Steuerflucht – ein Grundrecht
Niedrige Steuern verletzen kein Recht
Zunächst einige Testfragen: Sind Sie der Meinung, nur diejenigen sollten besteuert werden, die über durch von ihnen gewählte Volksvertreter ihre Zustimmung gegeben haben? Halten Sie es für verfehlt, wenn eine Regierung die Steuersätze hochschraubt, bis das tatsächliche Steueraufkommen zurückgeht, weil es sich für die Leute nicht mehr lohnt, ebenso viel zu arbeiten, zu sparen und zu investieren wie vorher? Halten Sie es für stossend, dass eine Regierung Dritte, wie Ihre Arbeitgeber oder Kunden, für die Bezahlung der von Ihnen geschuldeten Steuern verantwortlich macht? Wenn Sie alle diese Fragen mit Ja beantworten, gehören Sie zu den Mitgliedern einer aufgeklärten freiheitlichen Zivilgesellschaft.
Aber auch wer bei der einen oder andern Frage zögert, spontan Ja zu sagen, wird nach einigem Überlegen zugeben müssen, dass ein Nein letztlich in eine Tyrannei führen müsste, vor der sich aufgeklärte Menschen nur durch Widerstand oder Flucht retten können. Bis zum Anfang der Aufklärung im 17. Jh. war der Gedanke, dass jeder selbst Herr seines Lebens sei, weder verbreitet noch in nennenswertem Masse umgesetzt. Erst die amerikanische Revolution verhalf der Lockeschen Idee, dass jeder ein unveräusserliches Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum habe, zum Durchbruch. Und diese Idee wurde nach und nach weltweit zu einer Norm zivilisierten Daseins, auch wenn sie weltweit noch vielerorts missachtet wird und selbst bei führenden Köpfen in Amerika und in Europa noch auf Widerstand stösst, vor allem wenn es um die Erhebung von Steuern geht.
Die amerikanische Steuerbehörde, der Internal Revenue Service (IRS), möchte beispielsweise den kleinen Unternehmen nach wie vor auch «steuerpolizeiliche» Aufgaben aufbürden. Sie sollen dafür verantwortlich sein, dass ihre Kunden, die mit den getätigten Transaktionen verknüpften Steuern bezahlen. Diese engstirnigen Funktionäre haben noch nicht begriffen, dass Staat und Wirtschaft getrennte Bereiche sind und unterschiedliche Rollen wahrnehmen. Sie ignorieren auch, dass solche Neuerungen für viele kleine Unternehmungen mit hohen Kosten und enorm komplizierten Abläufen verbunden sind, die ihre Kräfte übersteigen. Es kann doch im Ernst nicht zu den Pflichten eines Kleinunternehmers gehören, neben der Bezahlung seiner eigenen Steuern auch noch dafür zu sorgen, dass andere die ihrigen bezahlen.
Die EU-Kommission schickt sich gegenwärtig an, die Schweiz wegen der Steuererleichterungen, die sie gewährt, unter Druck zu setzen. Aus ihrer Sicht sind niedrige Steu-ern offenbar eine Rechtsverletzung. Die EU-Bürokraten plagt der Gedanke, einige Firmen und Dienstleistungsbereiche könnten von den EU-Hochsteuerländern in die aufgeklärtere Schweiz abwandern, weil dort die Steuerlast weniger drückend ist. Dabei gehört das Grundrecht, religiöser, politischer und wirtschaftlicher Unterdrückung zu entfliehen, seit über zweihundert Jahren zu den fundamentalen Werten einer zivilisierten Gesellschaft. In der Schweiz gibt es mehr Freiheit und mehr soziales und wirtschaftliches Wohlergehen als in den meisten EU-Mitgliedstaaten. Falls die EU die Oberhand gewinnt, hätte sie damit ein Präjudiz geschaffen für ein Recht, in die Autonomie anderer Länder einzugreifen, ein Recht, das sich in der Geschichte bisher nur die Tyrannen angemasst haben.
In den USA ist im demokratischen Lager die Meinung verbreitet, die «Reichen» (mit einem Einkommen von über 200’000 Dollar) sollten über höhere Steuersätze vermehrt zur Kasse gebeten werden. Dabei wären aufgrund der einleitend angestellten Überlegungen folgende Fragen naheliegend: Braucht die Bundesregierung tatsächlich mehr Steuereinkünfte, oder leidet sie nicht viel mehr unter Verschwendung, Betrug, Missbrauch, Misswirtschaft und falschen Anreizen, die den Wohlstand des Landes spürbar beeinträchtigen? Tragen höhere Einkommen nicht schon einen unverhältnismässig grossen Anteil der Steuerlast? Sind nicht die gegenwärtigen Steuersätze für höhere Einkommen schon so hoch, dass diese Steuerzahler lieber ihre steuerbare Arbeit, ihre steuerbare Spartätigkeit und ihre steuerbaren Investitionen reduzieren, als zusätzliche Steuern zu bezahlen? Ist «Reichsein» gleichbedeutend mit einem hohen Einkommen in einem beliebigen Jahr?
Die bisherigen Erfahrungen weisen eher darauf hin, dass es den Menschen mit weniger Staat besser ginge als mit mehr Staat und dass höhere Einkommen schon jetzt steuerlich unverhältnismässig stark belastet sind. Wer Steuererhöhungen plant, besteuert nicht so sehr das Reichsein als vielmehr die Anstrengung, reich zu werden. Leider beruht die Diskussion um Steuererhöhungen in den meisten Medien und bei vielen Politikern nicht auf der rationalen Auswertung von Erfahrungen, sondern auf einer emotionalen Mischung aus Neid und Ignoranz.
Der Beitrag wurde von Reinhart R. Fischer aus dem Englischen übersetzt.
RICHARD W. RAHN ist Publizist und Vorstands- und Verwal-tungsratsmitglied verschiedener wirtschaftspolitischer Organisationen, unter anderem des European Center for Economic Growth.