Strategien, um 2023 zu gewinnen
Ronnie Grob, fotografiert von Daniel Jung.

Strategien, um 2023 zu gewinnen

Die Schweizer Parlamentswahlen sind noch ein Jahr entfernt. Also wird es für die Parteien Zeit, Kampagnen vorzubereiten, um ihren Wähleranteil zu ­vergrössern. Wie das gelingen könnte.

Vor den letzten Parlamentswahlen im Oktober 2019 fühlte man sich in der Schweiz wie im Schlaraffenland. Akute Probleme waren kaum in Sicht, folglich sank die Wahlbeteiligung auf 45,1 Prozent, den tiefsten Wert nach 1995 und 1999. Als die grösste Herausforderung überhaupt identifizierten die Medien ein langfristiges Problem, den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre. Die Wähler gaben in dieser Situation grünen und grünlackierten Kandidaten und Parteien ihre Stimme.

Die politische Grosswetterlage hat sich seither stark verändert. Um Coronaviren zu bekämpfen, hat der Bundesrat die Bürger mit Notrecht regiert. Von Regierungen verhängte Shutdowns und Lockdowns haben den freien Handel und das freie Reisen mehrmals stark eingeschränkt. Die Konjunkturaussichten haben sich eingetrübt, die Preisinflation und die Energiepreise sind hochgeschnellt. In der Ukraine sind russische Truppen einmarschiert, worauf USA und EU massive Sanktionen beschlossen haben, ­denen sich die Schweiz blind angeschlossen hat. Dieser Konflikt mit dem Potenzial, sich auszuweiten, hat das Sicherheitsgefühl im Land beeinträchtigt und eine Diskussion über Neutralität ausgelöst. Aktuell verlangt der Bundesrat von den Bürgern, weniger Energie zu verbrauchen, weil sonst die Stromversorgung zusammenzubrechen drohe.

Wie reagieren auf die veränderte Ausgangslage? Ein Jahr vor den Wahlen ist ein guter Zeitpunkt für die ­Parteien, Strategien für den Wahltag am 22. Oktober 2023 zu schmieden.

Die Arglist der Zeit spielt jener Partei in die Karten, die stets deutlich vor schwierigen Zeiten gewarnt hat – die an Bund und Bürger appellierte, zu sparen und sich nicht zu verschulden, und sich gegen Experimente und Abenteuer wandte, insbesondere in der Energie- und Aussenpolitik. Auch die mit der Coronakrise in Gang gesetzte Deglobalisierung bringt klassische SVP-Themen wie Föderalismus und Patriotismus sowie die stärkere Unabhängigkeit in Fragen der Ernährung, Verteidigung und Energie zurück ins Spiel. Bauern, Gewerbe und Bürger – dafür steht die Partei – werden so wieder wichtiger.

Macht die SVP nicht alles falsch im Wahlkampf, wird sie also zulegen können. Allerdings leidet sie weiterhin ­unter einem eklatanten Personalproblem. Ihr in breiten Kreisen der Öffentlichkeit miserabler Ruf wirkt abschreckend auf fähige Kandidaten. Das schlechte Image der ­Partei ist mit der Ablehnung durch die Medien und das akademisch gebildete Establishment zu erklären, hat aber wesentlich auch mit dem eigenen Verhalten zu tun. Wer wie im Wahlkampf 2019 mögliche politische Partner auf Plakaten als Würmer oder Maden verunglimpft, erntet zwar die gewünschte Aufmerksamkeit, macht sich aber zugleich menschlich und gesellschaftlich unmöglich.

Die Strategie zum Erfolg

Weg von den groben Kampagnen, die mögliche Mitstreiter verletzen und Kandidaten abschrecken. Stattdessen den anständigen Bürger in den Mittelpunkt stellen, der im Alltag vom Staat in Ruhe gelassen werden will und netto dem Staat mehr bezahlt, als er von ihm bezieht. Damit zieht man Wählerschaft und Personal an, die auf eigenen Beinen stehen, speziell auch im SVP-Entwicklungsgebiet Romandie. Die Furcht bei den Wahlkampfverantwortlichen, auf die bewährte Holzhammermethode zu verzichten, ist aller­dings gross. Doch ein Wähleranteil von über 30 Prozent ist nur mit einer stilistischen Mässigung zu erreichen. Mit Marco Chiesa ist das in der Position des Parteipräsidenten schon gut gelungen. Je nach Stimmungslage im Wahlherbst motiviert eine im Inhalt glasklare, aber im Stil sanfter auftretende SVP junge Erstwähler, die Sicherheit und Freiheit suchen. Auf jeden Fall zur Urne bewegen müsste die Partei die Nichtakademiker. Diese Gruppe, in der die SVP das grösste Potenzial hat1, konnte 2019 nicht genügend mobilisiert werden.