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Whistleblowing kann ein sehr wirksames und effizientes Instrument zur Verbesserung der Verwaltung sein. Die Bürgerinnen und Bürger müssen bloss ihre Kultur des Aussitzens überwinden. Ein Aufruf.

Ein Angestellter des Bundes merkt, dass sein Vorgesetzter gewisse Leistungen immer bei dem gleichen «Hoflieferanten» bestellt, ohne dass dabei tatsächlich der Wettbewerb spielt. Zunächst wird er skeptisch: einerseits könnte sich der Verantwortliche durch das Vertrauen und die bisher gute und verlässliche Leistung des «Hoflieferanten» beeinflussen lassen, ohne sich persönlich bereichern zu wollen – es würde sich also um eine Unregelmässigkeit handeln, die immerhin einen Verstoss gegen die Wirtschaftlichkeit (Suche nach der günstigsten Leistung) und die etablierten Normen (Rechtsgrundlagen über das öffentliche Beschaffungswesen) darstellt. Andererseits könnte der Verantwortliche aber auch mit klarer Bereicherungsabsicht gewisse «diskrete» Gegenleistungen wie Operneinladungen, einen VIP-Sitzplatz im Fussballstadion oder kostenlose Ferien in einem hübschen Chalet angenommen haben. Hier würde man bereits von strafbarem Verhalten sprechen. Im Arbeitsumfeld spüren denn auch immer mehr Kollegen – oder die nicht gewählten Lieferanten –, dass etwas nicht stimmt; sie verlieren das Vertrauen und sind zunehmend frustriert. Unser Angestellter will handeln, steht aber in jedem Fall vor einem Berg von Problemen: An den Vorgesetzten kann er sich nicht wenden, wenn er seinen Job behalten will, eine höhere Ebene oder Compliance-Abteilung existiert vielleicht nicht, der Umgang mit Medien erscheint ihm zu heikel – und das Reputationsrisiko für seine Abteilung und den Bund wird immer grösser, solange er keine Massnahmen zur Verbesserung der Situation ergreift. Wie entkommt er dieser Zwickmühle?

Als ich als Mitglied des Managements der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) vor zehn Jahren zum ersten Mal von Whistleblowing1 hörte, war ich sehr skeptisch. Dieses Instrument, Teil eines Compliance-Management-Systems2, war damals vor allem in der angelsächsischen Welt verbreitet. Worum handelt es sich? Es geht darum, bestimmten Stellen Delikte oder Unregelmässigkeiten zu melden. Der Hinweisgeber, der auch anonym informieren kann, wird dabei geschützt. Der traditionellen schweizerischen Kultur war dieses Instrument lange eher fremd. Wir arbeiten hart, sind vorbildlich und haben hohe Achtung vor unserem föderalistischen System, unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern sowie Arbeitskolleginnen und -kollegen. Stellen wir ein Problem fest, neigen wir eher dazu, dieses zu übersehen, um keine Schwierigkeiten zu verursachen – solange wir nicht selber davon betroffen sind.

Ein gutes Beispiel für ein längeres Zusehen dieser Art war das lange Festhalten am Bankkundengeheimnis, was dem Ruf der Schweiz meines Erachtens mehr geschadet als genützt hat. Ein anderes Beispiel ist die Korruption. Auch sie wurde in der Schweiz bis vor kurzem eher zurückhaltend wahrgenommen, obwohl auch einige Fälle in öffentlichen Verwaltungen aufgedeckt wurden. Was zuletzt im Tessin im Asylwesen und vor drei Jahren im Informatikbereich der Arbeitslosenversicherung beim Seco geschehen ist, zeigt, dass Korruption im öffentlichen Sektor existiert – trotz im internationalen Vergleich niedriger Korruptionswerte. Deshalb sind auch hier Präventions- und Aufdeckungsmassnahmen unabdingbar. Oft dauert es nämlich Jahre, bis Korruptionsfälle entdeckt werden. Manchmal liegen zwar Indizien vor, doch es fehlen die Beweise. Jeder solche Fall schadet dem öffentlichen Sektor und dem Ruf unseres Landes. Die Vorkommnisse schmälern zudem das Vertrauen der Bürger in die Integrität von Staat und Verwaltung – aus all diesen Gründen müssen wir Korruption endlich präventiv bekämpfen. Wie kann das effektiv gelingen?

Mit gutem Beispiel voran?

Vor sechs Jahren hat der Bund mehrere Massnahmen zur Betrugs- und Korruptionsbekämpfung lanciert. Eigentlich müsste ich schreiben: «bereits vor sechs Jahren», denn im Vergleich zur Bundesverwaltung steckt der Schutz von Whistleblowern in der Privatwirtschaft oder im Obligationenrecht noch in den Kinderschuhen. Beim Bund haben Whistleblower Rechte und Pflichten und sind nach Artikel 22a und 34c des Bundespersonalgesetzes (SR 172.220.1) geschützt. Die EFK betreibt seit 1. Januar 2011 eine Whistleblowing-Stelle, an der der EFK-Rechtsdienst und meine Person als EFK-Vizedirektor beteiligt sind. Zudem hat das Eidgenössische Personalamt Informationsbroschüren zu den Themen richtiges Verhalten (Verhaltenskodex Bundesverwaltung) und Korruption (Korruptionsprävention und Whistleblowing) herausgegeben. Hinzu kommen Massnahmen innerhalb der Ausbildung der neuen Führungskräfte (auch im Beschaffungsbereich), um die Sensibilität für Korruptionsprävention und richtiges Verhalten zu erhöhen.

Auf der Bundesebene sind verschiedene weitere Massnahmen vorgesehen, um die Handhabung für die Hinweisgebenden und die Wirkung des Whistleblowing zu verbessern. Die erste Massnahme ist kürzlich initialisiert worden und besteht in der Verstärkung der Hinweisgeberplattform der EFK. Die neue Plattform befindet sich im Aufbau und wird am 1. Juni 2017 aufgeschaltet. Der Zugang geschieht, wie bisher, über die Website der EFK3. Sie wird allen Verwaltungseinheiten der zentralen Bundesverwaltung sowie allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen. Das Ziel ist es, den Schutz und die Anonymität der Hinweisgebenden weiterhin zu gewährleisten sowie deren Vertrauen in unser System zu stärken. Die einzelnen Meldungen werden verschlüsselt und die Informationen über die Bearbeitung der Fälle bleiben auf der geschützten Plattform. Die Daten werden in einem hochgesicherten Rechenzentrum in der Schweiz gehalten und sind nur durch die Whistleblowing-Stelle der EFK einsehbar. Die neue Plattform wird uns auch erlauben, mit den anonymen Hinweisgebern Rücksprache zu nehmen, was bisher nicht möglich war.

Eine zweite Massnahme betrifft die Koordination mit den Meldestellen von Organisationen der dezentralen Bundesverwaltung, die dem Bundespersonalgesetz unterstehen. Wir tauschen uns regelmässig mit der Compliance-Meldestelle der Schweizerischen Bundesbahnen aus und planen derzeit eine Zusammenarbeit mit der Meldestelle des Bereichs der Eidgenössischen Technischen Hochschulen. Verbindung pflegen wir auch mit dem Fedpol (Bundesamt für Polizei), seit dieses im Jahr 2015 eine Plattform zur Korruptionsbekämpfung eingerichtet hat. So stellen wir sicher, dass alle Hinweisgebenden aus der Bundesverwaltung geschützt sind – und auch Fälle von Unregelmässigkeiten im Whistleblowing der EFK eingebunden werden.

Als dritte Massnahme ist deshalb geplant, die bestehenden weiteren Meldestellen der zentralen Bundesverwaltung zu schliessen. Dadurch möchte die EFK die Kräfte bündeln und einer Verzettelung durch zu viele Anlaufstellen entgegenwirken. Dabei ist der Schutz der Hinweisgebenden oberstes Ziel. Das Verhalten des ehemaligen Armeechefs in der Bodluv-Affäre zeigt, wie empfindlich die Reaktion gegenüber einem im Amt tätigen Hinweisgeber sein kann (dieser ging mit Informationen an die Medien). Die potenziellen Hinweisgebenden sollen sich an eine unabhängige bundesinterne Stelle wenden können. Nur so sind sie vor Kündigung geschützt. Damit vermeiden wir, dass sie Informationen an Aussenstehende weitergeben und dadurch das Amtsgeheimnis verletzen.

Von der Beurteilung zur Massnahmenergreifung

Die EFK übt die Finanzaufsicht über die zentrale und dezentrale Bundesverwaltung aus. Sie ist unabhängig, verfügt über ein eigenes Gesetz (SR. 614.0) und legt ihr Arbeitsprogramm selbst fest. Sie ist am besten in der Lage, die eingegangenen Meldungen auf ihre Plausibilität hin zu prüfen und bei Bedarf entsprechende Massnahmen vorzuschlagen. Sie verbessert dadurch auch den Mehrwert ihrer Prüfarbeit für die Verwaltungseinheiten und deren Direktionen.

Es ist also notwendig, dass sie Massnahmen zur Wahrung der Anonymität der Whistleblower ergreift, egal ob es sich um Bundesangestellte oder Privatpersonen handelt. Wenn möglich kontaktiert sie diese, um die Zustimmung für einen möglichen Informationsaustausch mit den Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden einzuholen. Allfällig erforderliche Abklärungen nimmt die EFK im Rahmen ihrer Prüfungen oder über das im Finanzkontrollgesetz verankerte Auskunftsrecht vor. Diese Arbeit und die Ergebnisse sind vertraulich. Die EFK informiert auch die Whistleblower in der Regel nicht über die getroffenen Massnahmen. Findet in deren Verwaltungseinheit eine Prüfung der EFK statt, werden sie wie alle anderen Mitarbeitenden befragt. Sie wissen so, dass Massnahmen laufen, haben jedoch keinen Wissensvorsprung, der sie möglicherweise verraten könnte. Die Hinweisgebenden erfahren die Ergebnisse der Abklärungen der EFK über den veröffentlichten Bericht. Die EFK hat mit diesem Vorgehen bisher sehr gute Erfahrungen gemacht.

Entscheidend ist es, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Die eingegangenen Informationen könnten schliesslich einseitig sein und nur einen Teil des Sachverhaltes wiedergeben. Deshalb vergleicht und plausibilisiert die Whistleblowing-Stelle die erhaltene Information mit intern vorhandenen Kenntnissen über die geschilderte Situation. Anschliessend definiert sie den Handlungsbedarf. Dank der rund siebzig Meldungen, die jedes Jahr eingehen, können zielgerichtete Massnahmen eingeleitet und das Management und die Prozesse in der Bundesverwaltung verbessert werden. Bisweilen wird darüber auch in den Medien berichtet. Man denke etwa an die Affären rund um Beschaffungen im IT-Bereich oder in der Zentralen Ausgleichsstelle.

Wie steht es um die Effizienz der Bearbeitung? In der Hälfte aller Fälle konnte die EFK die Hinweise im Rahmen ihrer Prüfungen behandeln. In einem Viertel der Fälle leitete die EFK Hinweise anonym den zuständigen Behörden weiter. Dazu gehören unter anderem: mutmassliche Betrugsfälle in der Arbeitslosen- oder Invalidenversicherung, Steuerhinterziehungen oder Fälle mit kantonaler Behördenkompetenz. Jährlich übermittelte die EFK in zwei bis drei Fällen die Informationen der Bundesanwaltschaft. Hier hatte sich rasch erwiesen, dass es sich um Delikte oder Verbrechen handelte, die in den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fielen.

Die EFK-Hinweisgebenden sind gesetzlich geschützt und erleiden keine Nachteile

Die sechsjährige Erfahrung der Whistleblowing-Stelle der EFK zeigt, dass Hinweisgebende keine Nachteile zu gewärtigen haben. Voraussetzung ist, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und die Sorgfaltspflichten respektiert werden, indem die gleichen Informationen nicht an externe Dritte (beispielsweise die Medien) weitergegeben werden. Deswegen sind die im Artikel 22a des Bundespersonalgesetzes erwähnten Kanäle zu beachten.

Was das Gesetz nicht schützen kann, sind berufliche Fehler oder ungenügende Leistungen der Angestellten. So kann es geschehen, dass der Arbeitgeber – ohne zu wissen, dass es sich um einen Hinweisgeber handelt – einem Angestellten wegen anderer Gründe kündigt. In diesem Fall wäre es nicht gerechtfertigt, die Entlassung des Angestellten mit Berufung auf den Hinweisgeberschutz in Frage zu stellen. Wir machen die internen Hinweisgebenden auf diese Problematik aufmerksam und versuchen auch, die Gründe für ihre Hinweislieferung zu erfahren. Wichtig ist zu verstehen, warum für sie die Toleranzgrenze überschritten worden ist – und was sie bewegt, uns ihre Sachverhalte zu melden.

Für die EFK ist auch wichtig zu erfahren, ob die Hinweisgebenden nach ihrer Meldung negativen Reaktionen oder Repressalien seitens ihres Arbeitgebers ausgesetzt sind. Im Fall der Zentralen Ausgleichsstelle haben wir versucht, die (möglichen) Auswirkungen auf die zahlreichen Hinweisgebenden zu verfolgen. Es mussten keine Massnahmen ergriffen werden, bislang haben die Hinweisgeber keinen persönlichen Nachteil erleiden müssen, nachdem sie bei der EFK Meldung erstattet hatten.

Einen Beitrag zur Verbesserung der Bundesverwaltung leisten

Wenn Bundesangestellte von einem Vergehen oder Verbrechen allgemein oder im Arbeitsalltag Kenntnis erhalten, sind sie verpflichtet, sich bei den Strafverfolgungsbehörden, ihren Vorgesetzten oder der EFK zu melden. Im weiteren sieht das Gesetz vor, dass sie der EFK auch andere Unregelmässigkeiten mitteilen können. Die Angestellten müssen dafür keinen Beweis erbringen und können anonym bleiben. Externe Personen, wie beispielsweise Lieferanten, Bürgerinnen und Bürger, dürfen ebenfalls Meldungen weiterleiten. Alle Hinweise sind ein wertvoller Beitrag zur besseren Nutzung der Steuergelder und zur Verhinderung von Reputationsschäden für die Bundesverwaltung und den öffentlichen Sektor.

Idealerweise sollte die Meldung von Missständen frühzeitig geschehen – bevor die «Schmerzgrenze» erreicht ist! Beim Bund angestellte Hinweisgebende, die sich direkt an die EFK richten, sind von Gesetzes wegen geschützt und müssen keine negativen Konsequenzen befürchten. Dank der eingegangenen Meldungen können Korruption und Ansätze dazu besser erkannt und bekämpft werden. Nach mehrjähriger Erfahrung als Leiter der Whistleblowing-Stelle der EFK bin ich heute überzeugt, dass Whistleblowing ein starkes und positives Instrument ist. Es muss allerdings noch mehr beachtet und ernst genommen werden. Doch unsere Kultur öffnet sich allmählich. Hinweisgebende werden nicht mehr als «Verräter der Nation» betrachtet, sondern mehr und mehr als Treiber positiver Entwicklungen und erforderlicher Verbesserungen in den öffentlichen Verwaltungen wahrgenommen. Durch eine professionelle Handhabung von Hinweisen, gekoppelt mit angemessenen Prüfmassnahmen, kann die EFK zur Förderung des Whistleblowings beitragen.

Das Hinweisgeben sollte idealerweise zu einer Art Reflex des Staatsbürgers werden. Bürgerinnen und Bürger sowie Angestellte sollten sich sensibilisieren lassen für kriminelle Tätigkeiten, aber auch für fehlende Effizienz und Wirksamkeit im Handeln der öffentlichen Hand. Ich glaube: die Richtung stimmt und das Whistleblowing wird sich deshalb in den nächsten Jahren auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung der Schweiz schnell weiterentwickeln.


1 Beim Whistleblowing (von engl. «to blow the whistle», sinngemäss «etwas aufdecken», «jemanden verpfeifen») werden Hinweise auf Missstände in Unternehmen, Hochschulen, Verwaltungen etc. gegeben. Der Whistleblower ist meist ein (etablierter oder ehemaliger) Mitarbeiter oder ein Kunde und berichtet aus eigener Erfahrung. (…) (http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/whistleblowing.html).
2 Die Gesamtheit der Grundsätze und Massnahmen eines Unternehmens zur Einhaltung bestimmter Regeln und damit zur Vermeidung von Regelverstössen in einem Unternehmen wird als «Compliance Management System» bezeichnet (Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland, PS 980).
3 www.efk.admin.ch

 

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