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Stillstand

Die islamistischen Besetzer der philippinischen Stadt Marawi wurden vor zwei Jahren vertrieben. Doch erholt hat sich die Region noch nicht.

Stillstand

Die Philippinen sind ein stark katholisch geprägtes Land. Muslime machen gerade einmal knapp 5 Prozent der 100 Millionen Einwohner aus und sind nahezu ausschliesslich auf den südlichsten Inseln vertreten. Dort aber gibt es einige Städte und Bezirke, in denen sie die Mehrheit stellen, und viele Jahre hatte Mindanao, die zweitgrösste Insel der Philippinen, mit islamistischen Gruppen zu kämpfen, die mehr Autonomie für die Muslime der Insel forderten. Ende Mai 2017 kam es in der Stadt Marawi auf Mindanao zu einer fünfmonatigen Besetzung durch militante islamistische Gruppen. Am Ende der blutigen Schlacht gelang es der philippinischen Armee, einen militärischen Sieg zu erringen: Marawi und Umgebung waren gesichert, die Anführer der Terrorgruppen getötet oder geflohen.

 

Mein Kollege Florian Neuhof und ich reisten im August 2018 auf die Insel. Und fanden eine Stadt im Stillstand: In Zeltlagern im Dschungel lebten Tausende von geflüchteten Bewohnern, die noch immer nicht in ihre Häuser zurückkehren konnten. Auch der Versöhnungsprozess zwischen Regierung und islamistischen Gruppen hatte sich kaum weiterentwickelt. Im Moment dieser Tatenlosigkeit und des Stillstandes keimen im Hinterland wieder islamistische Gruppen auf. Wir fragen uns: Wie wird es hier weitergehen?

Philipp Breu
Fotograf


Marawi

Am nördlichen Ufer des Lanao-Sees auf der Insel Mindanao liegt die Stadt Marawi. Sie ist die grösste muslimische Stadt der Philippinen – im Jahr 2015 wurde sie von rund 200 000 Menschen bewohnt. Heute zeugen die leerstehenden und zerstörten Häuser der Innenstadt von einem Krieg, der hier vor nun schon zwei Jahren stattgefunden hat.

Beginn des Krieges

Nach der Ausrufung des Kalifats am 29. Juni 2014 begann die Hochphase des Islamischen Staates (IS) in seinen Kernländern Irak und Syrien. Danach dauerte es nicht lange, bis radikalislamische Gruppen auf der ganzen Welt dem Anführer Abu Bakr al-Baghdadi ihre Loyalität erklärten. Auf den Philippinen schworen die militante islamistische Untergrundorganisation Abu Sayyaf und eine Rebellenmiliz namens Maute-Gruppe – benannt nach den beiden Brüdern und Gründern Abdullah und Omar Maute – dem IS ihre Treue und intensivierten den Kampf gegen die phi­lippinische Zentralregierung. Am 23. Mai 2017 wollte die philippinische Armee den Terroristen Isnilon Hapilon im abgebildeten Haus in der Stadt Marawi festnehmen. Im darauffolgenden Schusswechsel gelang es der Maute-Gruppe und Abu Sayyaf, Marawi einzunehmen und erfolgreich gegen die philippinischen Streitkräfte zu verteidigen.

Erst fünf Monate später, Ende Oktober 2017, gelang der philippinischen Armee ein militärischer Sieg über die Rebellengruppen. Die Stadt und ihre Umgebung waren gesichert, die Anführer der Terrorgruppen getötet oder geflohen. Ebenso die überlebenden Mitglieder.

Leben im Zelt

Marawi war nach der Besetzung zerstört und menschenleer: Während der Luftangriffe und Artilleriebeschüsse flohen hunderttausende Bewohner und lebten fortan in Zeltlagern ausserhalb der Stadt. Dort trafen wir Fatima Abbas Indul. Schon ein ganzes Jahr wartete sie darauf, endlich in ihr Haus in der Innenstadt zurückkehren zu können. Doch noch immer waren einige Stadtteile durch die Regierung nicht freigegeben worden: In der Innenstadt gefährdeten nicht geräumte Blindgänger die Sicherheit der Menschen, und der Wiederaufbau ging nur sehr stockend voran.

Noch heute – zwei Jahre danach – sind rund 30 000 Menschen gezwungen, in den provisorischen Zeltlagern zu leben. Es ist unklar, wann sie zurück in ihre Häuser können.

Gegen Extremismus

Trotz des Sieges der Armee über die islamischen Rebellengruppen sind viele der Gründe ihrer Entstehung und Existenz noch immer vorhanden: Armut und Arbeitslosigkeit auf dem Land, eine schlechte Infrastruktur und eine unzureichende Repräsentation der Muslime in der Regierung und Politik.

Der islamische Prediger Abd al-Rahman hat es sich zur Aufgabe gemacht, jene Orte und Flüchtlingslager zu besuchen, wo die Not ganz besonders gross ist. Dort predigt er Toleranz und Verständigung, in der Hoffnung, den wieder aufkeimenden Extremismus eindämmen zu können, denn die islamischen Gruppen wachsen heute wieder dort, wo sie ursprünglich herkamen: im dichten Dschungel des Hinterlandes um den See Lanao, an dem auch Marawi liegt.

«Wanted»

Im Dschungel, etwas ausserhalb von Butig, wo die Maute-Gruppe einst ursprünglich entstand, trafen wir Zacaria Romato. Er ist ein Anhänger der Maute-Gruppe und steht auf der vierten Position eines Fahndungsplakates der philippinischen Behörden. Auf seinen Kopf sind – tot oder lebendig – etwa 38 000 Franken Belohnung ausgesetzt.

Das Amnestieprogramm der Regierung wollte Romato nicht nutzen und zog es vor, im Untergrund zu bleiben. Er ist der festen Überzeugung, dass ein bewaffneter Konflikt jederzeit wieder ausbrechen könne, wenn die philippinische Regierung nicht auf die Muslime in Mindanao zugehe.

Der andere Weg

Seit den 1970er Jahren war die Moro Islamic Liberation Front (MILF) eine der grössten islamistischen Rebellengruppen auf Mindanao. Sie kämpfte im Untergrund als bewaffneter Gegner der Regierung für die Autonomie der muslimisch geprägten Provinzen im Süden der Philippinen.

Statt sich dem IS zuzuwenden, schloss der Vorsitzende der MILF, Murad Ebrahim (Bild oben), im Jahr 2014 mit der philippinischen Regierung ein Friedensabkommen, was die Umwandlung seiner Miliz in eine politische Partei zur Folge hatte. Dieser Wandel ermöglichte die rechtliche Autonomie vorwiegend muslimischer Bezirke und Städte. Der damals geschlossene Friedensvertrag ebnete den Weg zu einem Frieden, an dem noch immer geschmiedet wird.

Die nächste Generation

Heute kämpft die ehemalige Rebellengruppe MILF als Partei für mehr Rechte der muslimischen Bevölkerung, behält aber vorerst noch ihre Waffen. Im Frühjahr 2019 gab es ein Referendum, welches ein neues muslimisches Autonomiegebiet schuf. Murad Ebrahim wurde zum Gouverneur dieser Entität ernannt.

Das sind erste Schritte hin zu Veränderungen, die bitter nötig sind. Doch solange sich die Lebenssituation der muslimischen Bevölkerung Mindanaos nicht ändert, bleibt die Gefahr bestehen, dass der gewalttätige Kreislauf wieder von vorne beginnt. Der Stillstand ist noch längst nicht durchbrochen.

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