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Thomas Petersen und Tilman Mayer: Der Wert der Freiheit. Deutschland vor einem neuen Wertewandel?

Freiburg: Herder, 2005

Wirtschaftliche Freiheit setzt ökonomische Energien und Kreativität frei, sie schafft Raum für Wachstum und Wohlstand. Unzählige Studien haben diesen Zusammenhang für Geschichte und Gegenwart empirisch belegt. In Deutschland hat der Grad wirtschaftlicher Freiheit in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen. Regulierung und Umverteilung lähmen die Leistungsgesellschaft, entsprechend müde und verbraucht erscheint das einstige ökonomische Wunderland.

Die aufschlussreiche Studie von Thomas Petersen und Tilman Mayer zur Wertschätzung persönlicher Freiheit in Deutschland, erklärt das Rätsel des wirtschaftlichen Abstiegs mit mentalen Verschiebungen. Petersen, der am Institut für Demoskopie in Allensbach am Bodensee arbeitet, und Mayer, Lehrstuhlinhaber für Politische Wissenschaft in Bonn, beleuchten das Problem der Freiheit von zwei Seiten, von der theoretischen und der empirischen. Einer ideengeschichtlichen Einleitung, mit Freiheitsdefinitionen von Rousseau bis Hayek, folgt ein ausführlicher Teil mit demoskopischen Daten und Analysen zum Freiheitsverständnis der Deutschen.

Das Wort «Freiheit» bringen die Autoren, etymologisch etwas ungewöhnlich, mit dem gotischen «Freihals» in Verbindung. Dieser alte juristische Terminus spielte auf den Hals des freien Mannes an, der unter keinem Joch gehen muss wie etwa der Knecht oder ein Tier. Heute sitzt der Staat den Bürgern mit Steuern und Abgaben im Nacken; rund die Hälfte des Jahres rackern sie für das Finanzamt. Erstaunlich ist, wie geduldig die Deutschen diesen Zustand hinnehmen.

Seit den frühen siebziger Jahren hat die Gesellschaft einen drastischen Wertewandel durchgemacht, den Petersen und Mayer anhand zahlreicher Meinungsumfragen illustrieren. Kennzeichen des von der Studentengeneration 1968 angetriebenen Wertewandels sind die Herabsetzung bürgerlicher Tugenden sowie die Abwendung von der traditionellen Arbeitsethik und von der Bereitschaft zur Selbstverantwortung. Inzwischen habe sich aber die Wertekluft zwischen Jung und Alt fast geschlossen und der Motor des Wertewandels gestoppt, so das Autorenduo. Die Dominanz der 68er-Werte hat ihren Höhepunkt überschritten.

«Freiheit» ist ein schillernder Begriff. Er hat im Laufe der Zeit höchst unterschiedliche Definitionen erfahren. Die bürgerliche Freiheit meint Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, gepaart mit Verantwortung; die sozialistische Freiheit verspricht dagegen Freiheit von materiellen Sorgen. Sie ist daher mit staatlicher Fürsorge, Aufsicht und Kontrolle verbunden. Obwohl immer noch eine absolute Mehrheit der Deutschen dem bürgerlichen Freiheitsbegriff – zumindest theoretisch – zustimmt, hat die Versorgungsmentalität deutlich aufgeholt.

Im Widerstreit von Freiheit und Gleichheit – verstanden nicht nur als Gleichheit vor dem Gesetz, sondern als Egalisierung der Ergebnisse – führt jene nach Umfragen im Westen zwar noch, aber mit fallender Tendenz. Im Osten des Landes haben jahrzehntelange DDR-Sozialisation und Indoktrination tiefe Spuren hinterlassen. Dort gibt eine Mehrheit der Gleichheit eindeutig den Vorzug vor der Freiheit, trotz dem Bankrott des egalisierenden sozialistischen Modells im Jahr 1989. Der Wert der Freiheit habe «im Verlauf des letzten Jahrzehnts bezogen auf Gesamtdeutschland dramatisch an Boden verloren», beklagen Petersen und Mayer.

Mitte der neunziger Jahre überwog das Bedürfnis nach Gleichheit in Gesamtdeutschland sogar kurzzeitig. Kollektive soziale Absicherung über den Staat wird dem Risiko der Freiheit und der Eigenverantwortung vorgezogen. Zu denken geben auch die aktuellen Antworten der Deutschen auf die Frage, welche Art von Staat sie favorisieren. Als «menschlich» bezeichnet eine Mehrheit den Staat, der sich um die Bürger «kümmert». 44 Prozent der Befragten glauben zudem, der Staat, der in die Wirtschaft eingreife, könne mehr Wohlstand erzeugen, wogegen nur 31 Prozent mehr Wohlstand von weniger Staat erwarten.

In der DDR wurde den Bürgern planmässig ein Verlangen nach egalisierender Versorgung anerzogen. Erstaunlicherweise hat diese Haltung nach der Wiedervereinigung 1990 auch auf die Westdeutschen abgefärbt. Die Frage stellt sich, welcher Teilstaat dem anderen mental beigetreten ist. Petersen und Mayer zeigen, wie sehr im konkreten Konfliktfall der Wunsch nach dem fürsorglichen Staat vorherrscht. Allerdings haben empirische Forschungen auch ergeben, dass jene Menschen, die ihr Leben aus eigener Anstrengung meistern und auf eigenen Füssen stehen, durchweg glücklicher sind als die versorgten, jedoch vom Staat abhängigen Mitbürger.

Hoffnung macht, dass nach Umfragen die jüngere Generation mehr Mut zur Freiheit aufbringt. Gerade im Osten gebe es dafür Anzeichen, meinen die Autoren und sprechen von einem «spektakulären Befund». Dort würden die Befragten unter 30 Jahren deutlich mehr Wert auf persönliche Entscheidungs- und Handlungsspielräume legen. Offenbar tut sich in der Ex-DDR eine Generationenkluft zwischen staatsgläubigen Alten und eher auf Selbständigkeit bedachten Jungen auf. Ob das zarte Pflänzchen aber gleich die Kapitelüberschrift «Ein Jahrhundert der Freiheit?» rechtfertigt? Der demoskopisch erfasste Umkehrtrend erscheint noch zu jung, als dass sich die im Buchuntertitel formulierte Frage «Deutschland vor einem neuen Wertewandel?» mit einem kräftigen Ja beantworten liesse.

besprochen von Philip Plickert.

Der 1979 geborene Ökonom promoviert der-zeit an der Universität Tübingen.

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