Der richtige Einsatz
Über die Verwendung von Lebenszeit, persönlicher Energie und Geld. Eine praktische Annäherung an ethisches Investieren.
Wer Marktwirtschaft und Wettbewerb im Rahmen offener, freiheitlicher Demokratien und die kreative Zerstörung innerhalb eines dynamischen Kapitalismus befürwortet, tut sich schwer mit dem Begriffspaar «ethisch investieren». Es reiht sich ein in andere begriffliche Kombinationen, die subtil marxistisches Gedankengut spiegeln, wie etwa «fairer Handel»: Ist Handel an sich unfair? «Work-Life-Balance»: Ist Arbeit nicht Leben? Wer über ethische Investments spricht, dem bleibt also nichts anderes übrig, als zunächst Begriffliches zu klären und – in diesem meinem Fall – auf liberalem Boden zu verankern.
Die Ethik ist, als Teilbereich der praktischen Philosophie, diejenige philosophische Disziplin, die sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung des menschlichen Handelns befasst. Sie zielt auf das Erreichen und die Deutung guten Lebens, verantwortlichen Handelns und fairen Umgangs unter Mitmenschen. Investieren kommt vom lateinischen investire («einkleiden») und meint den Einsatz von Mitteln für zukünftige Zwecke mit dem Ziel ihrer Vermehrung. Dabei geht es nicht nur um Finanz- oder Sachkapital, wie oft im Fokus, sondern auch um Investitionen, die für die meisten Menschen viel entscheidender sind: den richtigen Einsatz von Lebenszeit etwa oder den von persönlicher Energie. Vermehrung kann dabei materiell wie auch immateriell (z.B. in Form von psychologischer Wirkung) erfolgen.
Ethik und Investitionen gehen also jeden an. Und klar ist auch: erstere soll kein Mauerblümchendasein in akademischen Elfenbeintürmen fristen, letztere sollen nicht nur Daily Business für Unternehmer und Investmentbanker sein.
Liberale Ethik
Unter den säkularen Weltanschauungen unterscheide ich zwei Kategorien von Antworten auf ethische Grundfragen, eine individuelle und eine kollektive: Entweder ist der einzelne in der Ausübung seiner Freiheit für gutes und verantwortliches Leben und fairen Umgang besorgt, oder diese Aufgabe übernimmt ein Kollektiv, ein Staat oder eine andere Organisation. Beide Kategorien existieren, und beide haben ihre Berechtigung. Wer, wie ich, den Standpunkt einer liberalen Ethik vertritt, das heisst das Primat der verantwortungsvoll gebrauchten individuellen Freiheit, muss sowohl Absichten als auch Konsequenzen menschlicher Handlungen ethisch hinterfragen bzw. die Tugendhaftigkeit und Prinzipienfestigkeit der hinter den jeweiligen Handlungen stehenden Akteure verstehen. Persönlich bemühe ich mich in meiner Lebensführung um drei ethische Prinzipien: Integrität, das heisst Konsistenz von Überzeugungen, Reden und Tun, materielle und intellektuelle Bescheidenheit sowie Engagement im Sinne des Einsatzes für gesellschaftliche Ziele über das persönliche, berufliche und familiäre Wohlergehen hinaus.
Unsere Zeit ermöglicht – und erfordert – dies: Die Globalisierung hat bisher ungeahnte Chancen und Freiräume eröffnet, die entsprechende Märkte und damit Entscheidungsmöglichkeiten aus einem weltweiten, breiten Spektrum von ethischen Investments entstehen liessen. Sie erzeugt aber auch neue globale Herausforderungen, Verletzlichkeiten und Risiken. Gleichzeitig hat sich der Kapitalismus durch die Kollektivierung von Ersparnissen, die Professionalisierung von Management, die technischen Entwicklungen und die Erfahrung einer Reihe neuartiger Krisen gewandelt und er hat – zumindest in Teilen der Welt – die Ansprüche an den gesellschaftlichen Nutzen wirtschaftlichen Handelns massiv erhöht. Institutionelles Überleben von Firmen – beziehungsweise die Schaffung von Werten für die Eigentümer – genügt gerade bei Grossunternehmen meistens nicht mehr. Immer häufiger wird thematisiert, ob und wie sich Firmen für die Bewältigung der grossen Herausforderungen unserer Zeit, etwa Armutsbekämpfung oder ökologische Nachhaltigkeit, aktiv engagieren.
So wie viele Kunden heute bewusst nachhaltige und fair produzierte Güter nachfragen, wenden auch institutionelle Investoren immer öfter ESG- (Environmental, Social and Corporate Governance) Kriterien an, wenn es um Investitionen geht. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass immer mehr NGO, mehr oder weniger gut legitimiert, Fehlverhalten von Konzernen zeitverzugslos aufdecken und via Social Media massiven, zuweilen existenziellen Druck ausüben können. Und vor allem: junge, talentierte Menschen wollen immer häufiger bei Organisationen arbeiten, die einen klar artikulierten Nutzen für die Gesellschaft erbringen, der über den finanziellen Erfolg hinausgeht.
All diese nachfrage- und angebotsinduzierten Kräfte zielen auf stärkere und bewusstere Gewichtung ökologischer und sozialer Kriterien bei der wirtschaftlichen Leistungserbringung ab und sind aufgrund ihres grossen Potenzials für einen ethischeren und gesellschaftlich besser akzeptierten Kapitalismus gerade aus liberaler Sicht enthusiastisch zu begrüssen – solange jedenfalls, wie ein diffuser «gesellschaftlicher Nutzen» jenseits der erbrachten unternehmerischen Leistung nicht staatlich vorgeschrieben wird.
Der ethische Investor, die Nachfrage und das Angebot
Was heisst das nun konkret für den «ethischen Investor», also denjenigen, der Zeit und/oder Geld für zukünftige Zwecke einsetzt und dabei gutes Leben, verantwortliches Handeln und fairen Umgang fördern will? Und von welchen Investoren ist dabei eigentlich die Rede?
Regelmässig erhalte ich Anfragen von hervorragend ausgebildeten Menschen, die nach ihrem Hochschulabschluss und zwei bis drei Jahren Berufserfahrung «endlich etwas Sinnvolles» tun wollen. Unabhängig davon, was diese Menschen sich vielleicht vorstellen, lautet meine Antwort häufig, dass das aus meiner Sicht ethisch Sinnvollste in einer solchen Lebensphase – vor allem in bezug auf Verantwortung und Fairness – darin besteht, beruflich und privat sein eigenes Potenzial so weit auszuschöpfen, dass genügend Geld verdient wird, um die persönliche Existenz eigenständig zu sichern und der Gesellschaft via Steuern die Investitionen in eine rund zwanzigjährige Ausbildungsperiode zurückzuerstatten. Das schliesst nicht aus, sich in geeigneten sozialen Projekten temporär zu engagieren und dabei wichtige Erfahrungen zu sammeln – in der Schweiz sorgt man so nicht zuletzt für den Fortbestand einer lebendigen zivilgesellschaftlichen Tradition.
Wie soll aber eine Familie mittleren Einkommens mit beschränktem finanziellem Spielraum ethisch investieren? Naheliegend ist, durch breite Diversifikation, sorgfältig ausgewählte Anlagen und unter Vermeidung unvernünftiger Konzentrationsrisiken langfristig für das gute Leben der Familie vorzusorgen. Auf der Basis persönlicher Ethikvorstellungen und je nach Intensität von Interesse, Wissen und zeitlichem Engagement empfiehlt sich – ganz praktisch – zusätzlich eine Berücksichtigung von Fonds und Anlagekonzepten, die neben finanziellen Aspekten auch ethische Kriterien berücksichtigen. Dieser Markt wächst schnell und nimmt an Vielfalt zu. Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien und Indizien, die nahelegen, dass Ethik und Investmentperformance auch positiv korrelieren. Mir ist hingegen keine Studie bekannt, die auf einen systematischen negativen Zusammenhang hinweist.
Zusätzlich zu den börsennotierten Anlageinstrumenten hat sich in den letzten Jahren die Anlageklasse des «Impact Investing» entwickelt, die mittlerweile weltweit einige Dutzend Milliarden Anlagevermögen umfasst und via Privatmarktanlagen – bei eingeschränkter Liquidität, aber mit klaren und längerfristigen Investmentzielsetzungen – neben Substanzerhalt auch positive gesellschaftliche Wirkung anstrebt. Dieser Trend wird zunehmend von der etablierten Investment-Management-Industrie gefördert: Die kürzlich von Partners Group ins Leben gerufene, aber unabhängig davon betriebene Firma PG Impact Investments ist ein Beispiel dafür. Mit ihren Investitionen strebt sie einen positiven Beitrag für die Gesellschaft oder die Umwelt an und erwirtschaftet gleichzeitig finanzielle Renditen. Dabei kann sie von der globalen Infrastruktur, der Investitionsexpertise sowie von den fachlichen Ressourcen von Partners Group profitieren. Die steigende Nachfrage nach solchen und ähnlichen Produkten hat einen positiven Nebeneffekt: sie motiviert immer mehr Anlagespezialisten dazu, für ihre Investmententscheidungen nicht nur auf Gewinn- und Bilanzprognosen abzustellen, sondern auch zu berücksichtigen, wie sich Unternehmen zur ökologischen und sozialen Wirkung ihrer Geschäftstätigkeit stellen, zur Einhaltung welcher «Codes of Best Practice» sie sich verpflichten und wie sie gesellschaftlichen Nutzen explizit in ihre Strategien integrieren.
Diese Entwicklungen auf der Makroebene reflektieren entsprechende Trends auf der Ebene einzelner Unternehmungen. Es gibt mittlerweile viel Evidenz – die auch mein Eindruck aufgrund der persönlichen Bekanntschaft mit zahlreichen Konzernchefs bestätigt – für das ernsthafte Bemühen auf oberster Unternehmensebene um plausible Antworten auf ethische Fragen. Die Vermutung, dass es sich dabei meist um reine PR-Aktionen handelt, welche die nackte Geld- und Machtgier der Chefs verhüllen, ist schlicht bösartig und widerspiegelt in den wenigsten Fällen die Realität. Stellvertretend für viele Unternehmen mit ähnlicher Ernsthaftigkeit in diesem Gebiet erwähne ich den Sustainable Living Plan von Unilever, der konkrete Ziele in den Bereichen von Gesundheit, Ernährung und Hygiene verfolgt, oder den Nestlé Cocoa Plan, gemäss dem über 10 Jahre rund 110 Millionen Franken investiert werden, um die Kakaoproduktion von Bauern zu verbessern, deren Einkommen zu steigern und dabei Kinderarbeit zu verhindern.
Allerdings bleiben einige fundamentale Fragen zum ethischen Investieren weiterhin ungeklärt. Sie betreffen vor allem das Problem der vergleichenden ethischen Gesamtwürdigung: Sind Gesundheitskonzerne «ethischer» als Nahrungsmittel- oder Energiekonzerne? Ist Nestlés Wirken ethischer als das von Novartis? War die UBS 2006 «ethischer» als die UBS 2008 oder heute? Sind privatwirtschaftliche Aktien oder Obligationen per se ethischer als Staatsobligationen? Ist es ethisch vertretbarer, problematische Sektoren (z.B. Suchtmittel oder Waffen) zu meiden oder sich in ihnen bewusst für eine Verbesserung zu engagieren? Ist es ethisch, Ertragschancen aus Investitionen für individuelle persönliche ethische Anliegen auf Kosten von Familienangehörigen – oder im Falle von Pensionskassen: von zukünftigen Rentnern – zu opfern? Das sind schwierige Fragen, auf die sich überzeugende Antworten erst noch herauskristallisieren müssen. Oft unterliegen solche Antworten dem Halo-Effekt, was in Anlehnung an den berühmten Satz des Milchmanns Tevye im Musical «Anatevka» («Fiddler on the Roof») bedeutet: besonders erfolgreiche Unternehmen gelten auch als besonders ethisch und umgekehrt.
Zurück zum ethischen Investor: Wie kann und soll jemand investieren, bei dem nach der Befriedigung langfristiger Eigenbedürfnisse ein Überschuss an Geld und Zeit existiert? Es ist aus meiner Sicht evident, dass mehr positive Freiheit im Sinne von überdurchschnittlichen materiellen und geistigen Möglichkeiten auch höhere Ansprüche an das Verantwortungsbewusstsein bei deren Ausübung mit sich bringt. Gemäss dem Standpunkt der liberalen Ethik gibt es vielfältige Ansätze, wie diese Verantwortung wahrgenommen werden kann. Firmen aufbauen, Arbeitsplätze und Einkommen schaffen und dabei Steuern bezahlen ist ein möglicher Weg. Klar unethisch ist neben der bewussten Förderung schädlicher Zwecke wohl vor allem die Verkümmerung von Talenten durch Nichtstun.
Der praktisch-unternehmerische Zugang
Aufgrund meiner Laufbahn im globalen Finanzbereich habe ich weit überdurchschnittlich von Globalisierung profitiert. Deshalb wurde es für meine Frau und mich irgendwann klar, dass wir diese Chancen, die wir persönlich aufgrund der Globalisierung nutzen konnten, mit jenen teilen wollten, denen solche Chancen bisher verwehrt blieben. Aufgrund dieser Überlegung gründeten wir 2006 eine Stiftung, die elea Foundation for Ethics in Globalization. Dies mit der Zielsetzung, absolute Armut (das heisst: Umstände, in denen Menschen weniger als 2 Dollar pro Tag und Person für sich und ihre Familie von der Arbeit nach Hause bringen) mit unternehmerischen Mitteln zu bekämpfen.
Die Stiftung investiert in lokal verankerte Unternehmen in armen Ländern, die sicht- und messbar positive Wirkung in der Armutsbekämpfung erzielen und Geschäftsmodelle in Gebieten wie neuen Technologien, Berufsausbildung und globalen Wertschöpfungsketten realisieren. Aus etwa 150 bis 200 Ideen und Vorschlägen pro Jahr, die unser Team via Scouting oder durch Kontakte mit internationalen Organisationen identifiziert und entwickelt, prüfen wir rund zwei Dutzend intensiv und oft vor Ort. Investitionen erfolgen dann in drei bis vier Vorhaben, welche die Mitarbeitenden der Stiftung während fünf bis sieben Jahren aktiv und professionell begleiten werden.
Wie sieht das genau aus? Eine unserer Portfoliofirmen versetzt Kleinbauern in Kenia durch per SMS vermitteltes praktisches Wissen in die Lage, besser mit trächtigen Kühen umgehen zu können und so durch die Reduktion von Fehlgeburten und die Steigerung der Milchproduktion ihre Einkommen zu erhöhen. Eine andere bietet Jugendlichen aus ländlichen Gebieten der Philippinen eine zweimonatige Ausbildung im Wert von 400 Dollar an, die diese für die dort rasch wachsende Call-Center-Industrie arbeitsmarktfähig macht. Das ermöglicht den jeweiligen Arbeitnehmern, ihre Einkommen von täglich 50 Cents als Landarbeiter oder von 3 Dollar als Mitarbeitende einer Fastfoodkette auf 15 bis 20 Dollar zu steigern. Damit können sie – wenn es sich um Männer handelt – beispielsweise ihre Ehefrau, die als Hausmädchen in Singapur, Abu Dhabi oder Hongkong unter unwürdigen Bedingungen arbeitet, heimholen, eine Familie gründen und – eben – ein besseres Leben führen. Eine dritte Initiative befähigt Betreiber von Kleinstläden in La Paz (Bolivien) oder in Nairobi (Kenia) durch gezielte Unterstützung während fünf Monaten, ihre Geschäfte effizienter und unternehmerischer zu führen, ihre Einkommen deshalb von monatlich 80 Dollar auf 120 Dollar zu steigern und diesen Überschuss nicht zuletzt, weil es sich mehrheitlich um ledige Mütter handelt, in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren.
Investiert wird mit einem Zeithorizont von fünf bis sieben Jahren, und der Erfolg bemisst sich in sozialem Impact. Für die Messung nutzt unser Team eine eigens hierfür geschaffene Währung, die sogenannten elea-Impact-Punkte. Eingepreist werden die Anzahl direkt und indirekt begünstigter Menschen, aber auch die Intensität und Dauerhaftigkeit der Wirkung, die Innovationskraft und Transferierbarkeit des Ansatzes sowie dessen ökonomische und organisatorische Lebensfähigkeit. Bei jeder neuen Investition wird ein mittelfristiges Impactziel festgelegt, dessen Realisierungsfortschritt jährlich gemessen wird. Die korrekte Anwendung der Methode wird von einer externen Revisionsfirma zertifiziert. Je nach Eignung im jeweiligen Reifestadium einer Sozialunternehmung erfolgen die Investitionen in Form von Beteiligungen, Darlehen oder Zuwendungen. Als steuerbefreite Stiftung unter eidgenössischer Aufsicht reinvestieren wir allfällige Rückflüsse aus Investitionen in neue Initiativen.
Unser Fokus liegt auf Investitionen der mittleren Reifephase: Die Start-up-Periode ist geschafft, das Modell hat sich bewährt, eine oder mehrere Unternehmerpersönlichkeiten sind bereit, während der nächsten fünf bis zehn Jahre einen wesentlichen Teil ihrer Lebensenergie in den Erfolg des Vorhabens zu investieren. Aber: die Investitionssummen sind mit CHF 300 000 bis 500 000 zu klein, die Geschäftsmodelle zu wenig skaliert, die Organisationen zu instabil, die Risiken insgesamt zu hoch, um schon für marktorientierte Impact-Fonds in Frage zu kommen, die – neben der Rückzahlung des Kapitals – eine gewisse, wenn auch bescheidene Rendite erwarten. Hinzu kommt, dass in diesem Gebiet – im Gegensatz zu herkömmlichem Venture Capital – Exit-Möglichkeiten immer noch schwierig sind und sich die gesellschaftliche Wertschätzung für diese Arbeit oftmals (noch) nicht in einer Prämie niederschlägt. Und dennoch sollen auch Sozialunternehmer in der Lage sein, mit erzieltem Einkommen eine Familie aufzubauen und für ihr Alter vorzusorgen.
Mit einer Teamgrösse von 10 Personen und zwei Dutzend externen Investoren, Unternehmerfamilien, Stiftungen und Firmen, die gemeinsam mit der Gründerfamilie philanthropisches Kapital zur Verfügung stellen, ist die elea Foundation auf dem Weg, als Organisation selber nachhaltig und finanziell überlebensfähig zu werden. Damit könnte sich unser Modell des ethischen Investierens langfristig bewähren, ein Modell, das im Spektrum zwischen wohltätigen Spenden für Notfälle oder zur Elendsbekämpfung am einen Ende und kommerziellem Kapital in Form privater oder kotierter Anlagen am anderen Ende eine Lücke schliesst, indem erfolgversprechenden unternehmerischen Initiativen mit primär ethischer Zielsetzung zum Durchbruch verholfen wird.
Der treuhänderische Zugang
Wie steht es mit ethischen Investitionen, wenn professionelle Anleger in Ausübung treuhänderischer Verantwortung anderer Leute Geld investieren – etwa über Pensionskassen, Lebensversicherungen und Anlagefonds? Zum einen gilt es, mit vertretbarem Aufwand die Absichten und Ansprüche der Begünstigten zu verstehen und Wahlmöglichkeiten anzubieten. Je direkter diese ihre ethischen Ansichten in ihren Anlagen widerspiegeln können, etwa indem sie bewusst anteilgebundene Lebensversicherungen oder Beitragsprimat-Vorsorgelösungen mit bestimmten ethischen Merkmalen auswählen, desto mehr können die gewaltigen Hebel in Richtung eines ethischeren Kapitalismus genutzt werden. Dies übrigens bei gleichzeitiger Reduktion des Missbrauchsrisikos durch fehlende Legitimation.
Der zweite Ansatz besteht darin, die Regulierungen und politischen Rahmenbedingungen dahingehend zu beeinflussen, dass ethisches Investieren gefördert und nicht behindert wird. Gegenwärtig gehören zwei globale Trends zu den grössten Quellen zutiefst fraglicher Ethik beim Investieren: Zum einen fördert die Tief- beziehungsweise Negativzinspolitik eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen von Arm zu Reich im Umfang von schätzungsweise Hunderten von Milliarden Franken. Dies geschieht durch Benachteiligung von Kleinsparern und Rentnern, die auf Zinserträge von Bankersparnissen und Obligationen angewiesen sind und nicht über die Kapazitäten und die Risikofähigkeit verfügen, in höher rentierende Realwerte wie Aktien, Infrastrukturanlagen oder Immobilien zu investieren. Zum anderen begünstigen aktuelle Regulierungen von Pensionskassen und Lebensversicherungen in zahlreichen Ländern (auch in der Schweiz!) kurzfristiges Investitionsverhalten, was ethische Investitionen eher behindern dürfte, da längerfristige Zeithorizonte besser mit höherem Verantwortungsbewusstsein einhergehen.
Grösseres Bewusstsein für und bessere Systematik und Transparenz von ethischen Überlegungen im Investitionsprozess haben enormes Potenzial, den Kapitalismus «ethisch» zu transformieren und damit dessen gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen. Dabei muss der Vielfalt und Komplexität möglicher ethischer Antworten Rechnung getragen werden, und der Versuchung staatlich regulierter «Vereinheitlichung» oder auch nur medial getriebener «Hypes» ist zu widerstehen. Wir sollten akzeptieren, dass es sich hier um einen Marathon, nicht um einen Sprint handelt. In Kombination mit intellektueller Bescheidenheit und Engagement müssen dabei Fortschritte gefeiert und aus Rückschlägen notwendige Lehren gezogen werden.