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Steuerparadies Schweiz?
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Steuerparadies Schweiz?

Nicht selten wird die Schweiz auch heute noch als steuergünstiges Land gepriesen. Demgegenüber kann man aber unschwer feststellen, dass der Schweizer Steuerzahler selbst sich keineswegs mehr in einem fiskalischen Paradies wähnt, sondern seine Steuerbelastung als hoch empfindet. Der Ruf nach Beschränkung der Staatsausgaben und nach sparsamem Haushalten verstummt nicht, und die Tatsache, dass der Souverän in kurzen Zeitabständen zwei Steuerpakete des Bundes verworfen hat, ist ein deutliches Indiz dafür, dass sich in der Schweiz ein gewisser Steuerwiderstand auszubreiten beginnt.

In der Presse wird die Frage, ob die Schweiz nach wie vor ein Steuerparadies sei, unterschiedlich beantwortet. Titel wie «Steueroase ade!» und «Die Schweiz im internationalen Steuervergleich noch immer im letzten Drittel der Rangliste» lassen sich nebeneinander lesen. Dazu ist zu sagen, dass weder die eine noch die andere Aussage völlig falsch ist, es kommt nur darauf an, aus welcher Optik man diese Frage beurteilt und welche Vergleichszahlen man zu Rate zieht. Es ist das Ziel dieses Aufsatzes, die verfügbaren Vergleichszahlen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und die Frage, wie steuergünstig sich die Schweiz im zwischenstaatlichen Vergleich präsentiert, anhand verschiedener Gruppen von Steuerzahlern und von Steuerarten zu beantworten.

Die Problematik der Vergleiche

Internationale Steuervergleiche sind etwas sehr Problematisches. Jedes Land hat ein anders ausgestaltetes Steuerrecht. Man kann aus diesen Steuergesetzen zwar die prozentuale Belastung bestimmter Einkommens- und Vermögenstypen errechnen. Aber diese Prozentzahlen sagen nichts aus über die Handhabung des Steuergesetzes in der Praxis, zum Beispiel über die Qualität der Veranlagung, über die Intensität der Kontrolle, über die Abschreibungsmöglichkeiten, die Zahlungstermine und die Bemessungsperioden im Sinne der Prä- oder Postnumerandobesteuerung.

Im weiteren stellt sich das Problem der Währungsumrechnung und damit – besonders unter dem Regime der flexiblen Wechselkurse – der Wahl des Stichtages für die Umrechnung. Auch die Frage der Kaufkraftparität erleichtert die Vergleiche nicht.

Und nicht zuletzt ergeben sich natürlich auch in der Schweiz selbst Probleme. Welche Steuerbelastung der Schweiz zieht man für die internationalen Vergleiche bei? Es ist bekannt, dass der Bürger unseres Landes von Kanton zu Kanton unterschiedlich besteuert wird. Soll man nun für die Vergleiche die steuergünstige Innerschweiz oder den teuren Kanton Zürich wählen, soll man schweizerische Durchschnittszahlen beiziehen oder zum Beispiel auf die Steuerbelastung der Grossstädte abstellen?

Diese Hinweise machen deutlich, dass die Aussagekraft solcher Vergleiche beschränkt ist. Der Leser muss sich bewusst sein, dass alle hier vorgelegten Zahlen mit grossen Vorbehalten behaftet sind. Es wird kein Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit erhoben, sondern es geht darum, aufgrund von vorhandenem statistischem Material eine politische Wertung der schweizerischen Steuersituation vorzunehmen, um die Trends aufzuzeigen, welche die internationalen Steuervergleiche erkennen lassen, und um die sich daraus ergebenden Schlüsse für unsere Steuerpolitik zu ziehen.

Die allgemeine Situation

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz OECD) gibt in regelmässigen Abständen eine Jahresstatistik über die Höhe und die Zusammensetzung der Staatseinnahmen ihrer 23 Mitgliedsländer heraus. Die letzte derartige Statistik ist 1978 veröffentlicht worden. In einer ersten Untersuchung wird die Fiskalbelastung in Prozenten des Bruttoinlandsproduktes (BIP) festgehalten. Als Fiskalbelastung erscheinen die Abgaben für Steuern und an Sozialversicherungen. Hier werden nicht die Zahlen sämtlicher 23 OECD-Staaten ausgewertet, sondern nur der europäischen Staaten Schweden, Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Italien, Grossbritannien, Frankreich und Schweiz.

Die OECD-Studie zeigt, was sich inzwischen allgemein herumgesprochen hat: Schweden ist der europäische Spitzenreiter bezüglich Fiskalbelastung in Prozenten des BIP. Mit einem Anteil von 53,1% liegt es vor Österreich (41,3%), Frankreich (39,4%) und der Bundesrepublik Deutschland mit 38%. Etwas günstiger präsentieren sich Grossbritannien mit 35,2% sowie Italien mit 34,5%. Am besten schneidet beim Vergleich die Schweiz ab mit einem Anteil der Fiskalbelastung am BIP von «nur» 31,5%.

Auf solchen Untersuchungen basiert das Schlagwort der «Steueroase» Schweiz. Wenn man allein auf die durchschnittliche Steuerbelastung in Prozenten des BIP abstellt, so ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen, dass die Schweiz zwar kein paradiesisches, aber immerhin noch ein erträgliches Steuerklima bietet.

Trotzdem manifestiert sich in vielen negativen Volksentscheiden ein Unmut gegenüber den finanziellen Forderungen des Staates an seine Bürger. Woher rührt das?

Der Steuerpflichtige registriert nicht nur seine Belastung in Franken, er macht sich auch seine Gedanken über die Zusammensetzung der Steuern, über deren tarifliche Ausgestaltung und vor allem über die Entwicklung der Steuerbelastung. Wenn wir diesen letzten Punkt genauer untersuchen, so wird rasch klar, warum die Beteuerung, man lebe international gesehen in einem relativen Steuerparadies, nicht mehr verfängt.

 Ein Schweizer Rekord

 Die OECD-Publikation stellt nicht nur die heutige Fiskalbelastung in Prozenten des BIP dar, sie zeigt auch auf, in welchem Ausmass diese Fiskalbelastung im Zeitraum von 1965–1978 in den einzelnen Ländern zugenommen hat. Hier ist festzustellen, dass der Anteil an Steuern und Sozialversicherungsabgaben am BIP in keinem anderen der vergleichbaren Länder so stark angestiegen ist wie in der Schweiz. Mit einer Zunahme von 52,2% liegen wir vor dem Hochsteuerland Schweden (49,2%) und überrunden unsere Nachbarländer bei weitem, weisen doch die Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich lediglich eine Steigerung von 20,6%, 19,0%, 18,2% und 12,6% aus. Auch Grossbritannien hat sich mit einer Zunahme von lediglich 13,5% im Gegensatz zur Schweiz mit Steuerverschärfungen stark zurückgehalten.

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die Steuervorteile, welche die Schweiz noch vor 15 Jahren geboten hat und welche ihr den Ruf eines Steuerparadieses eingebracht haben, massiv abgebaut worden sind. Die Belastungsdifferenzen, die bisher zu unserer internationalen Konkurrenzfähigkeit beigetragen haben, schmolzen zusammen. Es gilt heute, den Rest dieser Differenzen zu bewahren bzw. sie wieder auszubauen. Dies besonders deshalb, weil auch unsere Handelspartner langsam merken, dass man die Steuerschraube nicht ungestraft endlos anziehen darf. Die Regierung Thatcher hat mit massiven Entlastungen bereits erreicht, dass der Anteil der direkten Steuern am britischen Bruttoinlandsprodukt spürbar geschrumpft ist. Auch in den USA gehen die Steuereinnahmen leicht zurück, während Kanada und Japan sie konstant zu halten vermögen. Interessant ist, dass die Besteuerung der juristischen Personen im Schnitt der OECD-Länder rückläufig ist.

Zur allgemeinen Situation kann man also feststellen, dass die Fiskalbelastung an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen in Prozenten des Bruttoinlandsproduktes in der Schweiz zwar noch vergleichsweise gnädig ist, dass aber die Differenzen zu den vergleichbaren Ländern so klein geworden sind, dass kein Grund mehr zum Frohlocken besteht. Ein rohstoffarmes Land wie das unsere, das zudem die höchsten Löhne der Welt bezahlt, muss fiskalisch gewisse Anreize bieten, um im internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können.

Bisher war von Durchschnittswerten die Rede. Bei der differenzierteren Betrachtung einzelner Gruppen von Steuerzahlern und einzelner Arten von Steuern erfährt die Legende des Steuerparadieses Schweiz nochmals einige Retouchen und verliert punktuell ihren Gehalt.

Die Besteuerung der Unternehmen

Internationale Steuervergleiche sind im allgemeinen schwierig, aber am meisten Schwierigkeiten verursachen die Steuervergleiche bei den Unternehmen. Dies aus folgenden Gründen.

Zum ersten sind die Unterschiede der Besteuerung von juristischen Personen in den schweizerischen Kantonen eher noch grösser als bei den natürlichen Personen. Obwohl die Wehrsteuer hier wegen der Abzugsfähigkeit der kantonalen und kommunalen Steuern einen gewissen Ausgleich schafft, variiert der Gesamtindex zwischen 72 (Zug), 74 (Nidwalden), 120 (Zürich) und 128 Punkten (Jura). Zum zweiten bleibt die Doppelbelastung der von den Kapitalgesellschaften ausgeschütteten Dividenden bei den Vergleichen unberücksichtigt.

In der Schweiz wird der ausgeschüttete Gewinn zuerst bei der AG und dann als Dividende beim Einkommen des Aktionärs voll besteuert. In der Bundesrepublik Deutschland dagegen erfolgt eine Milderung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung, indem die Ausschüttungen mit einem reduzierten Steuersatz erfasst werden; Frankreich rechnet die auf den Ausschüttungen lastenden Steuern der Kapitalgesellschaft beim Dividendenempfänger sogar ganz oder teilweise auf die vom Aktionär geschuldete Einkommenssteuer an.

Die Doppelbesteuerung des ausgeschütteten Gewinnes ist ein Minuspunkt für die Schweiz, welcher in den Vergleichszahlen nicht erfasst ist. Er trifft ganz besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, die sich ganz oder mehrheitlich im Eigentum einer Person, einer Familie oder einer beschränkten Zahl verwandtschaftlich miteinander verbundener Familien befinden. Aufgrund entsprechender Untersuchungen sind in der Schweiz fast drei Viertel der Aktiengesellschaften im Fabrikationsbereich, die eine Arbeitnehmerzahl zwischen 20 und 300 Personen aufweisen, echte Familiengesellschaften. Sie werden durch die Kumulation von vier fiskalischen Abschöpfungen, der Ertrags- und Kapitalsteuer bei der AG sowie der Einkommens- und der Vermögenssteuer bei den Aktionären, steuerlich sehr stark belastet. Eine Milderung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung drängt sich deshalb nicht nur aus grundsätzlichen Überlegungen, sondern ganz besonders auch im Hinblick auf die Situation der Familienaktiengesellschaften auf.

Es gibt aber auch Pluspunkte für die Schweiz, welche in Prozentzahlen nicht in Erscheinung treten. Hier ist einmal die Abschreibungspraxis zu nennen, die in der Schweiz nicht kleinlich gehandhabt wird. Zum zweiten ist festzustellen, dass in unserem Land ein gutes Steuerklima herrscht. Die Veranlagungspraxis der schweizerischen Steuerbehörden ist im internationalen Rahmen betrachtet vernünftig. Insbesondere im Vergleich zu unserem Nachbarland Deutschland steht die Schweiz in dieser Beziehung gut da; nach Aussage des stellvertretenden Direktors der Handelskammer Deutschland–Schweiz besteht in Deutschland zwischen Steueramt und Bürger offene Konfrontation.

Unsere Steuerverwaltungen kommen denn auch mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Beamten aus. Wenn in einer schweizerischen Firma eine Veranlagungsuntersuchung zwei bis drei Tage dauert, so beansprucht der gleiche Vorgang in einer vergleichbaren deutschen Firma zwei bis drei Wochen. Grosse Betriebe haben in Deutschland sogar einen Veranlagungsbeamten, der das Unternehmen das ganze Jahr über ständig prüft.

Solche Modalitäten einer unterschiedlichen Steuerpraxis können sich in den Vergleichszahlen nicht niederschlagen. Immerhin lassen sich unter Ausklammerung der erwähnten Eigenheiten eines Landes aus der zitierten OECD-Statistik recht aufschlussreiche Daten über die Besteuerung der Unternehmen ablesen. Es wird berechnet, welchen Anteil in Prozenten des Bruttoinlandsproduktes die Steuern der natürlichen Personen einerseits und die Steuern der Unternehmen andererseits ausmachen. Dabei muss betont werden, dass die Abgrenzung «natürliche Person» und «Unternehmung» nicht leicht ist. In der Schweiz konnte man sich zum Beispiel nur auf die Unterscheidung «natürliche Personen» und «juristische Personen» abstützen, weil die Personengesellschaften in der Schweiz wie natürliche Personen besteuert werden. Die Zahlen sind daher mit Vorbehalt aufzunehmen. Sie sind jedoch insofern nicht ganz unverbindlich, als von allen Arbeitnehmern in der Schweiz 68% in Firmen arbeiten, welche die Rechtsform einer juristischen Person haben. Im OECD-Durchschnitt liefern die Unternehmungen einen Anteil von 8,1% des BIP an Steuern ab, in der Schweiz nur 5,7%. Diesen Berechnungen sind die direkten Steuern sowie die Sozialversicherungsbeiträge zugrunde gelegt. Ebenfalls unter dem OECD-Durchschnitt liegt Grossbritannien mit einem gleich hohen Anteil an Unternehmenssteuern am BIP wie die Schweiz. Alle unsere Nachbarländer liegen über dem OECD-Durchschnitt, indem die Bundesrepublik Deutschland einen Anteil von 9,1%, Österreich von 10,5%, Italien von 15,4% und Frankreich von 15,6% ausweisen.

Aus diesen Zahlen lässt sich schliessen, dass die Schweiz die Unternehmungen – hier als juristische Personen verstanden – sowohl im Vergleich zum OECD-Durchschnitt wie vor allem auch im Verhältnis zu unseren Nachbarstaaten relativ milde besteuert, wobei jedoch die wirtschaftliche Doppelbesteuerung von Gewinn und Dividende nicht berücksichtigt ist. Diese Aussage wird auch dadurch erhärtet, dass im OECD-Durchschnitt rund ein Drittel der direkten Steuern von den Unternehmungen aufgebracht wird, in der Schweiz dagegen nur ein Viertel. Dabei sind allerdings, wie bereits ausgeführt, die Steuern der Einzelunternehmungen nicht berücksichtigt.

Es ist aber berechtigt festzustellen, dass die Einzelfirmen in der Schweiz im internationalen Vergleich ebenfalls nicht allzu hart besteuert werden, auch wenn über diesen Sektor kaum statistische Zahlen existieren. Immerhin hat die Industrie- und Handelskammer Wuppertal aus Anlass ihres 150jährigen Bestehens in diesem Jahr die Steuerbelastung von Gewerbebetrieben in der Bundesrepublik und in der Schweiz miteinander verglichen. Für den Steuervergleich hat sich ein typisch mittelständisches Wuppertaler Unternehmen in der Rechtsform einer Einzelfirma zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis fiel deutlich zugunsten der Schweiz aus, wo die Steuerbelastung nur 75% der deutschen Belastung beträgt. Bei den Einzelfirmen fällt zudem der schweizerische Standortvorteil der vernünftigeren Veranlagungspraxis wohl noch stärker ins Gewicht als bei den Aktiengesellschaften.

Gesamthaft gesehen bietet die Schweiz den Unternehmen im internationalen Vergleich ein relativ günstiges Steuerklima. Dies ist zur Erhaltung unserer internationalen Konkurrenzfähigkeit unerlässlich und bietet darüber hinaus auch noch weitere Vorteile. Nicht wenige Kantone beherbergen ausländische Firmen, welche zu den besten Steuerzahlern ihrer Region zählen. Es sind dies vor allem amerikanische Firmen, die weltweit produzieren und verkaufen. In Amerika liefert eine Grossfirma 46% ihres Gewinnes an Steuern ab. Für ihre europäische Tochtergesellschaften gilt die Regel, dass die Differenz zwischen den in Europa bezahlten Steuern und den in Amerika geforderten 46% nach Amerika abgeliefert werden muss. Aus dieser Tatsache könnte man den verhängnisvollen Schluss ziehen, die Schweiz dürfe die Maximalbelastung bei der Ertragssteuer (im Raum Zürich 30%) ruhig noch erhöhen, es verbleibe auch dann noch eine grosse Differenz bis zu den besagten 46%. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass viele dieser Firmen nicht nur in der Schweiz eine Niederlassung haben, sondern auch in anderen europäischen Ländern, in denen die Maximalbelastung gleich hoch oder eher höher ist als in Amerika. Deshalb ist es für diese Firmen sehr wichtig, in der Schweiz relativ milde besteuert zu werden, und sie haben daher auch ein Interesse, einen möglichst grossen Anteil ihres Gewinnes in der Schweiz zu versteuern. Dies kommt letztlich allen Steuerzahlern zugute, nicht zuletzt auch jenen Kreisen, die nicht müde werden, gegen die Multis zu polemisieren.

Die Steuerbelastung der natürlichen Personen im internationalen Vergleich

 Die fiskalische Situation der natürlichen Personen präsentiert sich im internationalen Vergleich weniger günstig als jene der Unternehmen. Dies lässt sich anhand einer Untersuchung belegen, welche die Eidg. Steuerverwaltung im Februar 1979 im Rahmen eines Belastungsvergleiches veröffentlicht hat.

Die Belastung der Einkommen natürlicher Personen durch Einkommenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge wurde nebst der Schweiz für Schweden, Deutschland, Frankreich und Italien ausgerechnet. Aus der interessanten Arbeit lassen sich die folgenden Erkenntnisse ableiten. Schwedens Fiskalbelastung bleibt «hors concours». Bereits ein Einkommen von 30 000 Franken wird mit 39,1% Fiskalabgaben belastet. Verdient ein Steuerpflichtiger 100 000 Franken, liefert er dem Staat 67,9% davon an Steuern ab, und von einem jährlichen Einkommen von einer halben Million Schweizer Franken verbleiben dem Steuerpflichtigen ganze 20%. Bei solchen Relationen erstaunt es nicht, dass der Schwede Mittel und Wege sucht, dem gewaltigen Steuerdruck auszuweichen, um sich einen grösseren Teil des Einkommens für seine eigenen Bedürfnisse zu sichern. Nicht alle diese Anstrengungen sind legal; so wird zum Beispiel in Schweden häufig schwarz gearbeitet; Professor Gunnar Myrdal sah sich zur Aussage veranlasst, dass die Schweden Gefahr liefen, wegen der schlechten Steuergesetze ein Volk von Betrügern zu werden. Daraus wird deutlich, dass man sich mit Schweden als fiskalisch fragwürdigem Beispiel eigentlich nicht vergleichen sollte und dass die Feststellung, im Verhältnis zu Schweden eine niedrige Steuerbelastung zu haben, noch kein Grund zur Beruhigung ist.

Betrachten wir daher die durchschnittliche schweizerische Belastungskurve im Vergleich zu unseren Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien. Dabei lassen sich drei Feststellungen machen.

Die niedrigen Einkommen werden in der Schweiz vergleichsweise milde besteuert. Man muss aber beifügen, dass dafür die Lebenshaltungskosten in der Schweiz verhältnismässig hoch sind und dass deshalb ein Arbeitnehmer mit einem niedrigen Einkommen darauf angewiesen ist, nicht einen zu hohen Anteil seines Lohnes dem Staate abliefern zu müssen. Ein Einkommen von 30 000 Franken hat in der Schweiz eine Fiskalbelastung von 12,4%, in der Bundesrepublik Deutschland von 20,8% und in Italien von 25,5%. Nur Frankreich besteuert die niedrigen Einkommen sogar noch etwas zurückhaltender als die Schweiz.

Wenn wir also feststellen, dass die Unternehmen – juristische Personen so gut wie Einzelfirmen – in der Schweiz relativ milde besteuert werden, was international gesehen ein Standortvorteil ist, so muss gleichzeitig hervorgehoben werden, dass die Besteuerung der natürlichen Personen und damit der Arbeitnehmer bei den mittleren und hohen Einkommen keineswegs mehr günstiger ist als in unseren Nachbarländern. Da es einem Unternehmen nicht gleichgültig sein kann, wie seine Mitarbeiter besteuert werden, wird das Schlagwort des «Steuerparadieses Schweiz» für die Unternehmungen nochmals relativiert.

 

  1. Die niedrigen Einkommen werden in der Schweiz vergleichsweise milde besteuert. Man muss aber beifügen, dass dafür die Lebenshaltungskosten in der Schweiz verhältnismässig hoch sind und dass deshalb ein Arbeitnehmer mit einem niedrigen Einkommen darauf angewiesen ist, nicht einen zu hohen Anteil seines Lohnes dem Staate abliefern zu müssen. Ein Einkommen von 30 000 Franken hat in der Schweiz eine Fiskalbelastung von 12,4%, in der Bundesrepublik Deutschland von 20,8% und in Italien von 25,5%. Nur Frankreich besteuert die niedrigen Einkommen sogar noch etwas zurückhaltender als die Schweiz.

 

  1. Immer mit Ausnahme des Hochsteuerlandes Schweden bewegt sich die schweizerische Steuerbelastung der mittleren und hohen Einkommen in durchaus vergleichbarer Höhe mit unseren Nachbarländern. Ab einem Einkommen von rund 60 000 Franken steigt die Progression in der Schweiz steil an und verläuft bis ungefähr 200 000 Franken mindestens gleich steil wie in den Nachbarländern. Da es sich dabei um Durchschnittszahlen handelt, muss festgestellt werden, dass die Progressionskurve gewisser Schweizer Kantone (zum Beispiel Basel-Stadt, Bern, Jura, Schaffhausen, Zürich) stärker ansteigt als die hier erwähnten ausländischen Kurven. Ein Einkommen von
    100 000 Franken weist in der Schweiz eine Fiskalbelastung von 27,96% auf, ein solches von 200 000 Franken von 38,68%. Die entsprechenden Prozentzahlen liegen in der BRD bei 34,4% bzw. 43,7%, in Frankreich bei 24,2% bzw. 35,2% und in Italien bei 37,0% bzw. 43,4%. Die steile Progressionskurve der schweizerischen Steuern mit einer niedrigen Belastung der tiefen und einer hohen Belastung der grösseren Einkommen zeigt, dass die soziale Komponente der schweizerischen Steuern, das heisst ihr Umverteilungseffekt, relativ ausgeprägt ist.

 

  1. Die schweizerischen Maximalbelastungen weichen nicht mehr nennenswert von den entsprechenden Steuersätzen in unseren Nachbarländern ab. Die Schweiz besteuert das Einkommen einer natürlichen Person von einer halben Million Franken mit 45,96%, die BRD mit 51,1%, Frankreich mit 46,5% und Italien mit 51,9%. Dazu muss noch folgendes präzisiert werden: Die kleinen Belastungsdifferenzen zugunsten der Schweiz, die beispielsweise gegenüber Deutschland nach wie vor bestehen, werden noch unerheblicher beziehungsweise werden in eine Differenz zugunsten Deutschlands gekehrt, wenn man folgende Eigenheit des schweizerischen Steuerrechtes in Betracht zieht: In den meisten europäischen Staaten können Krankheitskosten sowie die Beiträge, welche an die Einrichtungen zur beruflichen Vorsorge zu bezahlen sind, vom steuerbaren Einkommen in Abzug gebracht werden. In den meisten deutschsprachigen Kantonen hingegen ist ein solcher Abzug nicht möglich. Würde man auch in unseren Kantonen diese Kosten zum Abzug zulassen, so müssten die Steuertarife um rund 10% verschärft werden, um die grossen Steuerausfälle wieder zu kompensieren. Des weiteren muss man wissen, dass wir in der Schweiz eine relativ hohe Steuerbelastung des Vermögens haben, wie anschliessend genauer ausgeführt wird. Das verschlechtert die Situation der natürlichen Personen zusätzlich.

 

Die Vermögenssteuer

In diese Gruppe fallen alle Steuern auf mobilem und immobilem Vermögen, Steuern auf Erbschaften und Schenkungen sowie alle Steuern auf Finanz- und Kapitaltransaktionen. In der OECD-Statistik findet sich eine Zusammenstellung, die Auskunft gibt über den prozentualen Anteil einer einzelnen Steuer am gesamten Steueraufkommen. Daraus lassen sich in bezug auf die Vermögenssteuern interessante Hinweise entnehmen. Es fällt auf, dass die Schweiz mit einem stark eigentumsorientierten Wirtschaftssystem eine relativ hohe, Schweden dagegen als massiv ausgebauter Sozialstaat eine sehr geringe durchschnittliche Besteuerung des Vermögens kennt.

Die Schweiz liegt mit ihrem Anteil der Vermögenssteuern von 7% an den gesamten Steuereinnahmen sowohl über dem OECD-Durchschnitt von 6% als auch deutlich über den entsprechenden Grössen unserer Nachbarländer. In Frankreich macht der Anteil der Vermögenssteuern am gesamten Steueraufkommen 3,8% aus, in der BRD und in Italien je 3,3% und in Österreich 2,9%. Schweden liegt für einmal weit unter dem OECD-Durchschnitt und unterbietet mit einem Anteil an Vermögenssteuern von lediglich 1,1% auch die übrigen europäischen Staaten beträchtlich. Wahrscheinlich resultiert dieser geringe Anteil an Vermögenssteuern am gesamten Steueraufkommen in Schweden allerdings auch daher, dass es bei der dort üblichen exzessiven Besteuerung des Einkommens kaum mehr möglich sein dürfte, Vermögen zu bilden.

Aus der OECD-Steuerpublikation kann weiter entnommen werden, dass die Quote der Vermögenssteuern im OECD-Raum während der letzten 15 Jahre im Gegensatz zur allgemeinen Steuerquote um ungefähr 3% abgenommen hat. Von den 23 Staaten verzeichneten nicht weniger als 15 einen Rückgang am Anteil der Vermögenssteuern und nur 8 Staaten eine Zunahme. Darunter die Schweiz, welche mit 22,1% die dritthöchste Zunahme der Vermögenssteuerquote aufweist. Dabei ist nicht genau geklärt, in welchem Ausmass diese Zunahme auf eine Verschärfung der Steuertarife zurückzuführen ist und inwieweit sie durch eine allgemeine Zunahme des schweizerischen Volksvermögens bedingt ist. Wahrscheinlich resultiert der starke Anstieg der Vermögenssteuerquote aus beiden Faktoren. Jedenfalls muss in Zukunft bei den Vermögenssteuern Zurückhaltung geübt werden, wenn wir mit der vielgepriesenen und staatspolitisch ausserordentlich wichtigen Eigentumsförderung Ernst machen wollen.

Ein Blick auf die Vermögenssteuern in den schweizerischen Kantonen zeigt, dass hier die Situation in den Innerschweizer Kantonen im Vergleich zum Kanton Zürich und zum schweizerischen Durchschnitt nicht so viel vorteilhafter ist wie bei den Einkommenssteuern. Uri weist sogar die stärkste Vermögensbelastung der Schweiz auf. (Diese Zahlen verstehen sich auf der Basis 1979, die im Jahre 1980 in Uri vorgenommene Steuergesetzrevision bringt gewisse Korrekturen.) Die Progression ist auch bei dieser Steuer im Kanton Uri nicht steil, aber sie bewegt sich bei einer Belastung durch Kantons- und Gemeindesteuern von minimal 7,44‰ und maximal 10,32‰ auf einem sehr hohen Niveau. Obwalden belastet die Vermögen mit einem Minimalsatz von 3,43‰ und einem Maximalsatz von 4,29‰ relativ milde und fast linear. Zug besteuert erst Vermögensteile ab 50 000 Franken (1,42‰) und steigert bei einem Vermögen von 5 Millionen Franken auf einen Ansatz von 5,75‰. Der schweizerische Durchschnitt geht von einem Ansatz von 0,22‰ bei 20 000 Franken auf 7,39‰ bei 5 Millionen Franken. Zürich liegt für einmal unter dem schweizerischen Durchschnitt. Im Kanton Zürich sind Vermögensteile bis zu 100 000 Franken steuerfrei, ein Vermögen von 5 Millionen Franken wird mit 7,20‰ besteuert.

Das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern

Die Tatsache, dass der Effekt der Umverteilung im schweizerischen Steuerrecht beträchtlich ist, hat sich an der Ausgestaltung der Progression bei den Steuern der natürlichen Personen belegen lassen. Ein weiterer Punkt, welcher die Umverteilung fördert, ist die Tatsache, dass in der Schweiz ein immer grösserer Anteil am gesamten Steueraufkommen durch direkte Steuern aufgebracht wird und immer weniger Prozente durch indirekte Steuern. In der Schweiz liegt der Anteil der indirekten Steuern am gesamten Steueraufkommen mit 16,67% weit unter dem Durchschnitt von 27,80% der OECD-Staaten. Es ist hervorzuheben, dass bei diesem Vergleich für die Berechnungen die Fiskalabgaben zusammen mit den Leistungen an die Sozialversicherungen zugrunde gelegt wurden. Dies ist deshalb zu betonen, weil bei rein schweizerischen Untersuchungen der Anteil der indirekten Steuern am schweizerischen Steueraufkommen mit rund 27% angegeben wird. Hier wird aber jeweils nur auf die Fiskalabgaben unter Ausklammerung der Sozialversicherungsbeiträge abgestellt. Daraus resultiert die Differenz zwischen diesen beiden Zahlen, die deshalb relativ gross ist, weil in der Schweiz im Gegensatz zum Ausland ein grosser Teil der Sozialversicherungen über private Institutionen abgewickelt wird.

Die Anteile der indirekten Steuern am gesamten Steueraufkommen belaufen sich gemäss OECD-Statistik in der BRD auf 24,3%, in Frankreich auf 31,6%, in Österreich auf 34,0% und in Schweden auf 23,0%. Das bedeutet, dass in jedem anderen europäischen Staat, insbesondere auch im während Jahrzehnten sozialistisch regierten Schweden, der Steuerzahler einen höheren Anteil der Steuereinnahmen über den Konsum finanzieren muss als in der Schweiz.

Zusammenfassung

 Die Ergebnisse dieses Überblickes lassen sich folgendermassen zusammenfassen:

  1. In keinem anderen Land ist die Fiskalbelastung durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Prozenten des Bruttoinlandsproduktes in den letzten 15 Jahren so stark angestiegen wie bei uns, was erklärt, weshalb der Schweizer Steuerzahler seine Fiskalbelastung subjektiv als gross empfindet. Eine Brechung dieses Trends ist unerlässlich, sollen die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft und die verhältnismässig gute Steuermoral des Schweizer Bürgers erhalten bleiben.

 

  1. Die Unternehmen werden in der Schweiz vergleichsweise zurückhaltend besteuert. Die wirtschaftliche Doppelbesteuerung von Gewinn und Dividende trübt zwar dieses Bild etwas, andererseits ist aber das Steuerklima in der Schweiz in bezug auf Abschreibungen und Veranlagungspraxis vernünftig.

 

  1. Die natürlichen Personen werden in der Schweiz fast so stark oder gleich stark besteuert wie in unseren Nachbarländern. Die Progression ist in der Schweiz im Durchschnitt sehr steil. Die tiefen Einkommen weisen im internationalen Vergleich eine milde Besteuerung auf, die mittleren und hohen Einkommen jedoch nicht mehr.

 

  1. Die Vermögenssteuern sind in der Schweiz sowohl im Vergleich zum OECD-Durchschnitt wie auch im Vergleich zu unseren Nachbarländern hoch.

 

  1. Demgegenüber sind die Konsumsteuern, die indirekten Steuern, niedrig. Der weitaus grösste Teil des Steueraufkommens resultiert in der Schweiz aus den direkten Steuern. Eine weitere Verschlechterung dieses Verhältnisses zugunsten der indirekten Steuern ist abzulehnen.

 

  1. Die Schweiz ist für die meisten Steuerzahler kein Steuerparadies mehr, wobei zu bemerken ist, dass die Innerschweiz dem Paradies noch ein wenig näher ist als die Kantone Basel-Stadt, Bern, Jura, Schaffhausen und Zürich.

 


Erschienen: Schweizer Monatshefte: Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur, Band (Jahr): 60 (1980), Heft 12

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