln. Sie verkauft sie in ihrem Studio, im eigenen Onlineshop und in einem Café in der Altstadt. Manchmal bestellen Kunden ganz bestimmte Objekte. «Die Wünsche können sehr ausgefallen sein», sagt sie. So fertigte sie einmal für ein Restaurant einen Teller in Form eines Huts.
Auf die Frage, ob sich Geschirr nicht einfacher industriell herstellen lasse, antwortet Suárez unumwunden mit Ja. Grosse Hersteller imitierten sogar das typisch Handwerkliche, die kleinen Unebenheiten, die Tropfen oder das Muster der Glasur.
Dennoch sieht sie ihre Tätigkeit nicht bedroht. Denn ihre Kunden suchten bewusst das von Hand Geschaffene. «Wenn man weiss, wer ein Stück gemacht hat, ist es etwas Besonderes.»