Shared Philanthropy
Während alle Welt von der «Shared Economy» redet, hadert der Gemeinnützigkeitssektor weiterhin mit der Idee. Dabei ist klar: die Schweiz hat nicht zu wenige Stiftungen, sondern zu wenig effizient vernetzte.
In einer genossenschaftlichen Wohnung leben, Car-Sharing praktizieren und im Ortsverein aktives Mitglied sein – für viele von uns eine Selbstverständlichkeit. Die Idee, gemeinsam mehr erreichen zu können als alleine, begleitet uns Menschen seit jeher. Selbst in der bisweilen unbarmherzigen Logik der Betriebswirtschaft sehen wir immer häufiger sogenannte «Shared Economy»-Ansätze verwirklicht. Was liegt also näher als die Vermutung, gerade der Gemeinnützigkeitssektor sei geprägt von einer «Shared Philanthropy», also dem Gedanken, Gutes gemeinsam effektiver bewirken zu können?
Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass in der Stiftungslandschaft eine Kultur der Individualität, Zersplitterung und des Nebeneinanders dominiert. Auch wenn in den letzten Jahren ein etwas frischerer Wind wehte und die Zusammenarbeit der Akteure stärker in den Fokus rückte, ziehen es viele Stifterinnen und Stifter immer noch vor, ihre Visionen alleine zu verwirklichen.
Eine lange Tradition
Dieser Befund überrascht umso mehr, als das Grundkonzept der Bündelung von Vermögen zur gemeinsamen Verwirklichung philanthropischer Ziele auf eine lange Tradition zurückblickt. So waren die ersten «frommen Stiftungen» (sog. pia causa), mittels derer Adlige und später wohlhabende Bürger seit dem 5. Jahrhundert kirchliche und mildtätige Anliegen verfolgten, zweckgebundene Vermögenswidmungen an einen bestimmten Rechtsträger – typischerweise die Kirche oder eine bestimmte Gemeinde. Der Stiftungsträger bot – quasi als weltlicher Repräsentant göttlicher Ewigkeit – Gewähr dafür, dass die Zwecke dauerhaft erfüllt werden; im Gegenzug durfte das gewidmete Vermögen nur im Sinne der Geber verwendet werden. So entstand in Mitteleuropa ein dichtes Netz gemeinsam verwalteter Stiftungsstrukturen.
Die zunehmende ökonomische und politische Emanzipation des Bürgertums, die Säkularisierung des Rechts und nicht zuletzt die Schaffung von Stiftungen als selbständige juristische Personen mit eigenen Rechten und Pflichten führten im Laufe der Zeit aber zu einem Umdenken: Statt Vermögen zweckgebunden auf einen bestehenden Rechtsträger zu transferieren, damit dieser einen bestimmten Zweck verfolgt, wurde spätestens ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Errichtung einer rechtsfähigen Stiftung zur Regel. Begünstigt von einem wirtschaftsfreundlichen Klima und verschont von den beiden Weltkriegen, konnte in der Schweiz die einzelne Stiftung ihren Siegeszug antreten. Mittlerweile zählen wir hierzulande rund 13 000 gemeinnützige Stiftungen – eine im internationalen Vergleich enorme Zahl (so existieren im bevölkerungsmässig knapp zehnmal so grossen Deutschland ca. 22 000 Stiftungen).
Der Wunsch, etwas Dauerhaftes zu erschaffen, das eng mit dem eigenen Ich verbunden ist, dürfte einem tiefen menschlichen Verlangen entsprechen, nicht in Vergessenheit zu geraten. Und so verwundert es nicht, dass die eigene Stiftung oftmals als Krönung des unternehmerischen bzw. sonstigen persönlichen Erfolgs angesehen wird. Unter dem sichtbaren Stiftungszweck, also dem Wunsch, ein konkretes Anliegen zu verfolgen (z.B. Krankheiten und Armut zu bekämpfen oder die Kunst zu fördern), schimmert häufig eine implizite «Denkmalfunktion» der rechtsfähigen Stiftung durch. Mit der «eigenen» Stiftung soll, ob bewusst oder unbewusst, der eigene Name über den Tod hinaus erhalten bleiben – und die Stifter in Gestalt ihrer Stiftungen weiterleben.
Am Horizont zeichnen sich indes neue Denkweisen ab. Zwar werden nach wie vor rechtsfähige Stiftungen errichtet. Der nur bedingt zielführende Trend, im Zweifel eine eigene Stiftung zu errichten, scheint aber gebrochen: Die neue Stiftergeneration zeigt sich offen für neue und kooperative Ansätze. Und hier kommen die neueren Dachstiftungsmodelle ins Spiel.
Under my umbrella
Die Dachstiftung (frz. fondation faîtière, engl. umbrella foundation) ist weder gesetzlich normiert noch terminologisch klar definiert. Vielmehr stellt sie eine in der Praxis entwickelte Stiftungssonderform dar. Herausragendes Merkmal einer Dachstiftung ist die Übernahme von administrativen sowie organisatorischen Aufgaben durch eine selbständige Stiftung des Privatrechts für die von ihr verwalteten Unterstiftungen. Als Unterstiftungen (oder Fonds) werden grundsätzlich unselbständige Stiftungen bezeichnet, die in eine Dachstiftungsstruktur eingebettet sind, also durch eine rechtsfähige Stiftung im Sinne der Art. 80 ff. ZGB verwaltet werden.
Zwischen Dachstiftung und Unterstiftung besteht indes kein klassisches Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern eine symbiotische Beziehung mit wechselseitigen Rechten und Pflichten. Der Rechte- und Pflichtenkatalog ergibt sich einerseits aus dem erbrechtlichen (Erbeinsetzung oder Vermächtnis unter Auflage) bzw. schuldrechtlichen (Schenkung unter Auflage) Grundgeschäft und andererseits aus den allgemeinen stiftungsrechtlichen Vorgaben und Wertungen der Art. 80 ff. ZGB, die auf Dachstiftungen uneingeschränkt Anwendung finden. Damit eignen sich Dachstiftungen dazu, die inhärente «Starrheit» des Stiftungsrechts mit der Flexibilität privatautonomer Rechtsgestaltung zu kombinieren, um für Stifterinnen und Stifter einen Mehrwert zu erbringen.
Die Motive für die Errichtung einer Dachstiftung sind entsprechend vielschichtig. So kann damit ganz allgemein die Förderung und Stärkung des Stiftungswesens angestrebt werden, indem Interessierten eine Plattform für die Errichtung massgeschneiderter Unterstiftungen zur Verfügung gestellt wird. Denkbar ist zudem, dass eine Stifterin klare Vorstellungen für den Zuschnitt ihrer Stiftung hat, Gleichgesinnten jedoch neben dem reinen Spenden auch die Möglichkeit offenhalten möchte, ganz spezifische Themen unter dem administrativen Dach ihrer Stiftung dauerhaft(er) zu verfolgen. Und schliesslich bieten sich Dachstiftungen an, um sogenannte inaktive Stiftungen, die mangels Geld und/oder zeitlicher Kapazitäten der Stiftungsräte lediglich vor sich hinexistieren, aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und ihnen als professionell verwaltete Unterstiftungen neues Leben einzuhauchen.
Für eine Unterstiftung unter dem Dach einer selbständigen Stiftung spricht gerade im aktuellen Niedrigzinsumfeld vor allem der geringere finanzielle, zeitliche und administrative Errichtungs- und Verwaltungsaufwand verglichen mit einer rechtsfähigen Stiftung. Ein weiterer Grund für die Errichtung einer Unterstiftung liegt oft im Fehlen eines Mindestvermögens: Während die Aufsichtsbehörden in der Schweiz bei selbständigen Stiftungen mindestens CHF 50 000 als Anfangsvermögen verlangen, kann eine Unterstiftung – die keiner unmittelbaren Stiftungsaufsicht untersteht – bereits mit einem Bruchteil dieser Summe gegründet werden. Oft kommen Unterstiftungen auch als «Testlauf» oder Zwischenphase für eine später geplante rechtsfähige Stiftung in Betracht. So kann sich ein Stifter mit einer Unterstiftung langsam an die strategische Verfolgung philanthropischer Ziele herantasten und gegebenenfalls nachjustieren, ohne durch die Gründung einer eigenen rechtsfähigen Stiftung sofort den Sprung ins kalte Wasser wagen zu müssen und Nachbesserungen nur noch eingeschränkt vornehmen zu können.
Die Zukunft: eine Frage der Qualität
Was die Schweiz aktuell nicht braucht, sind quantitativ mehr, sondern qualitativ bessere Stiftungen durch Kooperation, Austausch und Vernetzung der verschiedenen Stakeholder im Gemeinnützigkeitssektor. Genau hier setzen Dachstiftungsstrukturen an, indem sie Stifterinnen und Stiftern vergleichsweise günstige, flexible und vielfältige Plattformen für die Verfolgung individueller und massgeschneiderter philanthropischer Ziele bieten. Befinden wir uns also tatsächlich an der Schwelle zum Zeitalter der «Shared Philanthropy», sind Dachstiftungen geradezu prädestinierte Instrumente, um gemeinsam mehr zu erreichen.