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«The Times They Are a-Changin’»

Bob Dylans Einfluss auf die Musik ist immens. Aber auch literarische Texte hat der Nobelpreisträger in vielerlei Hinsicht beeinflusst.

«The Times They Are a-Changin’»
Photograhiert von Jean-Luc/CC BY-SA 2.0

Wer «Herausragendstes in idealistischer Richtung» in der Literatur produziert, dem blüht nicht nur der Nobelpreis, sondern bei dessen Erhalt je nachdem auch eine Grundsatzdiskussion, ob ein solches Ruhmgeld für einsame Schreibarbeit überhaupt gerechtfertigt sei. Um das Argument des «Idealismus», des «humanistisch gesellschaftlichen Engagements» nicht allzu sehr dominieren zu lassen, wird deshalb häufig auf die Wirkungsmacht im Feld der Literatur selber verwiesen. Auf diese Weise lässt sich letztlich noch jedes hohe Alter wie stilles Schaffen rechtfertigen, wenn zumindest eine bestimmte literarische Stilrichtung oder eine literaturgeschichtlich relevante Ausprägung ohne den Ausgezeichneten eigentlich gar nicht denkbar ist. Da mag es nun im Fall des 75jährigen Songwriters Bob Dylan ein wenig merkwürdig anmuten, wenn in den feuilletonistischen Gratulationsbeiträgen, mehrheitlich von Musikjournalisten verfasst, die ausgezeichnete Qualität seiner Songtexte mit der dazu unabdingbaren Musik und Performance gerechtfertigt wird, also streng genommen mit ausserliterarischen Mitteln. Ob aber eine solche Nobelpreis-Begründung als Auflösung überholter literarischer «Kategorien» gefeiert (Nora Gomringer), oder als Ausdruck einer «Zivilisation des Spektakels» und einer «zunehmenden Frivolität der Kultur» beargwöhnt wird (Mario Vargas Llosa), ein Blick in die Welt der Literatur selber zeigt gerade im Fall von Dylan eine breite Wirkungsweise, die sich wohl annähernd nur noch mit der des Librettisten und Komponisten Richard Wagner vergleichen lässt.

Wenn wenige Jahre nach Dylans erstem professionellen Auftritt 1961 die englische Zeitung «The Guardian» vom «Homer in Jeans» sprach, so war das weniger eine ironische Beschreibung, als vielmehr ein Ausdruck der Verblüffung, dass ein Protestsänger in kürzester Zeit ein derart grosses Publikum mit seinem episch ausufernden Liedgut zu gewinnen wusste. Während die Literaturkritik noch kaum von ihm gehört hatte, betrachteten ihn bereits amerikanische Studenten als einen ihrer gewichtigeren Generations-Poeten. Schliesslich bezog Dylan ja nicht nur seinen Künstlernamen auf den 1953 in New York verstorbenen walisischen Lyriker Dylan Thomas, sondern liess sich von Homer über Rimbaud bis Allen Ginsberg auf unterschiedlichste Art und Weise für seine Texte anregen. Entsprechend gehörte es bald einmal für amerikanische Akademiker zum guten Ton, seine Songtexte ohne Vorbehalte als äquivalente Gegenwartslyrik zu untersuchen oder zumindest Zeilen daraus als Motto oder Zitat in ihren Interpretations-Diskursen einzuflechten. All dem verdankt sich nicht zuletzt auch eine entsprechend grosse Zahl ausgezeichneter akademischer Dylanologen.

Bewundernd mitsummen oder ablehnen?

Die literarischen Zeitgenossen der 1960er und 1970er Jahre nehmen Dylan zunächst eher zögerlich als eine gewichtige wie provokative Verkörperung der sogenannten Gegenkultur wahr und bewundern ihn entsprechend als Sänger. So wird etwa das «John Wesley Harding»-Album in Alfred Andersch‘ «Tochter» (1970) als «maximale Platte» erzählerisch gefeiert oder in Adolf Muschgs «Orka der Geograph» (1987) zu «Desolation Row» bewundernd mitgesummt. Ja noch 2002 figuriert in Peter Handkes Roman «Der Bildverlust» Bob Dylan neben dem mythischen Sänger Orpheus und 2007 spricht Rainald Goetz im Zusammenhang mit der Lektüre von Dylans «Chronicles»-Autobiographie davon, wie «im Blick zurück das Glück entsteht». Doch gleichzeitig ist die künstlerische Entwicklung zur Pop-Grösse mit all ihrer medial aufscheinenden Selbstinszenierung bis ins heutige Internetzeitalter auch immer wieder Anlass zur kritischen Kommentierung geworden. Rolf Dieter Brinkmann spricht 1967 auch schon einmal von «neuesten Schlagerplatten», Wolf Wondratschek bedichtet 1976 den mittlerweile routiniert auftretenden «Künstler» als seinem Hippie-Publikum allzu entfremdet, während zwei Jahre später Thomas Brasch die Schizophrenie eines kapitalistischen Dylan-Publikums zwischen Protesthaltung und Kommerz lyrisch thematisiert. Und wer grundsätzlich das «alberne Gequatsche» über Dylan, wie es in einem Gedicht Raymond Carvers heisst, sowie seine «unerträgliche Musik» ablehnt, gleich einer jungen Mutter in Richard Yates Roman «Eine strahlende Zukunft», der vermag einen ellenlangen Disput auszulösen, wenn er selbst noch im grössten Drogenrausch wie Bernward Vesper in «Die Reise» vor lauter «Brechreiz» über eine Dylan-Platte seine WG-Mitbewohner auffordert: «Stellt mal das Ding aus, wenn’s geht!»

Doch letztlich haben all die exzessiven Drogenexperimente, Beziehungskisten, Starallüren wie eskapistische Verweigerungshaltungen des Sängers und seiner Fans zu einem ganz eigenen Literatur-Genre geführt, in dem auf einen Singer-Songwriter von genialem Format mehr oder minder reale Züge von Dylan projiziert werden. Seit Don DeLillos Roman «Great Jones Street» (1973) über Sam Shepards Einakter «True Dylan» (1987) und den Romanwelten von Scott Spencers «The Rich Man’s Table» (1998) bis zu Jonathan Lethems «The Fortress of Solitude» (2003), Maik Brüggemeyers «Catfish» (2015) oder Markus Bergers «Die Köchin von Bob Dylan» (2016) vermehrt sich dieses Genre munter weiter, indem es mit unzähligen biographischen Versatzstücken und ihrer Legendenbildung ebenso aufschlussreich spielt, wie es mit dem kurzen Aufscheinen der allzu eingängigen Songs ganz eigenwillige Stimmungen weckt, in denen mythische Verrätselung und luzide Prophetie Hand in Hand gehen. So wie die Songs immer wieder Poeten zu dylanesk anmutenden Lyrics inspiriert haben, genauso haben sie auch immer wieder zu prosaischen Reflexionen und Erinnerungen angeregt, wie sich etwa in Susan Sontags Tagebüchern oder Ilse Aichingers Kolumnen sehr schön zeigt. Und bisweilen gehört es selbst in Krimis zum guten Ton, über die zufällig im Hintergrund ertönenden Liedtexten Dylans zu werweisen, woran man nun als Ermittler oder Leser gerade ist.

Launenhaftes Abarbeiten an einer Legende

Aber auch der sogenannte historische «Zeitroman» mit seinem Blick zurück in die «Ego-Jahrzehnte» der bewegten 68er (Tom Wolfe), erwähnt gerne Bob Dylan, um wie in Hansjörg Schertenleibs Roman «Cowboysommer» (2010) mit «Highway 61 Revisited» die Soundkulisse seiner Hauptfigur zu unterlegen oder wie in Ursula Frickers Roman «Das letzte Bild» (2009) eine zugedröhnte Partytänzerin mit «Simple Twist of Fate» heraufzubeschwören. Doch bei allem Marihuana-Geruch, bei aller «Geborgenheit» in den vieles Utopische bestätigenden Liedtexten, bei all diesen Antworten, die nur der Wind weiss, schreibt Silvio Blatter im Roman «Zunehmendes Heimweh» 1978 auch von der «romantischen Lagerfeuertäuschung aller Folksänger, die aus Problemen immer Abkürzungen machten», also bloss eine «schöne Illusion». Insofern lässt sich auch zunehmend beobachten, wie speziell eine jüngere Generation von Schreibenden, nicht zuletzt auch angesichts der eigenen, als ein wenig peinlich empfundenen jugendlichen Dylan-Schwärmerei mit unverstellt ironischem Blick auf heikle Dinge fokussiert, vom Mutter-Schreck-Poster mit Dylans «psychedelischer Frisur» (Jonathan Franzen) über des Sängers «nölig und weinerliche Stimme wie die eines mies gelaunten Teenagers» (Rolf Lappert) bis hin zu all den unzählbar «vermurksten» Strassensängerversionen von «Blowin‘ in The Wind» (Jaroslav Rudiš). «Nichts gegen Bob Dylan», sagt der Privatdetektiv Vijay Kumar einmal in Sunil Manns Krimi «Fangschuss» (2010), aber eigentlich gehört der «in den Fundus des Gestrigen, etwas, das meine Generation nicht mehr miterlebt» hat. Ja, das ständige esoterisch anmutende Gerede um «Bobs Mädel» wie die Herumnörglerei des Ehemanns an diesem «katzenjammernden Stricklieslbarden», dem «Hippiezeug» und der «Nostalgiekacke» lassen die Protagonistin von Monique Schwitters Roman «Ohren haben keine Lider» (2008) schliesslich resigniert die CDs und Songbücher wieder wegräumen. «Lieber Bob, the times they are a-changin‘, wie du weisst, gib Ruhe jetzt.» Doch bei so viel Sarksamus wird wohl kaum wirklich Ruhe eintreten können. Man könnte zum Schluss höchstens besonnen wie der Kolumnist Peter Bichsel auf dieses eigenartig widersprüchliche Gefühl, diesen Hang zur Provokation verweisen, es einfach einmal einem allzu manischen Dylan-Fan ins Gesicht zu sagen: «Ich mag ihn nicht, sag ich aus irgendeiner Laune heraus.» Aber mit dieser Launenhaftigkeit wird Literatur wohl auch noch zukünftig mit all ihren speziellen Registern herausragend auf Bob Dylan zu reagieren wissen.

 


 

Severin Perrig
ist Literaturwissenschaftler, Autor und Moderator am «Luzerner Literaturfest». Zuletzt erschien der Essayband «Am Schreibtisch grosser Dichter und Denkerinnen» (Zürich, Rüffer & Rub: 2011). Perrig ist der Übersetzer von Holbrook Jacksons «The Anatomy of Bibliomania».

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