Teufelskreis der Staatsintervention
Deutsche Steuerreform als Stimmungsmache Sprunghaftigkeit und Ziellosigkeit markieren die Hilflosigkeit von Regierung und Opposition. Statt Vertrauen wird Verwirrung gestiftet, und die Vielfalt immer wieder neuer widersprüchlicher Reformrezepte steht im Widerspruch zum Ruf nach einer konsequenten und radikalen Abwendung vom Staatsinterventionismus.
Die rot-grüne Bundesregierung will mit dem Vorziehen der Steuerreform die miese Stimmung in Deutschland wenden. Es komme jetzt ent-schei–dend darauf an, «Zuversicht zu verbreiten», sagt SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Nur dann bringen die avisierten Steuersenkungen das, was sie bringen sollen: mehr Konsum, eine bessere Binnenkonjunktur, mehr Arbeitsplätze. Gerade sieben Monate ist es her, seit die Bundesregierung mit ihrem «Steuervergünstigungsabbaugesetz» eine Liste von Abgabenerhöhungen beschliessen wollte – von einer steigenden Dienstwagensteuer bis zu einem höheren Mehrwertsteuersatz für Schnittblumen. Noch im Frühjahr hat der Kanzler ein Vorziehen der Steuerreform als «ökonomischen Unsinn» abgetan. Und erst Anfang Mai referierte Hans Eichel im SPD-Präsidium darüber, dass man auch in schweren Zeiten sparen müsse.
Die Reform der Reform anzustreben gehört zum Alltagsgeschäft der rot-grünen Koalition. «Jedes neue Reformprojekt gilt einen Sommer lang als grosser Wurf und reicht dann doch kaum weiter als ein Jahr», schreibt der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels in einem Thesenpapier.
So haben die Sozialdemokraten im Wahlkampf 1998 erst die Rentengesetze der Regierung Kohl bekämpft, um dann zwei Jahre später eine Reform mit weitgehend identischer Wirkung zu beschliessen. In diesem Jahr soll nun wiederum eine neue, härtere Rentenformel folgen; die Grünen wollen zudem sogar noch eine Nullrunde bei den Rentenerhöhungen durchsetzen. «Unsere bis 2030 reichenden Beitragsprognosen von 2001 sind schon 2003 Makulatur», erklärt der Sozialdemokrat Bartels. «Den Vertrauenskollaps der künftigen Rentenbürger heilt man so nicht.» Die rot-grüne Arbeitsmarktpolitik ist ebenso inkonsequent: Erst machte die SPD im 1998er Wahlkampf Stimmung gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes, dann beschloss sie gegen Ende der Legislaturperiode das Hartz-Konzept mit entgegengesetzten Vorzeichen. Im Wahlkampf sprach sich die Partei dann entschieden gegen weitere Lockerungen aus, berief allerdings anschliessend einen Wirtschaftsminister, der wiederum eine Lockerung ankündigte. Daraufhin machte die Partei so viel Druck, dass am Ende doch nur Spuren-elemente übrig blieben.
Unternehmer, Investoren, Verbraucher und Arbeitnehmer verzweifeln und bleiben auf der Strecke. Eine Überschrift von Schröders Agenda 2010 lautete: Senkung der Lohnnebenkosten. Superminister Wolfgang Clement betont in fast jedem Interview, im internationalen Vergleich seien in Deutschland eigentlich nicht die Steuern, sondern die Sozialabgaben zu hoch. Nun sinken zum Jahresende dennoch die Steuern – zumindest, wenn die dritte Stufe der Steuerreform tatsächlich zum Jahreswechsel gezündet wird. Gleichzeitig dürften die Sozialabgaben weiter steigen. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit reisst riesige Löcher in die Sozialkassen.
Zurück zu den Wurzeln
Die sogenannten «Netzwerk»-Sozialdemokraten drängen auch schon auf eine andere Finanzierung der Sozialsysteme: Auf mittlere Sicht sollten indirekte Steuern angehoben und zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden, fordern sie. «Die Mehrwertsteuer ist für uns kein Tabu», erklärt der Bundestagsabgeordnete Hubertus Heil. Spätestens auf dem SPD-Parteitag im November will man darüber diskutieren. In der Fraktion gibt es dafür grosse Sympathien, Wissenschafter wie Rürup, aber auch die Gewerkschaften fordern seit langem eine stärkere Steuerfinanzierung des Sozialsystems. Ende des Jahres erleben wir also ein neues Theater, wenn die SPD gleichzeitig über Steuererhöhungen und Steuersenkungen diskutiert. Die dissonanten Stellungnahmen der CDU/CSU zu den Steuerplänen der Schröder-Regierung zeugen von einer ähnlichen Verwirrung. Der Ruf nach Reformen hat zwar Orkanstärke erreicht – er verpufft aber im täglichen Dilettantismus der politischen Klasse und bestätigt die Staatsskepsis liberaler Ökonomen: Die Zeit dürfte eigentlich reif sein, sich auf die Grundsätze klassisch liberalen Denkens eines Ludwig von Mises zurückzubesinnen.
Der wichtigste Denker der «Österreichischen Schule der Nationalökonomie» hat vor solchen Tendenzen anmassender und prinzipienloser Staatspolitik immer wieder gewarnt und begründete dies mit seiner «Theo-rie des Interventionismus». Für Mises läge die Lösung der drängendsten Probleme unserer Zeit, der hohen Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Rekordpleiten und der sinkenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit auf der Hand. Als radikaler Verfechter liberaler Ideen wurde er nicht müde zu betonen, dass die Freiheit und der Wohlstand in den westlichen Ländern auf deren Wurzeln zurückzuführen seien, den demokratischen Kapitalismus mit einer freiheitlichen Marktwirtschaft.
Nach seiner «Interventionstheorie» ziehen staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen schrittweise Folgeinterventionen nach sich, da die «Marktkorrektur» jeweils neue Probleme schafft oder die alten verschärft. «Erhaltungssubventionen», etwa in der Landwirtschaft und im Bergbau, sind dafür ein gutes Beispiel. Würden Bund, Länder und Kommunen die Subventionen komplett streichen, so könnte man nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft den Eingangssteuersatz der Einkommenssteuer von 21 auf 7,7 Prozent reduzieren. Der Spitzensteuersatz würde nur noch 18,8 statt 51,2 Prozent betragen. Aber auch die jetzige chronique scandaleuse der Steuerdiskussion belegt die Analyse von Mises.
Der Staatsmoloch hat in Deutschland eine monströse Dimension erreicht, wo jede Steuerkürzung unweigerlich zu höheren Schulden führt. Der fette Kater braucht schliesslich seine Nahrung. Da die staatsseligen Politfunktionäre nicht im Traum daran denken, Pfründe, Macht und Interventionshoheit abzugeben, bleibt das Dilemma auf Dauer erhalten. Die Macht- und Wissensanmassung des Staates lebt von der Interessenfusion zwischen Politikern, Bürokraten und Interessengruppen. Es regieren kurzfristig improvisierende Strukturerhalter, die mit ihren unrealistischen Heilserwartungen und fragwürdigen Wirtschaftsprog- nosen die Öffentlichkeit in die Irre führen. Die vorherrschende Hybris laviert zwischen Belanglosigkeit, Beliebigkeit und Hochmut. Eichels Finanzplanungen, Steuerschätzungen und Wachstumsannahmen kommen der empirischen Qualität eines Horoskops nahe. Fréderic Bastiat hat den Staat zutreffend als stationären Banditen charakterisiert, der über Steuern auf Kosten anderer lebt. Unternehmen hingegen konkurrierten auf eigenes Risiko und trügen damit zur Mehrung des Wohles aller bei. Tun sie dies nicht und präsentieren permanent rote Zahlen, so verschwinden sie früher oder später von der Bildfläche. Wie Mises nachweist, gibt es für diese selektionierende und wohlfahrtsmehrende Funktion offener Märkte keine Alternativen, weshalb er auch nicht zwischen marktwirtschaftlich akzeptablen und verwerflichen staatlichen Interventionen unterschied. Die individuelle Entscheidung stand bei ihm stets im Zentrum des Denkens.
Gunnar Sohn, geb. 1961, arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist in Bonn. Er betreibt den Online-Nachrichtendienst «NeueNachricht» (www.ne-na.de).