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Taumel, vor dem Trinken

Raphael Urweider: «Alle deine Namen. Gedichte von der Liebe und der Liederlichkeit». Köln: DuMont, 2008

In seinem dritten Gedichtband «Alle deine Namen» wendet sich Raphael Urweider, 1974 in Bern geboren, der Leidenschaft zu, in der Liebe und Liederlichkeit fliessend ineinander übergehen. Gegenüber der geschmeidigen, beherrschten Diktion seiner früheren zwei Bände lässt er sich neuestens auch zu emphatischen Anrufungen hinreissen.

Die insgesamt 44 Gedichte sind in drei Abteilungen gegliedert. In «acht jahreszeiten» verfeinert Urweider eingangs den Jahreslauf. Neben dem «vollfrühling» entdeckt er den «vorfrühling», wenn noch letzte Schneefetzen liegen und der Spatz bereits hinter der Spätzin her ist. Das dem Band vorangestellte Motto aus dem Buch Prediger ist ernstzunehmen: «Und alles, was meine Augen sich wünschten, das liess ich ihnen und wehrte meinem Herzen keine Freude…» Urweider gerät ins Schwärmen und Singen, wenn er Frühling und Herbst dem faulen, untätigen Sommer vorzieht.

Auf jegliche Satzzeichen verzichtend, treibt er seine Spiele mit der syntaktischen Ambivalenz: «unsere vögel daheim sind / nachtfalter dagegen auch / habe ich versucht…» Dieses Spiel verleiht auch dem zweiten Zyklus «ein reigen» seinen Reiz. Urweider hebt darin zu einem zeitgemässen Minnesang an, einem Damenlob in hohen und höchsten Tönen von Antonia und Beatrice bis Yolanda und Zoe. Selbst Xanthippe nimmt er dabei nicht aus – Xenia hätte sich durchaus als Alternative angeboten. Die freien Verse verleihen dem Lob etwas Taumelndes und sind dergestalt nicht ohne Pikanterie. Doch ist dem Sänger zu trauen? «wie fühlte ich mich bis zu / diesem zauber mein leben lang / als wär ich müd geboren».

Demgegenüber zeichnen sich die zehn «selbstversuche» im dritten Teil durch ihre nüchterne Trunkenheit aus. In gänzlich aufgelöster Form besingt Urweider zehn alkoholische Getränke und beschreibt ihre Wirkungen. «gin du böses holz du harter dorn stapelst / im winter steife leichen beugst die freude». Brillant daran ist die scharfe Präzi-­sion, mit der Urweider den Alkoholika ihre Eigen-schaften zuweist: Der «scharlatan» Absinth, der bauchige Whisky, der melodische Cognac. Wer beim Wählen eines dieser Getränke mit sich uneins ist, lese zuerst diese Gedichte – laut und leidenschaftlich – und wähle danach mit Bedacht.

vorgestellt von Beat Mazenauer, Luzern

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