Splitter aus der Redaktion
Schwarze Materie Naturalisten glauben nicht ans Ich, möchten es aber gerne und nehmen deshalb grosse Anstrengungen auf sich, um alles, was das spontane, rationale und schmerzende Selbst umfasst, auf den Begriff zu bringen. So viel zumindest glaube ich verstanden zu haben, nachdem ich kürzlich auf verworrenen Wegen in der Lesung eines britisch-texanischen Gastreferenten an der […]
Schwarze Materie
Naturalisten glauben nicht ans Ich, möchten es aber gerne
und nehmen deshalb grosse Anstrengungen auf sich, um alles, was das spontane, rationale und schmerzende Selbst umfasst, auf den Begriff zu bringen. So viel zumindest glaube ich verstanden zu haben, nachdem ich kürzlich auf verworrenen
Wegen in der Lesung eines britisch-texanischen Gastreferenten an der Uni Zürich gelandet war. Im Nebensatz erwähnte derselbe «the negative experiments from that guys in Leipzig». Am Ende der Tagung darauf angesprochen, vermochte sich
der Professor nicht mehr an solche Verweise zu erinnern.
Ob die Selbstvergessenheit dem dargebotenen Wein anzulasten war, diese ominösen Männer im Osten Deutschlands nun schlechte Experimente oder solche ins Undenkbare hinein tätigen, auch dies wäre noch zu begreifen. (SJ)
Redaktorenflüsterer
Pausen dienen dazu, die geistige Beweglichkeit anzuregen. Dies gilt zumindest im Redaktionsbunker des «Monats». Zu den Lieblingsaktivitäten während dieser Pausen gehört das Versenden von skurrilen Videos. Aus Nostalgiegründen greifen wir dabei immer wieder auf die Performances von zwei deutschen Künstlern zurück: die Wutaus-brüche des Schauspielers Klaus Kinski und die
poetischen Lieder von H.P. Baxxter. Beide bedienen auf unterschiedliche Art die Kraft der Sprache und beflügeln das redaktionelle Schaffen nach Ende der Pausen. (FR)
Schöner hungern
Manchmal habe ich die Ehre, für die NZZ ein Buch zu be-sprechen. Anders als viel anderes meine ich das kein bisschen ironisch: Seit ich das schöne Lesen liebe, lebe ich mit dem Feuilleton der Falkenstrasse. Nichts anderes als zynisch aber ist es, wenn der NZZ-CEO die Ehre zum Lohnbestandteil erhebt und dadurch das mickrige Häufchen an Scheinen und Münzen rechtfertigt, das das Blatt für seine freien Mitarbeiter aufwirft. Schliesslich, meinte er jüngst, steigere ein Auftritt in der NZZ ja den Marktwert der Schreibenden. Der freilich müsste zum Jahresende hin ins Unendliche streben, um die Zahl auf dem Konto zu kompensieren: Nach Veröffentlichung eines ganzseitigen Beitrags schulde ich der NZZ laut Novemberabrechnung 10 Rappen – da mich meine paar diesjährigen Artikel nicht nur Zeit, sondern nun auch noch Sozialleistungen kosten. Von der Ehre allein leben leider selbst die grössten Idealisten nicht. (CM)
Jahr 5
Vor fast 5 Jahren wanderte ich in diesen liberalen Kleinstaat aus, nein: ein. Freunde und Familie kamen zu Besuch und
waren angetan: «Schön» sei es in Zürich – und «angenehm». Ich fügte stets an: «Und so angenehm liberal!» Tempi passati: Alle paar Monate muss ich denselben Personen erklären, wie nun diese und jene Initiative wieder zustande gekommen, ja sogar angenommen worden und überhaupt, ob ich hier noch erwünscht sei. Ich muss ihnen zähneknirschend sagen, dass die Schweiz nicht so liberal ist, wie sie von fern stets schien, und sich an der Urne immer öfter als etatistisch-nationalkonservatives Biotop erweist, das bloss von der Fitness ihres überschaubaren Staatsapparates und der schmalen Taille ihrer Verfassung zehrt. Mit jeder Abstimmung nimmt erstere ab
und letztere zu – ein ernsthaftes liberales Fitnessprogramm ist leider nicht in Sicht. (MW)
Mutti, ein Autor in der Stube!
Kürzlich fand ich mich in Basel wieder, an der Klybeckstrasse 26. Dort stellten ein paar Leute dem tschechischen Schriftsteller Jaroslav Rudiš ihre WG-Stube für einen Abend zur Verfügung, um aus seinem neusten Roman «Vom Ende des Punk in Helsinki» zu lesen – begleitet von Wein und Gesang. Die WG war an jenem Abend voller als das Literaturhaus an seinen besten Tagen. Auch junge Leute
besuchen nämlich Lesungen – jedenfalls, wenn sie so viel Spass machen. (FO)
Kulturkritik
Wenn die Redaktion es einmal schafft, zusammen Mittag zu essen, reden wir gerne über Gott und die Welt – allerdings grossmehrheitlich lieber über die Welt als über Gott. Ich stelle verwundert fest, dass ich immer öfter ausschere. Theologie beginnt mich zu interessieren. Meine Kollegen schauen mich jeweils nur mitleidig an, wenn ich das Gespräch auf Bibelstellen zu lenken versuche. Von Gott her zu denken, ohne doch Gott zu kennen – ist das vielleicht bloss eine reizvolle intellektuelle Spielerei? Hat die neue Neugierde mit dem Vatersein zu tun? Oder sind das erste Anzeichen einer sich anbahnenden Midlifecrisis? Unser Korrektor jedenfalls ist erbarmungslos und hat mir jüngst geschrieben: «Emanzipation ist ein starker Antrieb der Constitution humaine, und die ist im gottfreien Buddhismus besser zu entwickeln, zu pflegen als im Milieu der chronischen Söhne ‹Gottes›.» (RS)
«Das deutsch-österreichische Eszett ist so überflüssig und unnütz wie im Spanischen die umgekehrten Frage- und Ausrufezeichen am Anfang von Frage- oder Ausrufesätzen. Im Kopf des modernen Menschen muss vieles Platz finden; umso mehr sollte dabei Nonsens ausgemistet werden…»
Zitiert aus einer E-Mail unseres hochgeschätzten
Korrektors Roger Gaston Sutter an die Redaktion.
Jahresbilanz
2014 war ein intensives Jahr – und ein erfolgreiches. Wir waren viel unterwegs. Wir haben spannende Personen getroffen.
Wir haben zahlreiche Debatten angestossen. Und wir haben eine Menge produziert. Was also bleibt? 20 Ausgaben: 10mal «Schweizer Monat», 5mal «Literarischer Monat», 5 Sonder-publikationen zu ausgesuchten Themen. 52 Wochen : 20 = 2,6. Eine Ausgabe praktisch alle zweieinhalb Wochen. Das ist Rekord. Und ein Höllenritt. Darum Dank an das ganze Krampfer-Team in Redaktion und Verlag! Meine persönlichen Highlights? Die Georgien-Reise, die Gespräche mit Peter Sloterdijk, der Austausch mit den Lesern. Was waren Ihre Highlights? Wovon braucht der «Monat» mehr? Und wovon weniger?
E-Mail bitte an: rene.scheu@schweizermonat.ch (RS)