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Thesen essen Kunst auf

Die Basler Fondation Beyeler zwingt Architektur und Skulptur in einen Dialog, in dem Wechselwirkungen und Ähnlichkeiten zwischen beiden Gattungen augenfällig werden sollen. Die so konstruierten Zusammenhänge beginnen im späten 18. Jahrhundert und führen bis in die Gegenwart.

Thesen essen Kunst auf

Der Titel tönt vielsagend: «ArchiSkulptur». Auf der Zunge zergeht er nicht. Ein Wort will er sein und hat in der Mitte einen Grossbuchstaben. Also doch zwei Wörter. Doch «Archi» klingt eher wie der Vorname eines Salamanders. Ob es wirklich Sinn ergibt, das «tek» des einen dem «Skulp» des anderen zu opfern?

Der Betrachter ist Meister über das Betrachtete. Es liegt an ihm, ob er ein Gebäude unter dem Aspekt seiner Funktionalität beurteilt oder ob er davon völlig absieht. Das Ignorieren des Zwecks ist Bedingung dafür, ein beliebiges Objekt unter rein ästhetischen Gesichtspunkten wahrnehmen zu können. Dreidimensionale Körper können dann als Skulpturen oder Plastiken gesehen werden, wobei diese Begriffe bereits mitausdrücken, dass es sich um etwas vom Menschen Hergestelltes handelt. «Plastik» bedeutet, dass ein Material zu einem Etwas gebildet wird, zum Beispiel, wenn aus Erde ein Mensch geformt wird. Der Begriff Skulptur dagegen beschreibt den Prozess, der dem Material eine Form entlockt, die gewissermassen immer schon in ihm enthalten war, wie der aus einem Marmorblock herausgehauene Moses. Auch Steine, Pflanzen oder Tiere können unter einem rein ästhetischen Blickwinkel beurteilt werden – und sind so Naturplastiken.

Markus Brüderlin, der Kurator der Basler Ausstellung, möchte nun nicht alle Gebrauchsgegenstände auf ihre ästhetische Formenkraft hin untersuchen, sondern nur bestimmte. Die grössten Gebrauchsgegenstände, nämlich Häuser oder genauer, alle von Architekten gestalteten Bauten, mutieren unter seinem Blick zu dreidimensionalen Plastiken oder Skulpturen und verlieren jeden Bezug zu ihrer ursprünglichen Funktionalität. Dies ist die eine Lesart des Wortes «ArchiSkulptur». Formen, die sich an Häusern ablesen lassen, können also mit ähnlichen Formen aus der Geschichte der Bildhauerei konfrontiert werden. Brüderlin meint jedoch, die eine Richtung sei zuwenig. Nicht nur Architektur soll als Skulptur und von dieser beeinflusst gesehen werden, sondern man muss auch rückwärts lesen – «RutplukSihcra». Auch die Geschichte der Bildhauerei sei wesentlich von der Geschichte der Architektur geprägt. Es gilt also wachsam zu sein in der Ausstellung, damit man weiss, auf welcher der zwei Fahrbahnen man sich gerade befindet, ob man die von der Architektur beeinflusste Kunst vor sich hat oder ein Bauwerk, das künstlerische Strömungen enthält. Obendrein siedelt Brüderlin dann noch die von ihm explizit so genannten «ArchiSkulpturen» auf dem Mittelstreifen an. Solche Zwitterwesen seien die Architektona von Kasimir Malewitsch, das Eck-Kontrarelief von Tatlin, der Pavillon von Graham und, vor dem Museum, die Baumplastik von Herzog & de Meuron. Manchmal möchte man dann auch gerne rechts ran fahren, ein Päuschen einlegen, so vielem begegnet man auf dem Ausstellungsparcours.

Der Rundgang gliedert sich in zehn Kapitel. Und diese gliedern sich in eine chronologische Folge und in eine Dichotomie in der Formensprache, in eckig versus rund. Der erste Raum zeigt ein Modell des als 150 Meter hohe Kugel geplanten Mausoleums für Isaak Newton aus dem Jahr 1784. In seinem Innern sollte das durch kleine Löcher eindringende Tageslicht einen Sternenhimmel simulieren. Gerhard Merz wurde damit beauftragt, die zweite Hälfte des Raumes für eine Hommage an den Architekten Boullée zu nutzen. Blickt der Besucher nun hinter die Wand, auf der das Bild des Sternenhimmels prangt, so strahlt ihm ein leerer Raum entgegen, grell ausgeleuchtet von 150 Neonröhren. Dunkle Kugel und grelle Neonröhre, 18. und 21. Jahrhundert, der Betrachter ist geblendet. Das Beiblatt zur Ausstellung macht darauf aufmerksam, dass unsere Augen dem Hohlkörper Boullées verwandt seien. Dass Merz den Ausstellungsraum als Ort des Lichts definiere, sowie dass Museen, die ursprünglich Orte der Aufklärung waren, dies unter dem Einfluss der Unterhaltungsindustrie kaum mehr sein könnten. Der Besucher ist verdutzt, rätselt jedoch nicht lange, wirft noch einen Blick auf die übrigen Exponate und geht schnell weiter in die nächsten Räume, zu den folgenden Kapiteln.

Da wird ein Bogen geschlagen von Cézanne, dem Vater des Kubismus – ja, Malerei ist auch dabei – über Picasso und Braque hin zu Mondrians Farbrastern und De Stjil und Bauhaus. Die Notwendigkeit der Abfolge ist frappierend, man kann nur nicken. Ein quadratischer kleiner Raum präsentiert auf einem vergrösserten Fernsehtischchen ein Modell des World Trade Center. Zwei Pappquader. Im selben Raum noch 20 weitere Exponate, darunter Brancusis Vogel, Fosters Tannenzapfenhochhaus – auf eineinhalb Meter verkleinert. Kann Architektur überhaupt ausgestellt werden?

Im Zentrum des Museums werden zwei vermeintliche Väter des Gedankens der Formdichotomie zitiert. Ludwig Wittgenstein soll als der Rationalistenvertreter gelten. Er hat seiner Schwester Margarete Stonborough ein ganz geometrisches Haus gebaut. Der andere, Rudolf Steiner, hat ein organisches, fast schon blob-mässiges Gebäude geplant, das Goetheanum. Der philosophische Überbau wirkt etwas bemüht. Freude bereitet jedoch, was in einer Ecke, ganz unbeachtet vor sich hin dampft: auf einem Monitor läuft die Dokumentation einer Beuys-Aktion. Vor zwanzig Jahren hatte er in einen Raum eine kleine Dampfwolke gezaubert. Ohne Unterlass schwebt sie ganz fröhlich nur wenig über dem Fussboden.

Irgendwann schweift man ab, weg von den vielen im Raum stehenden Bezügen, den vielen Ausstellungsstücken und den vielen grossen Künstlernamen und hin zu der Überlegung, was eine Ausstellung eigentlich leisten sollte. Der Kurator wünscht «einen erkenntnisreichen Besuch». Erkenntnis also. Erkenntnisreicher verlässt das Publikum wohl eher eine Bibliothek oder eine Universität, nicht ein Museum. Was fehlt hier? Erfahrung vielleicht – eine ästhetische Erfahrung, denn ein Museumsbesuch sollte eine Lust sein. Schöne Dinge will der Besucher sehen, die Spass machen und an denen er einen Blick schulen kann, den die Welt draussen mit ihrer Kosten-Nutzen-Perspektive nicht zulässt und den die Universität mit Wissen gepflastert hat. Natürlich, der Kunsthistoriker wünscht sich auch im Museum Erkenntnis. Und der Nicht-Kunsthistoriker? Kann der nicht mehr erwarten? Anstatt bloss spielerisch Wissen zu vermitteln, sollte es der Anspruch einer Ausstellung an sich selbst sein, einen spielerischen Zugang zu Kunst zu eröffnen. Das Resultat könnte dann tatsächlich eine Art von Erfahrung sein, die sich vom wissenschaftlichen Umgang mit Kunstwerken und ihrer Geschichte grundsätzlich unterscheidet. Doch Kunst braucht Luft, zuviele Werke verderben am Ende den Genuss, und zu viele Thesen schnüren ihr die Luft ab. Leider ist die Ausstellung «ArchiSkulptur» eine reine Thesenausstellung, deren Thesen auf die gezeigten Werke drücken. Eine These ist nichts Sinnliches, man kann sie nicht sehen. Und doch könnte das Unsichtbare aufs Sichtbare zugehen, im Idealfall schliesslich sichtbar machen, was eben noch gar nicht da war. Hier jedoch steht zu plakativ im Vordergrund, was die Leiter hätte sein sollen, mit der wir zur Sinnlichkeit hinaufklettern wollten. Wir können nicht hinter uns umkippen lassen, worauf wir stehen gelassen wurden.

Anne Tilkorn hat ihre Doktorarbeit in Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München abgeschlossen und hospitiert zur Zeit bei der Redaktion der «Schweizer Monatshefte».

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