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Star Wars oder Raumschiff
Enterprise? Künstliche Intelligenz stellt die Menschheit vor eine grundlegende Wahl

Der Technologiesprung wird nicht nur einzelne Berufe, sondern ganze Branchen zum Verschwinden bringen. Das ist eine Chance.

Star Wars oder Raumschiff Enterprise? Künstliche Intelligenz stellt die Menschheit vor eine grundlegende Wahl
Robotertaxi an einem Zebrastreifen. Bild: Waymo.

Erinnern Sie sich noch an den Ausflug zur Videothek? Sie fuhren am Freitagabend hin, liessen sich einen Film empfehlen, brachten die Kassette am nächsten Tag zurück und bezahlten 8 bis 16 Franken. Mit diesem Betrag wurden alle beschäftigt: vom Personal der Videothek über den Importeur und seine Handelsvertreter bis zu den Postangestellten, die das Bargeld verbuchten. Auch Miete, Strom, Telefon und Steuern wurden so finanziert.

Heute schalten Sie einfach Netflix ein, zahlen 12.90 Franken im Monat und haben Zugriff auf unzählige Filme. Die Jobs von damals sind verschwunden. Kein Personal mehr in der Videothek, keine Bestellungen, kein Bargeldfluss, keine Ladenmiete – alles wegdigitalisiert. Die Menschen möchten weiterhin tolle Filme sehen, aber bequemer und kostengünstiger. Ähnlich wurden Bankschalter durch E-Banking und Musik-CDs durch Spotify ersetzt.

Genau wie die Digitalisierung ganze Branchen umgewälzt hat, steht uns mit KI und Robotik ein weiterer tiefgreifender Wandel bevor.

Die Zukunft können Sie heute schon in San Francisco, Los Angeles, Austin und Phoenix erleben. Die Firma Waymo bietet dort vollautomatisches Fahren im Taxiformat an. Sie zücken Ihr Handy, starten die Waymo-App, geben Start- und Zielort ein – und schon holt Sie ein Robotertaxi ohne menschliches Zutun ab und bringt Sie sicher ans Ziel. Mehr als 150 000 Fahrten werden so jede Woche durchgeführt, über eine Million Kilometer werden vollautomatisch abgefahren – und die KI lernt mit jeder Fahrt dazu, wird täglich besser. Der Rückversicherer Swiss Re kam zum Schluss, dass Waymo im Vergleich zu menschlichen Fahrern 100 Prozent weniger Personenschäden und 76 Prozent weniger Sachschäden verursache – ein bedeutender Sicherheitsgewinn.

Städte komplett neu denken

Stellen Sie sich vor, was das für unsere Wirtschaft bedeutet: Ein Auto steht heute die meiste Zeit nutzlos herum. Autonome Fahrzeuge sind jedoch ständig in Bewegung und verursachen so tiefere Kosten pro Kilometer, da sie geteilt werden. Dadurch entfallen plötzlich viele Arbeitsplätze: Chauffeure sind nur der Anfang. Eine Flotte von Robotertaxis braucht nicht mehr Hunderte von Versicherungsfilialen, da eine zentrale Versicherung für Hunderttausende von Autos reicht.

Weniger Unfälle bedeuten auch weniger Arbeit in Spitälern und Rehabilitationszentren. Fahrlehrerinnen, Autohändler und Plattformen wie Autoscout verlieren ebenfalls an Bedeutung, da niemand mehr ein eigenes Auto kauft.

Aber es geht noch weiter: Wenn Robotertaxis die Strassen erobern, werden auch städtische Parkhäuser überflüssig. Werden die Taxis nicht gebraucht, fahren sie einfach aus der Stadt und parken irgendwo abseits. Damit verschwinden auch die lästigen Parkbussen, und der Verkehr, von dem heute zu Spitzenzeiten bis zu einem Drittel auf die Parkplatzsuche entfällt, könnte deutlich reduziert werden. Ohne Bedarf an Parkplätzen und mit autonom organisiertem Verkehr könnten Städte komplett neu gedacht werden.

«Wenn Robotertaxis die Strassen erobern, werden auch städtische
Parkhäuser überflüssig.»

Für Robotertaxis gilt, was auch für Netflix gilt: Je günstiger das Angebot, desto stärker wird es genutzt. Es ist heute schwer abzuschätzen, wie sich das alles auswirkt, aber ich wage schon jetzt zu sagen, dass die wirtschaftlichen Folgen drastisch sein werden – Millionen von Berufen, die heute fest verankert scheinen, werden in Zukunft schlicht nicht mehr gebraucht.

Produktivitätssprung mit radikalen Folgen

Der Produktivitätssprung durch KI und Robotik könnte sogar die industrielle Revolution in den Schatten stellen. Früher wuchs die Menschheit, heute gibt es in den wichtigsten Industrieländern immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter, und die Geburtenrate sinkt – ausser in Afrika – kontinuierlich. Da kommt dieser Produktionssprung gerade recht, denn mit den neuen Möglichkeiten könnten wir bald alles produzieren, damit jeder auf der Welt das hat, was wir in der Schweiz haben – zu einem Bruchteil der Kosten. Die entscheidende Frage, vor der wir stehen, ist: Wie wollen wir diese Produktivitätsgewinne verteilen und was benötigen wir tatsächlich?

«Mit den neuen Möglichkeiten könnten wir bald alles produzieren, damit jeder auf der Welt das hat, was wir in der Schweiz haben – zu einem Bruchteil der Kosten.»

Zu Beginn meiner Selbstständigkeit hatte ich eine Videothek. In der Science-Fiction-Ecke würde ich Ihnen heute zwei Zukunftsfilme zur Auswahl stellen, die beispielhaft für unterschiedliche Visionen von Fortschritt und Gesellschaft stehen.

Wenn wir den neuen Möglichkeiten von KI und Robotik mit einer «Me first»-Mentalität begegnen – also aus Eigennutz und Konkurrenzdenken –, könnte unsere Zukunft aussehen wie die Welt von «Star Wars»: eine Welt, in der mächtige Imperien Technologie nutzen, um sich Einfluss zu sichern und andere zu beherrschen. Dabei gilt das Recht des Stärkeren und der Einzelne bleibt oft auf der Strecke.

Wenn wir jedoch eine humanistische Haltung einnehmen, die den technologischen Wandel als Chance begreift und die internationale Zusammenarbeit für eine bessere Welt fördert, dann ist das Zeitalter des «Raumschiffs Enterprise» vielleicht näher, als wir denken – eine Welt, in der notwendige Arbeit durch selbst gewählte Abenteuer ersetzt wird.

Meine Wahl steht fest. Welche Zukunft wählen Sie?

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