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Steuerwettbewerb in Europa

Die Beschränkung des zwischenstaatlichen System- und Steuerwettbewerbs durch Harmonisierung und Zentralisierung ist Gift für die Standortattraktivität Europas.

Obwohl sich auch Europa im weltweit verschärften Standortwettbewerb befindet, zieht die EU es vor, steuerattraktive Staaten politisch, rechtlich und sogar moralisch («unfairer Steuerwettbewerb») zu attackieren – dies widerfuhr der Schweiz sogar als Nicht-EU-Mitglied. Der unfreundliche Angriff auf die Schweizer Steuersouveränität ist bedauernswert; doch besorgniserregender ist die eigentliche Harmonisierungsstrategie der EU, weil sie grundlegenden ökonomischen Prinzipien widerspricht. Die Beschränkung des Steuer- und Systemwettbewerbs wird damit begründet, dass ein level playing field, also ein Wettbewerbsfeld eingeebneter, gleicher institutioneller Bedingungen geschaffen werden müsse, um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Ökonomische Entwicklungs- und Wachstumstheorien zeigen jedoch, dass nicht ein level, sondern ein uneven playing field zu entscheidenden Standortinnovationen führt. Von den einzelnen Gebietskörperschaften sind in einem harmonisierten «Wettbewerbsfeld» hingegen kaum Innovationen zu erwarten, da sie sich mit solchen der Gefahr aussetzen würden, von der EU wegen Wettbewerbsverzerrungen beschuldigt zu werden.

Die Folge der Harmonisierung ist eine wenig erfreuliche Verschiebung des Wettbewerbs: an die Stelle des transparenten, effizienten und innovativen Steuer- und Systemwettbewerbs zwischen den Staaten tritt ein schädlicher politischer Wettbewerb der gegenseitigen Bezichtigungen. Die Mitgliedstaaten streben Wettbewerbsvorteile nicht mehr primär über nationale Reformen zur Steigerung der eigenen Standortattraktivität an, sondern indem sie die EU-Kommission animieren, gegen steuerattraktive Staaten und deren angebliche «diskriminierende» Steuerpraktiken vorzugehen. Die EU-Kommission spielt mit und versucht, die Wettbewerbsposition der mit dieser Politik liebäugelnden Hochsteuerländer dadurch zu verbessern, dass sie über den politischen Weg die Kosten der Konkurrenten erhöht (raising rivals’ cost). Beabsichtigt ein Staat, eigenständig die Steuergesetzgebung zu optimieren, muss er sich gegenüber der EU rechtfertigen und wird gebeten, die weniger vorteilhaften EU-Regeln zu übernehmen.

Dass die EU mit dem auferlegten Verhaltenskodex dem Standort Europa erheblichen Schaden zufügt, liegt auf der Hand. Viele EU-Staaten sind gegenwärtig gezwungen, ihre attraktiven Besteuerungsgrundlagen aufzugeben und an die EU-Vorschriften anzupassen – entsprechend haben gerade diese Staaten wenig Interesse, die standortpolitisch interessante Steuergesetzgebung der Schweiz zu verteidigen. Es ist indes ein Irrglaube zu meinen, die international aktiven und mobilen Holding- und Verwaltungsgesellschaften würden im zunehmend steuerrestriktiven Raum Europa verbleiben. In Wahrheit finden schon heute infolge des EU-Steuerkartells Standortverlagerungen in Staaten ausserhalb Europas statt. Obwohl den EU-Funktionären das Problem bekannt ist, fehlt die Bereitschaft, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Anstelle des Eingeständnisses, dass man eine falsche Standortpolitik betreibe und mehr Wettbewerb auf die Dauer für alle mehr Vorteile brächte, wird der fiskalische Fischzug durch immer engere Fangnetze (etwa durch grenzübergreifende Zinsbesteuerung) intensiviert und perfektioniert. Ein Akt der Verzweiflung, der auf dem politischen Glauben an die Möglichkeit und Wirksamkeit von Kontrollen beruht. Die Wettbewerbsfeindlichkeit der EU offenbarte sich beispielhaft bei der Harmonisierung der Mehrwertsteuer, als nicht nur formell über eine einheitliche Bemessungsgrundlage, sondern zugleich auch materiell über einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent harmonisiert wurde. Damit errichtete die EU nichts anderes als ein Steuerkartell, das den zwischenstaatlichen Steuerwettbewerb lahmlegte. Gelingt die heute noch auf Opposition stossende Harmonisierung direkter Steuern, ist – ganz im Sinne der Hochsteuerländer – eine europaweite Nivellierung der Steuerlast nach oben zu erwarten. Verlierer dieser EU-Politik sind nicht nur die aufgrund des «natürlichen» Wettbewerbnachteils (Ressourcenarmut) auf ein mildes Steuerklima angewiesenen Kleinstaaten, sondern der Standort Europa insgesamt. Möglich ist eine solche Politik der Wettbewerbsfeindlichkeit nur aufgrund eines besorgniserregenden Demokratie- und Wettbewerbsdefizits in der EU. Anstelle demokratischer Legitimation und innovativen Systemwettbewerbs setzt die EU auf selbstherrliche Politik und Gleichschaltung. Bedenklich ist insbesondere die zunehmende Zentralisierung der Machtbefugnisse in Brüssel, die durch angeblich notwendige Harmonisierungen legitimiert wird, in Wahrheit jedoch die Vielfalt Europas gefährdet.

Der in Genf lehrende liberale Ökonom Wilhelm Röpke (1899-1966) sah bereits in den Römer EWG-Verträgen von 1957 eine gefährliche zentralistische, bürokratisierte und dirigistische Tendenz. Er sprach von einem eigentlichen Verrat an Europa wie auch an der Idee der «Freiheit in der Verschiedenheit» und warnte (unter anderem auch in verschiedenen Beiträgen in den «Schweizer Monatsheften») vor einem Beitritt. Die Schweiz tut auch 50 Jahre später gut daran, sich am internationalen Standortwettbewerb zu orientieren. Damit sichert sie sich nicht nur ihre internationale Spitzenposition, sondern gewährleistet auch den durch Wettbewerb bewirkten sparsamen Umgang mit Steuergeldern. Dabei spielen die föderalistischen und direktdemokratischen Institutionen eine entscheidende Rolle. Sie garantieren eine den lokalen Nachfrageunterschieden angepasste Vielfalt an öffentlichen Leistungsangeboten. Die von einigen Theoretikern und Politikern geltend gemachte Gefahr, Steuerwettbewerb führe zu einem ruinösen Wettlauf hin zum Nullsteuerstaat (race to the bottom), widerspricht jeglicher Erfahrung. Es hat sich immer gezeigt, dass die Bürger für eine vergleichsweise kostengünstige, effiziente Infrastruktur bereit sind, entsprechende Steuern zu entrichten.

Nicht Harmonisierung und Dirigismus von oben, sondern Wettbewerb und direkte Demokratie schaffen Wohlstand und bessere Lebensbedingungen. Zudem kennt gerade die Schweiz dank der demokratischen Legitimation ihres Systems entsprechende Leitplanken für den Steuerwettbewerb. Wenn eine Mehrheit den Steuerwettbewerb als «unfair» taxiert, verliert er die demokratische Legitimation und wird eingeschränkt.

Silvan Lipp, geboren 1982, studiert Geschichte und Volkswirtschaft an der Universität Freiburg und ist externer Projektmitarbeiter am Liberalen Institut.

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