Staat & Kirche
Warum Glaube in der Schweiz (zu selten) Privatsache ist.
502 Jahre nach Einleitung des Reformationsprozesses ist die Entflechtung von Kirche und Staat noch immer nicht abgeschlossen. Viele sich säkular gebende Staaten, auch die Schweiz, betreiben bis heute eine sehr aktive Religionspolitik, obwohl der Glaube – aus liberal-aufgeklärter Sicht völlig zu Recht – mehr und mehr zur Privatsache wird. Jedes Jahr bezeichnen sich mehr Bürgerinnen und Bürger als «konfessionslos» oder atheistisch, und egal ob man sich in Kirchen, Moscheen, Synagogen oder Tempeln umschaut – oft herrscht gähnende Leere. Man kann das tragisch, dekadent oder begrüssenswert finden, neue Entflechtungsversuche von Staat und Glaubensgemeinschaften, die dieser Entwicklung Rechnung tragen, sind Mangelware. Im Gegenteil: Indem die Politik die einen Religionsgemeinschaften «staatlich anerkennt», ihren Gläubigen (nicht selten auch ihren Göttern und Gesetzen) also Sonderrechte zugesteht, mitunter gar Steuergelder für sie eintreibt, sorgt sie für einen regelrechten An- und Aberkennungswettkampf unter den Kulturen.
Da stellt sich die grundlegende Frage: Inwiefern ist eine staatliche Anerkennungs- und Bevorteilungspraxis von Kirchen und Religionen eigentlich kompatibel mit dem Streben nach freien Gesellschaften? Wäre es aus ordnungspolitisch-humanistischer Sicht nicht sinnvoller, keine Religionen anzuerkennen und zu bevorteilen? Was sagt eigentlich die Heilige Schrift dazu?
Den Auftakt unseres aktuellen Dossiers macht der Politologe Carsten Frerk mit einer wachrüttelnden Datensammlung, die einen grossen Bogen schlägt vom Jahr 378 nach Christus bis heute. Deutlich wird: Die «unheilige Allianz» aus Staat und Kirchen ist eine Symbiose des guten Geschäfts – meist allerdings nicht für die Bürger. Der Journalist Antonio Fumagalli wirft dann einen Blick auf die beiden Schweizer Kantone, in denen Staat und Kirche seit langem tatsächlich getrennt sind. Geht es den Christen dort schlechter? Der Ex-Katholik Milosz Matuschek, der Evangelikale Michael Kotsch, der Reformierte Stefan Grotefeld und die Muslimin Elham Manea werfen dann je eigene, z.T. sehr überraschende Blicke auf die staatliche Anerkennungspraxis, ihre Vor- und Nachteile. Den Abschluss macht dann der Pfarrer des Zürcher Grossmünsters, Christoph Sigrist, der sich, seine Gemeinde und Sie eindringlich fragt: «Warum geht man (nicht mehr) in die Kirche?»
Wir wünschen gute Lektüre!
Die Redaktion
Für die Unterstützung dieses Dossiers danken wir der Vontobel-Stiftung. Redaktionell verantwortlich ist der «Schweizer Monat».