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Thesen zum Alter, verschenkt

«Glücksfall Alter» versteht sich als Streitschrift, die in 15 Thesen zur gegenwärtigen Situation des Alters mündet. Die beiden Verfasser gehen in ihren Überlegungen von zwei Feststellungen aus. Erstens: in gut einem Jahrhundert habe sich die Lebenserwartung in unserer Gesellschaft um zwei Jahrzehnte verlängert. Zweitens: die demographische Entwicklung gehe rascher vor sich als die Sinnfindung für […]

«Glücksfall Alter» versteht sich als Streitschrift, die in 15 Thesen zur gegenwärtigen Situation des Alters mündet. Die beiden Verfasser gehen in ihren Überlegungen von zwei Feststellungen aus. Erstens: in gut einem Jahrhundert habe sich die Lebenserwartung in unserer Gesellschaft um zwei Jahrzehnte verlängert. Zweitens: die demographische Entwicklung gehe rascher vor sich als die Sinnfindung für die verlängerte Lebenszeit. Was also tun mit dem neugewonnenen Lebens-abschnitt, um nicht dem horror vacui zu verfallen?

Die Autoren packen das Thema Alter in vielen Teilaspekten an und stellen dabei eine Reihe von wichtigen Forde-rungen und Folgerungen auf. Die Pensionierungsgrenze solle keine Altersguillotine mehr sein, sondern flexibel gehand-habt werden. Notwendig sei, für ältere Leute neue Tätigkeitsfelder zu finden. Dabei gehe es nicht um blosse Beschäfti-gung, sondern um die Frage nach sinnvoller Tätigkeit. Man spräche heute gerne von der Innovationskraft der Jungen, es sollte aber ebenso die Innovationskraft der Alten stärker gefördert werden. Die längere Lebenserwartung einerseits und weniger Kinder anderseits würden zu einem intensiveren Zusammenhalt innerhalb von Familien führen; denn Grossel-tern würden bei doppelverdienenden Paaren vermehrt gebraucht. Heute bildeten sich dadurch neue Mehrgenerationen-netzwerke. Selbst in alten Paarbeziehungen würden die Rollen neu verteilt. Sei früher eher der Mann tonangebend ge-wesen, kehre sich heute die Beziehung im Alter oft um, indem der Mann im familiären Bereich die Wünsche seiner Frau erfülle. Eine längere Lebensdauer ziehe vermehrt Krankheiten nach sich, die in die Sinngebung des Altwerdens einzubeziehen seien. Das führe zu einem neuen Umgang mit Tod und Sterben, indem der Mensch darüber weitgehend selber entscheiden könne. Wer das Alter als Herausforderung annehme und es zu gestalten wisse, würde besser und in Würde altern.

Das Autorenduo besteht aus einem Soziologieprofessor und einer Journalistin. Beide verstehen es, ihre Thesen einer-seits mit statistischem Faktenmaterial, anderseits mit mündlichen Aussagen zu untermauern. Die Quellen bestehen also nicht nur aus Sekundärliteratur, sondern auch aus Verlautbarungen in Talkshows, aus Filmeindrücken, Werbebotschaf-ten von Versicherungen, Zeitungsumfragen bis hin zu mitgehörten Gesprächen beim Friseur. Das ergibt zwar einen kurzweilig zu lesenden Text mit oft pointierten Formulierungen. Dabei werden die überspitzten Aussagen jedoch oft wichtiger als eine vertiefende Gedankenführung. Wenn es an einer Stelle heisst, dass sich im letzten Jahrhundert die Lebenserwartung um zwei Jahrzehnte verlängert habe, und es an anderer Stelle drei Jahrzehnte sind, so sind Vorbehalte auch an den statistischen Angaben berechtigt. Fazit: ein wichtiges Thema wurde journalistisch allzu aufgepeppt, die angeblichen Fakten sind mit Vorsicht zu behandeln.

vorgestellt von Rainer Diederichs, Zürich

Peter Gross & Karin Fagetti: «Glücksfall Alter». Freiburg i.Br.: Herder, 2008

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