Streitkräfte in Umbruchzeiten
Seit der weltpolitischen Wende zu Beginn der neunziger Jahre versuchen die Streitkräfte, sich laufend auf neue Kriegsformen einzustellen. Dabei gerät strategisches Denken zunehmend in den Hintergrund – auch in der Schweiz. Welche Folgen hat das?
Schon 1973 hat der bekannte britische Historiker und Strategiewissenschafter Sir Michael Howard in einem Vortrag mit dem Titel «Military Science in an Age of Peace» lapidar festgehalten, dass jede in Friedenszeiten erarbeitete Militärdoktrin falsch sei. Das spiele allerdings keine Rolle, sagte er, denn es komme eher darauf an, im richtigen Moment den richtigen Weg einzuschlagen, und zwar möglichst rasch. Deshalb sei es entscheidend, den Hauptakzent auf geistige und organisatorische Anpassungsfähigkeit zu setzen. Im übrigen habe man, so Howard abschliessend, die Bedeutung technischer Neuerungen für die Kriegführung meist überschätzt.
In der Tat: neue und sich erst noch in rascher Folge ablösende und überlagernde Kriegsformen machen militärische Planung aktuell zu einem noch schwierigeren Unterfangen, als dies im Kalten Krieg unter weitgehend bekannten Parametern der Fall war. Die Suche nach einer Doktrin, das heisst: die Formulierung von grundlegenden Prinzipien für die Kampfführung aufgrund von mittel- und langfristigen Bedrohungsprognosen, ist je länger, desto mehr von grosser Unsicherheit geprägt.
Der moderne Krieg, wie er seit der strategischen Wende zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts beobachtet werden kann, ist zu vielschichtig und facettenreich, als dass er mit den wohlbekannten Adjektiven «asymmetrisch» und «hybrid» schlüssig eingeordnet werden könnte. 1
Die ignorierten Anzeichen einer neuen Kriegsform
Einen Markstein in dieser Hinsicht bildete der Irakkrieg von 1991. Die USA und ihre Koalitionspartner wendeten hier die sogenannte AirLand-Battle-Doktrin, die auf die Verteidigung gegen einen mit gepanzerten Grossverbänden und massiven Lufteinsätzen geführten Grossangriff des Warschauer Paktes zugeschnitten war, fast lehrbuchartig an. Dieser Krieg ist insofern ein Schlüsselereignis, als er einer umfassenden und, wie in den USA üblich, vorwiegend technologisch bestimmten Transformation der amerikanischen Streitkräfte unter dem Stichwort «Revolution in Military Affairs» zusätzliche Dynamik verlieh – das entsprechende operative Einsatzmodell hiess «Network Centric Warfare». Ein auf allen operativ-taktisch relevanten Führungsstufen praktisch in Echtzeit verfügbares elektronisches Lagebild, vernetzte Aufklärungs-, Kommunikations-, Führungs- und Waffensysteme und Präzisionsmunition beschleunigten die Entscheidungsprozesse und erhöhten damit das Tempo und die zielgenaue Wirkung militärischer Operationen.
Dabei wurden allerdings Entwicklungen nicht genügend zur Kenntnis genommen, die zurzeit die Konfliktbewältigung stark erschweren. Die blutigen Auseinandersetzungen auf dem Balkan und der Krieg in Tschetschenien in den neunziger Jahren zeigten, womit man in Zukunft konfrontiert sein könnte. Nationalistische und partikularistische Bewegungen, die Tito und die sowjetischen Machthaber unter Kontrolle gehalten hatten, breiteten sich – nicht selten in Verbindung mit der organisierten Kriminalität – weiträumig aus. So war es nicht erstaunlich, dass die Blauhelme der Unprofor, die mit einem wenig klar definierten, ja eigentlich artfremden Auftrag zur Beruhigung der Lage in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina eingesetzt worden war, keine Erfolge erzielen konnten.
Da die anschliessend mit starken Kräften geführten Stabilisierungsoperationen der Nato in Bosnien und später im Kosovo ermutigende Resultate lieferten, bestand kein Anlass zu einer grundsätzlichen Neuausrichtung. Die Kommandostrukturen der Allianz wurden zwar an die Erfordernisse von Auslandeinsätzen angepasst und beispielsweise rasch verlegbare Hauptquartiere zur Führung von aus den Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Flotte gebildeten Einsatzverbänden ausserhalb des eigentlichen Bündnisgebietes geschaffen; Arbeiten zur Formulierung neuer Einsatzverfahren wurden aber noch nicht an die Hand genommen. 2
Kurz nach der Jahrtausendwende wurde nun rasch klar, dass der Irak ein zu komplexes staatliches und gesellschaftliches System war, als dass man ihn mit systemtheoretisch konzipierten Schlägen gegen Gravitationszentren hätte aushebeln können. Schon der damalige General und heutige Verteidigungsminister James Mattis sowie der seines Amtes enthobene Sicherheitsberater Präsident Trumps, der frühere Generalleutnant Herbert McMaster, waren damals überzeugt: Man gäbe sich einer Täuschung hin, glaubte man, Gefechtsfelder dank modernster Technologien jederzeit dominieren (full spectrum dominance) und Friktionen unverzüglich eliminieren zu können.3 In Anlehnung an Erfahrungen der französischen Streitkräfte im Algerienkrieg in den fünfziger und frühen sechziger Jahren wurden neue Einsatzverfahren für den Kampf im Irak und in Afghanistan entwickelt und mit dem Reglement FM 3-24 («Counterinsurgency») als verbindlich erklärt.
Der «hybride Krieg»
Wie richtig solche Beurteilungen waren, liessen und lassen die neuen unter der Bezeichnung «hybride Kriegsführung» zu beobachtenden Einsatzformen im Nahen und Mittleren Osten, auf der Krim und in der Ukraine erkennen. Die entsprechenden gedanklichen Grundlagen haben James Mattis und Frank Hoffman in einem 2005 publizierten Beitrag mit dem Titel «The Rise of Hybrid Wars» gelegt.4 Darunter sind Kampfformen zu verstehen, im Rahmen derer konventionelle Waffen und Strukturen, terroristische Aktionen, Guerillataktik und kriminelle Praktiken und nicht zuletzt modernste Kommunikationstechnologie unter Einschluss sozialer Medien zum Einsatz gelangen.
Obschon der «Islamische Staat», der sich als Meister hybrider Einsatzverfahren erwies, als militärischer Machtfaktor praktisch ausgeschaltet werden konnte, wird er weiterhin in der Lage sein, Terroroperationen durchzuführen. Diese Bedrohung zwingt gerade die europäischen Armeen dazu, in enger Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten und Polizeikräften entsprechende Abwehrvorkehrungen zu treffen. Im übrigen hat die erstaunlich rasche Ausbreitung des «Islamischen Staates» im Irak und in Syrien gezeigt, dass von einer Entterritorialisierung des Krieges und seiner Verlagerung in den Cyberraum nicht gesprochen werden kann. Cyberangriffe sind meist Teil einer Gesamtstrategie mit weitgesteckten politischen Zielen und demzufolge nur ein Element im strategischen Instrumentarium.
Eine eigentliche Weichenstellung für eine Kurskorrektur bedeuteten die Annexion der Krim 2014 und die Ukrainekrise, wo der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow die hybride Kriegsführung durchexerzieren liess. Interessanterweise bezieht auch er sich, wie er in einem Artikel schreibt, auf konzeptionelle Überlegungen der USA.5 Aufgrund ernüchternder Erfahrungen im Georgienkrieg von 2008 sind inzwischen organisatorische Massnahmen getroffen worden, die schnelle Operationen im Verbund der Teilstreitkräfte ermöglichen: Anfänglich lag ein Hauptakzent auf der konsequenten Bildung von Brigaden; inzwischen treten auch Divisionshauptquartiere im Organigramm des Heeres wieder in Erscheinung.
Wachsender Stellenwert der Landstreitkräfte
Die russischen Streitkräfte haben also in den letzten etwas mehr als zwanzig Jahren einen beachtlichen Weg zurückgelegt. Die deplorable, demoralisierte Truppe, die ich im ersten Tschetschenienkrieg 1995 im apokalyptisch zerstörten Grosny zu Gesicht bekam, entwickelte sich zu einer modern ausgerüsteten und entsprechend strukturierten Streitmacht, deren Logistik allerdings noch nicht raumgreifende Operationen erlauben soll.
Diese überraschend zielstrebigen russischen Reorganisationsschritte riefen die Nato auf den Plan. Aufgrund der an den Gipfeltreffen von Wales 2014 und Warschau 2016 getroffenen Beschlüsse wurden Massnahmen zur Optimierung der Krisenbereitschaft wie die Bildung einer Very High Readiness Joint Task Force zur Verstärkung der Nato Response Force (NRF) getroffen. Die Bündnisverteidigung rückte wieder ins Zentrum des Blickfeldes. Vom «integrierten Ansatz» (Comprehensive Approach), vom Verbund diplomatischer, wirtschaftlicher, polizeilicher und militärischer Mittel zur Krisenbewältigung, spricht zurzeit fast niemand mehr.
Bereits im Herbst 2014 übte der Stab des Allied Joint Force Command Brunssum unter Leitung General Hans-Lothar Domröses die Verteidigung des Baltikums gegen einen Angreifer, der – trotz fiktiver Bezeichnung – nur Russland sein konnte. Inzwischen sind regelmässige Übungen im Baltikum und in Polen an der Tagesordnung. Die Stationierung von multinationalen Bataillonen – die sogenannte Enhanced Forward Presence – soll, abgestützt auf das Nuklearpotenzial der Allianz, Russland vor militärischen Abenteuern abschrecken. Der Verbesserung der gemeinsamen Ausbildung und der Interoperabilität dienen der «Readiness Action Plan» und die «Connected Forces Initiative». Und die Verlegung von amerikanischen Truppenverbänden im Rotationsverfahren nach Osteuropa vollzieht sich im Rahmen der «European Reassurance Initiative» und der Operation «Atlantic Resolve».
Unter diesen Vorzeichen geniessen vor allem die Landstreitkräfte einen hohen Stellenwert. Ganz einfach ist deren Ausrichtung auf die neue Lage, das heisst: auf die Bewährung in Kriegen hoher Intensität, indessen auch nicht, wie der frühere französische Generalstabschef Pierre de Villiers in seinem kürzlich veröffentlichten Buch «Servir» schreibt. Schwer gepanzerte Formationen sind zugunsten von Operationen ausserhalb des Bündnisraumes substanziell abgebaut worden. Während der ehemalige deutsche Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan aufgrund der verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 noch 2013 die Zeit gekommen sah, sich vom Denken in den Kategorien des Kalten Krieges zu verabschieden, sind die jetzigen Planungen der Bundeswehr wieder ganz auf die Territorialverteidigung im Bündnisrahmen zugeschnitten. So hat sich Deutschland dazu verpflichtet, der Nato bis 2032 drei voll ausgestattete, einsatzbereite Divisionen zur Verfügung zu stellen.
Der Kampfpanzer behält also seine Bedeutung, auch wenn er vermehrt eine Rolle als Unterstützungswaffe spielen soll, die mit präzisem Feuer Einsätze in begrenztem Rahmen begleitet. Die US Army, deren Brigade Combat Teams zwar rasch verlegbar sind, aber bezüglich Schutz und Feuerkraft der Entwicklung nachhinken, meldet nun Erneuerungsbedarf bei den schweren Gefechtsfahrzeugen an.
«Trotz vollmundigen Absichtserklärungen von EU-Politikern wird die Verteidigung Europas Sache der Nato bleiben, die strategisch denkt und handelt.»
Konzeptionell befindet sich das amerikanische Heer also in den vordersten Rängen: Unter dem Stichwort «Multi-Domain Battle» richtet es sich auf ein breites Konfliktspektrum aus. In Analogie zur AirLand-Battle-Doktrin des Kalten Krieges soll die Army den Kampf der verbundenen Waffen im Zusammenwirken mit der Navy und der Air Force auch gegen Seeziele in Küstengewässern und im Cyberraum führen können. Modernste Kommunikationssysteme und unbemannte Systeme, die die Kriegsführung in weniger als zwei Jahrzehnten revolutionieren könnten, sind zwingende Voraussetzungen für die Realisierung eines solchen Konzepts. Zu den Modernisierungsbestrebungen gehört im übrigen auch das kürzlich lancierte Projekt eines Space Command, das in wenigen Jahren als weitere Teilstreitkraft etabliert werden soll.
Nato und EU: Kooperation unter vielen Vorzeichen
Die Vereinigten Staaten sind sich trotz ihres grossen Potenzials bewusst, dass Konflikte nur in Kooperation mit Partnern zu bewältigen sind. Genau deshalb fordert Präsident Trump, dass sich die Nato-Mitgliedstaaten endlich dazu aufraffen, bald 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Der damit ausgelöste Streit ist deshalb fruchtlos, weil praktisch keine Antworten auf die Frage gegeben werden, was mit den beträchtlichen zusätzlichen Finanzen geschehen soll. Bei gegebenem Personalumfang ist das Fassungsvermögen der gegenwärtigen Strukturen begrenzt.
Mit dem Ziel, Synergien zu gewinnen und Kosten zu sparen, setzt nun die Europäische Union einen starken Akzent auf die sicherheitspolitische und militärische Kooperation: Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation), wie sie im Vertrag von Lissabon 2007 vorgesehen ist, soll den Weg zu einer eigentlichen europäischen Verteidigungsunion ebnen. Die EU ist sich allerdings im Klaren, dass eine Verstärkung ihrer Verteidigungsvorbereitungen nur in enger Absprache und Zusammenarbeit mit der Nato erfolgen kann, wie dies in den gemeinsamen Erklärungen vom 8. Juli 2016 und vom 10. Juli 2018 zum Ausdruck kommt. Die Allianz selber verfolgt mit der Bearbeitung von Fähigkeitsclustern und dem Rahmennationskonzept, das heisst: der Verankerung von Streitkräften mit breitem Einsatzspektrum mit solchen, die über geringere Kapazitäten verfügen, fast die gleichen Ziele wie die EU.
Der aufwendige, zahlreiche Stäbe beanspruchende Koordinationsaufwand scheint zwar insofern unumgänglich zu sein, als die Mitgliedschaften in Nato und EU nicht völlig deckungsgleich sind. Mit organisatorischer Feinmechanik und Kommandostäben wird aber noch keine Kampfkraft geschaffen. Letztlich widerspricht ein solches Vorgehen dem in der taktischen Führung bewährten Grundsatz einer Konzentration der Kräfte: Es ist nicht zu übersehen, dass trotz einer Vielzahl von neuen Organisationsformen immer dieselben Truppen beansprucht werden, was unweigerlich zu einer Überlastung führen wird. So gesehen sind die bis jetzt noch nie in ihrer Grundstruktur eingesetzten EU-Battlegroups überflüssig.
Trotz vollmundigen Absichtserklärungen von EU-Politikern wird die Verteidigung Europas gemäss Artikel 5 des Nordatlantikvertrages Sache der Nato bleiben, die strategisch denkt und handelt, etwa mit der Bildung eines Logistikkommandos in Ulm und eines dritten Joint Force Command, welches das frühere Atlantikkommando (Saclant) in neuer Form wiederaufleben lassen will. Die Allianz unterstreicht damit die ungebrochene Bedeutung der Verbindung mit den USA.
Mittendrin: die Schweiz
Von diesen Entwicklungen ist natürlich auch die Schweiz betroffen. In den sicherheitspolitischen Berichten, die seit 1990 verfasst worden sind, wird den jeweils eingetretenen Lageveränderungen zwar Rechnung getragen; das Motto «Sicherheit durch Kooperation», das den Sicherheitsbericht 2000 und damit die Strategie der Schweiz prägen sollte, ist aber nicht verinnerlicht worden. Die in der Bevölkerung tief verwurzelte Neutralität und das Milizsystem erschweren eine pragmatische Anpassung an neue Erfordernisse, auch wenn im neuesten Sicherheitspolitischen Bericht 2016 die internationale Kooperation als nach wie vor bedeutsam beurteilt wird – allerdings mit weniger einprägsamen Formeln, als dies kurz nach der Jahrtausendwende der Fall gewesen war. Und so ist es nicht erstaunlich, dass sich in den letzten Jahren alle Vorhaben für einen Armeeumbau an diesen «Auflagen» orientierten und deshalb ihren Kompromisscharakter kaum verleugnen können.
Die mit der jüngsten Reform «Weiterentwicklung der Armee» anvisierten Verbesserungen von Bereitschaft, Ausrüstung und Ausbildung sind richtig. Hingegen sind strukturelle Eigenheiten erkennbar, die nicht zu überzeugen vermögen: Die Trennung von Kampftruppen zur Gefechtsführung und Schutztruppen zur subsidiären Unterstützung der zivilen Behörden entspricht nicht dem modernen Kriegsbild. Brigaden, die Aufträge in einem weiten Spektrum selbständig erfüllen können, wären die zweckmässigere Lösung gewesen.
Trotz langjährigem Engagement auf dem Balkan fehlen der Schweiz Kriegserfahrungen. In dieser Hinsicht hat Schweden, das im Kalten Krieg – wie die Schweiz – zur Gruppe der neutralen und nichtgebundenen Länder gehörte, einen anderen Weg eingeschlagen: Das Land beteiligte sich nicht nur an der International Security Assistance Force in Afghanistan, sondern auch an der Operation gegen Libyen 2011; und auch bei der NRF ist Schweden engagiert.
Gerade mit Blick auf die geplante grundlegende Erneuerung der Luftverteidigung durch die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge und eines bodengestützten Luftabwehrsystems im Rahmen des Projekts «Air 2030» wird die Frage der internationalen Kooperation wieder Aktualität erhalten. Auch bei bester Ausrüstung ist die Schweiz im Bereich der Luftverteidigung darauf angewiesen.
Ausblick: der Wert strategischen Denkens
In einer Welt mit grossem Konfliktpotenzial, in der kaum mehr zwischen Krieg und Frieden unterschieden wird, Kriegserklärungen und Friedensschlüsse der Vergangenheit anzugehören scheinen, ist die Versuchung gross, unverzüglich mit militärischen Mitteln in Konflikte einzugreifen. Berufsstreitkräfte erleichtern solche Entscheide. Gefährlich ist eine solche Entwicklung aber insofern, als strategisches Denken und Handeln in einem Gedankengebäude, das durch politische Ziele, Mittel und Massnahmen bestimmt wird, durch rein militärische Überlegungen und technologisches Kalkül verdrängt werden. Waffensysteme mit künstlicher Intelligenz, die die Entscheidungsprozesse unter höchsten zeitlichen Druck setzen werden, dürften diese Situation noch verschärfen. So hat der von den USA, Grossbritannien und Frankreich geführte jüngste Luftschlag gegen das Chemiewaffenarsenal Assads keine politische Lösung gebracht.
Überschattet wird die an und für sich schon düstere weltpolitische Kulisse noch durch die Gefahr, dass die Nuklearschwelle, wie Studien sie jetzt schon prognostizieren, drastisch gesenkt werden könnte, um das Fehlen von konventionellen Reserven wettzumachen.6 Da sich zurzeit keine Initiativen zur Rüstungskontrolle im nuklearen und konventionellen Bereich abzeichnen, werden Streitkräfte weiterhin und wohl vermehrt zur Durchsetzung von nationalen Interessen bleiben. Da Systeme kollektiver und kooperativer Sicherheit wie die UNO und die OSZE erhebliche Einbussen an Stosskraft erlitten haben, fehlen wesentliche Bremsfaktoren zur Verhinderung oder Begrenzung blutiger Auseinandersetzungen, die unsägliches Leid und Zerstörungen mitbringen.
Als «wahres Chamäleon» bezeichnete schon der preussische Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz in seinem Werk «Vom Kriege» den Krieg, weil dieser seine Natur – heute spricht man gewöhnlich von Charakter – je nach Situation ändere. ↩
Der Satz: «Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird heute auch am Hindukusch verteidigt», den der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck 2002 spontan fallenliess, war wohl eingängig, aber als Leitlinie für eine tragfähige Verteidigungspolitik zu allgemein gehalten. ↩
Herbert R. McMaster: Continuity and Change. The Army Operating Concept and Clear Thinking about Future War. In: Military Review, März/April 2015. / Herbert R. McMaster: The Human Element: When Gadgetry Becomes Strategy. In: World Affairs Journal, Winter 2009. ↩
James Mattis und Frank Hoffman: Future Warfare: The Rise of Hybrid Wars. In: Proceedings Magazine, November 2005. ↩
Valery Gerasimov: The Value of Science Is in the Foresight. New Challenges
Demand Rethinking the Forms and Methods of Carrying out Combat Operations. In: Military Review, Januar/Februar 2016. ↩Matthew Kroenig: The Renewed Russian Nuclear Threat and NATO Nuclear Deterrence Posture. Issue Brief February 2016. Washington D.C.: Atlantic Council. / Wesley Clark, Jüri Luik u.a.: Closing NATO’s Baltic Gap. Tallinn: International Center for Defence and Security. ↩