Der Stand der Dinge
Die Schweizer Fachhochschulen: eine (noch nicht fertig erzählte) Erfolgsgeschichte
Unter dem Banner «gleichwertig, aber andersartig» kennt die Schweizer Bildungslandschaft nun seit fast 20 Jahren die Fachhochschulen (FH). Die Schaffung dieses zweiten Hochschultypus – neben jenem der universitären Hochschulen – steht exemplarisch für eine der Stärken unseres Bildungssystems: Sein Veränderungstempo ist zwar nicht das schnellste, aber es ist zur richtigen Zeit offen für neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedürfnisse.
Erfolgreicher Start
Dass es die Fachhochschulen und ihre in der Berufsbildung verankerten Angebote gebraucht hat und braucht, zeigen eindrückliche Zahlen: Im Studienjahr 2000/01 zählten sie gut 25 000 Studierende, heute sind es über 70 000.
Dabei ist interessant, festzustellen, dass der die FH-Gründung begleitende Argwohn zumal universitärer Kreise gegenüber der neuen Konkurrenz unberechtigt war. Zwischen 2000 und 2015 haben die Universitäten trotz FH die Studierendenzahl von fast 100000 auf rund 150000 gesteigert. Anders ausgedrückt: die FH haben ihren starken Beitrag geleistet zu einer tertiären Bildungsquote, mit der sich die Schweiz heute international sehen lassen kann. Seitens OECD (die mittlerweile anerkennt, dass auch die Abschlüsse der höheren Berufsbildung zu dieser Quote zählen) sind entsprechende Mängelrügen jedenfalls verstummt. Tatsächlich verfügt heute hierzulande bereits gut jede dritte Person über einen Tertiärabschluss.
Nun sind Bildungsabschlüsse das eine. Das andere ist, ob man damit etwas anfangen kann. Auch hier sind die Statistiken erfreulich: FH-Diplomierte sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Ihre durchschnittliche Erwerbslosenquote ein Jahr nach Studienabschluss ist sogar noch ein wenig tiefer als die bereits tiefe der Universitätsabgänger. Beim standardisierten Erwerbseinkommen nach Studienabschluss besteht zwischen den beiden Hochschultypen beinahe Parität.
Alles in allem ist die bisherige Geschichte der Fachhochschulen ein beachtlicher Erfolg auch mit Blick auf zwei Desiderate der Bildungsverfassung. Das eine ist die Forderung, wonach Bund und Kantone sich für eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung der allgemein bildenden und der berufsbezogenen Bildungswege einsetzen. Das andere ist die systemische Durchlässigkeit: Mit den FH als Krönung der Berufsbildung ist es Begabten und Motivierten nun möglich, auch via berufliche Grundbildung und Berufsmatur einen – adäquat zu einem universitären Abschluss anerkannten – Hochschulabschluss zu erwerben.
Bei allem Lob für die gelungene, die Schweizer Bildungslandschaft bereichernde Einführung der FH sind aber durchaus auch kritische Gedanken angebracht. Etwa zur hier oder dort zu verbessernden Konzentration der Kräfte. Dass – je nach budgetärem Anreiz – noch gewisses Potenzial besteht, ist kaum verwunderlich: Die sieben öffentlich-rechtlichen Fachhochschulen gingen aus rund 70 bestehenden höheren Fachschulen mit unterschiedlichen Trägerschaften hervor. Das dafür notwendige breite (regional)politische Commitment bedurfte einer eher grosszügigen finanziellen Ausstattung – Pioniergeist hat seinen Preis.
«Anders» bleiben – die aktuellen Debatten
Sie sei erlaubt, die Gretchenfrage, wie man es mit der Andersartigkeit der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten bezüglich Curricula und Berufungspraxis wirklich hält. Mit dem Regelabschluss etwa ist es so eine Sache: Aus typologischer Sicht sollten sich die FH, ausgenommen im Kunstbereich, durch die Abgabe arbeitsmarktfähiger Bachelors charakterisieren und sich so von den Universitäten mit dem Regelabschluss Master abgrenzen. Demgegenüber zeichnet sich die «Gefahr» einer steigenden Zahl an FH-Master-Angeboten ab. Sind FH-Master nicht für alle Studienbereiche und also nicht grundsätzlich abzulehnen, so ist eine kopierende Annäherung an die universitären Curricula letztlich doch aus ureigenem FH-Interesse kritisch zu bewerten: Die Ausbildungszeit verlängernde Masterstudien schwächen Unique Selling Propositions wie «marktnah», «zeitnah» oder «praxisbasiert», gleichzeitig nährt man selbst den Vorwurf der «Verakademisierung».
Dabei stehen zugebenermassen in diesem Kontext auch die Arbeitgeber in der Pflicht. Vor allem im öffentlichen Anstellungswesen wird noch zu oft nach der Dauer des Grundstudiums diskriminiert und zu selten nach Funktionen und arbeitsmarktspezifischen Kriterien differenziert. Berufsbegleitende Weiterbildungen berücksichtigen den Fachkräftemangel besser.
Vor dem Hintergrund der Studienabschlussdiskussion sind mutige Formen der komplementären, modularen Zusammenarbeit zwischen FH und Universitäten zu begrüssen. Statt verlorenen Kämpfen um fachhochschuleigene Doktorate nachzutrauern, sucht man klüger passgenaue Zusammenarbeitsformen mit interessierten Universitäten.
Klar «andersartig» sollte auch die Berufung von FH-Dozierenden vor sich gehen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Universitäten und Fachhochschulen betrifft ja die Legitimation ihrer Lehrkräfte: Ein Universitätsprofessor präsentiert seine Forschung in wissenschaftlichen Publikationen, mit denen er an einem globalen Markt teilnimmt. Ein Fachhochschulprofessor betreibt seine Forschung in konkreten Projekten, zusammen mit lokalen Partnern aus Wirtschaft und anderen Institutionen, die er dank beruflicher Verortung und praktischer Erfahrung anwirbt und erfolgreich durchführt. Lehrpersonal ohne diese Eigenschaften brauchen Hochschulen zum Teil auch – aber diesen einen Professorentitel zu verleihen, tangiert die Glaubwürdigkeit.
Die Forschung
Das Betreiben von angewandter Forschung und Entwicklung ist eine der Kernaufgaben der Fachhochschulen. Über den ganzen Bereich wären hierzu noch differenzierende Überlegungen anzustellen. Es ist klar, dass nicht alle Fachrichtungen von Musik bis Chemie in derselben Ausgangslage für entsprechende Forschungstätigkeiten sind. Tatsächlich erzielen FH in Bau, Technik und IT oder Life Sciences eine bemerkenswerte Forschungsintensität. Im Kunstbereich ist dagegen die Performance des Lehrkörpers entscheidender; kunsthistorisches Wissen kann man, Doppelspurigkeiten vermeidend, an Universitäten holen oder an gemeinsamen Instituten fördern.
Fehlende Fördermittel werden mitunter als Hemmnis für Forschung genannt. Es stimmt, die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) hat ein fünfmal kleineres Budget als der Schweizerische Nationalfonds (SNF). Doch wahr ist auch, dass bloss drei Prozent (ca. 80 Mio. CHF) aller über das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU in die Schweiz geflossenen Mittel in den FH-Bereich gingen und die umsetzungsnahen Institutionen des ETH-Bereichs ihrerseits knapp eine Milliarde CHF aus diesem Programm akquirierten. So oder so bietet die Öffnung von Horizon 2020, dem 8. Europäischen Forschungsrahmenprogramm, für Projekte mit Ausrichtung auf wirtschaftliche Innovation vielversprechende Chancen für eine stärkere Beteiligung von Schweizer Fachhochschulen, die sich der internationalen Kooperation und dem internationalen Wettbewerb vermehrt stellen müssen.
Neue Governance, neue Förderinstrumente
Damit die FH solche Fragen angehen können, brauchen sie geeignete Rahmenbedingungen. Das neue Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz weitet die Hochschul- und Trägerautonomie der FH mit der Förderperiode 2017 bis 2020 aus. Der Bund übernimmt bei den Universitäten 20 Prozent des finanziellen Gesamtbedarfs und 30 Prozent bei den Fachhochschulen. Doch einschliesslich der kompetitiven Forschungsförderung deckt der Bund bei beiden Typen einen höheren und ungefähr den gleichen Anteil der Aufwendungen.
Dazu kommen projektgebundene Beiträge des Bundes für hochschulraumübergreifende Zusammenarbeitsprojekte, von denen insbesondere zwei auf FH zugeschnitten sind. Das Projekt «Doktoratsprogramme und zukunftsgerichtete Entwicklung des 3. Zyklus» fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs u.a. mittels Doktoratsausbildungen, die auf einer Kooperation zwischen einer Schweizer Universität und einer Fachhochschule (inkl. pädagogischer Hochschule; PH) basieren. Auch wird die Kooperation mit ausländischen Partnern in Bereichen unterstützt, die auf nationaler Ebene keine Verankerung haben. Das Projekt «Stärkung des doppelten Kompetenzprofils beim FH- und PH-Nachwuchs» bietet einen Rahmen für die Identifikation, Entwicklung und Umsetzung spezifischer Nachwuchsfördermodelle. Es trägt dazu bei, dass FH und PH über eine ausreichende Anzahl adäquat qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen und ihre spezifischen Profile an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis weiter schärfen.
Auch im Bereich der Forschungsförderung bringt die Kreditperiode 2017–2020 eine Neuerung mit Blick auf die FH. Zur Beschleunigung des Transfers von Forschungsergebnissen und deren Anwendung starten SNF und KTI gemeinsam das Sonderprogramm «Bridge». Es unterstützt Forschende, die in ihrem Projekt ein Anwendungspotenzial erkennen, aber noch weitere Arbeiten durchführen müssen, um diese Vision zu entwickeln und das Potenzial klar auszuweisen.
«Bridge» besteht aus zwei Förderlinien. Erstens werden junge Forschende unterstützt, die das Anwendungspotenzial ihrer wissenschaftlichen Resultate ausserhalb einer Hochschule fortsetzen wollen. Zweitens werden über vorwettbewerbliche Projekte Forschende gefördert, die exzellente Forschung mit einer klaren Innovationsidee verbinden. In diesem Rahmen werden einzelne Gesuchsteller, aber auch kleine Konsortien unterstützt, um nach Bedarf komplementäre Kompetenzen (z.B. aus Fachhochschulen oder Universitäten/ETH) zusammenzuführen. Dabei zielt «Bridge» auf Themenbereiche, in denen man auf die Eingaben von Seiten Fachhochschulen – «gleichwertig, aber anders» – gespannt sein darf, ja hoffen kann.