Werte
«Die Schweiz und die EU teilen dieselben Werte.»
Michael Matthiessen
EU-Botschafter, in der NZZ vom 23. März 2017.
Trump, Brexit, Erdogan – es gibt offenbar wieder viel Anlass, über Werte zu sprechen. Von westlichen Werten ist die Rede, europäischen Werten, christlichen Werten, es kann einem fast zu viel werden. Meistens geht es um die ganz grossen Themen der Menschheit: um Freiheit, Menschenwürde, Frieden, Wahrheit, Demokratie, Gerechtigkeit; wobei darunter nicht jeder dasselbe versteht. Worauf sich der EU-Botschafter Matthiessen genau bezieht, bleibt ungewiss.Im Wertediskurs herrscht viel Konfusion.
Inhaltlich fehlt es an einer sauberen Abgrenzung der Kategorien. Alles Mögliche schwirrt herum, was einer «Konzeption des Wünschenswerten» (Clyde Kluckhohn) entspricht. So verschwimmt nicht nur die Grenze zwischen Wichtigem und Banalem: Auch ein Papet vaudois ist wünschenswert, wenn die Zeit des Nachtessens heraufzieht. Zwischen den Werten kullern Tugenden, Ideale, Maximen, Gebote, Moral und Ethik fälschlich als Synonyme herum. Da ist von Pünktlichkeit und Ehrlichkeit als Schweizer Werten die Rede; es handelt sich aber um Tugenden. Oder es geht um die Marktwirtschaft; dabei lässt sich eine Wirtschaftsordnung nur als Ausformung eines Gebots der Sozialethik fassen. Am besten stellt man sich Werte an der Spitze einer Pyramide vor, als Fluchtpunkte des moralischen Denkens, die sich nicht auf einen Zweck reduzieren lassen. Werte verweisen auf das Gute. Sie sind das, was Menschen «relativ absolut» (Frank Knight) setzen; zum Beispiel die Freiheit. Alles andere ist nachgelagert. Als Orientierung sind Werte auch für politisches Handeln unabdingbar.
Begrifflich kann irritieren, dass in den Werten das Ideelle einen der materiellen Sphäre entlehnten Ausdruck gefunden hat. Will man so über Abstrakta sprechen, die Menschen heilig sind? Der Rückblick mag beruhigen: Im ethischen Diskurs gesellte sich der Wert dem Begriff der Tugenden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hinzu, als das Wirtschaften im Zuge der arbeitsteiligen Ausdifferenzierung der Ökonomie, der Ausweitung des Handels und der sich daraus ergebenden Prosperitätszuwächse kein Nullsummenspiel mehr war, sondern man es als Kooperation zum gegenseitigen Vorteil begreifen konnte. In der Moderne ist der systematische Gegensatz zwischen Ökonomie und Moral überwunden.
Karen Horn
ist Dozentin für ökonomische Ideengeschichte, freie Autorin sowie Chefredaktorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift «Perspektiven der Wirtschaftspolitik».
Zum Thema: Am Donnerstag, 1. Juni 2017, wird Karen Horn im Rahmen einer Veranstaltung der Paulus-Akademie über das Thema «Ökonomische und christliche Menschenbilder – unvereinbar?» referieren. Anmeldung und Details unter: www.paulusakademie.ch.