Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Spekulation statt Sicherheitsanker
Ivan Adamovich, fotografiert von Selina Seiler.

Spekulation statt Sicherheitsanker

Bitcoin als Weltwährung wird aller Voraussicht nach ein Traum bleiben. Die Erwartungen seiner Apostel sind vermessen.

«Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System» – unter diesem unscheinbaren Titel begann 2008 die Geschichte digitaler Vermögenswerte mit einem Whitepaper, geschrieben unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto.

In der Folge sind unzählige Arten von digitalen, privaten Währungen entstanden, Coins oder Tokens genannt. Im Gegensatz zu Tokens sollen Coins die Funktion von Geld erfüllen und als Tauschmittel für ein breiteres Publikum fungieren. Dominiert wird der Markt von Bitcoin mit einer Kapitalisierung von rund einer Billion US-Dollar (per Anfang August 2024). Insgesamt gibt es über 10 000 verschiedene Kryptowährungen mit ­einer Marktkapitalisierung von rund 1,8 Billionen Dollar. Das ist bemerkenswert, aber weniger als 2 Prozent des globalen Aktien­markts. Auch im Vergleich zu traditionellen Währungen, Obligationen oder Immobilien ist das Volumen immer noch verschwindend gering.

Rund um die Kryptowährungen hat sich ein Universum von mehr oder weniger glühenden Anhängern einer als unausweichlich propagierten «Geldrevolution» gebildet, die mit einer eigenen Sprache, Konferenzen und Forschungseinrichtungen Werbung für ihre Sache machen. Immer wieder trifft man an Veranstaltungen auf Leute, die mit beinahe religiösem Eifer die seligmachenden Eigenschaften insbesondere von Bitcoin predigen.

Gleichzeitig wird das ursprünglich als Gegenentwurf zum herkömmlichen Finanzsystem entwickelte Peer-to-Peer-Cash-System über eine Blockchain inzwischen (vielfach ohne Nutzung derselben) innerhalb des Bankensystems abgewickelt und vom Finanzsektor vereinnahmt, sei es über ETF, strukturierte Produkte, aktive Anlagefonds oder andere Derivate auf die digitalen Basiswerte.

Gutes Geld fällt nicht vom Himmel

Doch ist Bitcoin gutes Geld? Zunächst ist festzuhalten, dass die Qualität von Geld daran gemessen wird, ob es als Recheneinheit zur Bewertung von Gütern taugt und ob es allgemein als Tauschmittel akzeptiert wird. Hinzu kommt als zentrales Kriterium die Frage, ob das Geld wertbeständig ist: also ob man später Güter im gleichen Umfang für dieselbe Summe an Geldeinheiten kaufen kann.

Gutes Geld erkennt man insbesondere an dauerhaft niedrigen Inflationsraten und positiven Realzinsen, stabilen oder steigenden Wechselkursen, allgemein geringen Wertschwankungen, internationaler Akzeptanz, einer globalen Nutzung für Reserven und Anlagen, einem hohen Schutz der Privatsphäre, einer geringen Manipulierbarkeit durch staatliche oder private Interessen und nicht zuletzt an einem möglichst geringen Gegenparteirisiko.

Die dominante Form von Geld ist seit langem die gesetzlich festgelegte Währung von Staaten, in der Schweiz seit 1850 der Franken. Entscheidend: Geld ist letztlich dann gut, wenn es sich im Wettbewerb gegen Alternativen durchsetzt. Im internationalen Vergleich schneidet der Franken bei praktisch allen Kriterien seit Jahrzehnten hervorragend ab. Unsere Währung hat seit dem Ersten Weltkrieg gegenüber allen anderen deutlich zugelegt, die Inflationsrate gehört seit Jahrzehnten zu den niedrigsten der Welt.

Sicheres und wertstabiles Geld fällt nicht vom Himmel und ist nur begrenzt planbar. Einflussfaktoren sind die Grösse der Volkswirtschaft, ihre Wachstums- und Innovationskraft, die Diversifikation an Sektoren und Branchen, die Solidität der Staatsfinanzen, aber auch die Leistungsfähigkeit des Finanzsektors und die freie Handelbarkeit der Währung. Von entscheidender Bedeutung ist im traditionellen Geldsystem insbesondere auch die Unabhängigkeit der Zentralbank, damit der Politik der Zugriff auf die Notenpresse verwehrt bleibt.

Der Traum einer privaten Weltwährung

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Aufweichung der Zentralbankunabhängigkeit in vielen Industriestaaten und der im Zuge der Covid-19-Massnahmen nochmals stark gestiegenen Staatsschulden ist die Furcht vor der Ausweitung der Geldmenge mit entsprechenden Konsequenzen für die Inflation natürlich nachvollziehbar und sicher auch eine der Ursachen für den Zuspruch für Bitcoin & Co.

Die Manipulation des Geldes durch den Staat ist jahrtausendealt, ebenso wie der weitverbreitete und wohl leider unverwüstliche Irrglaube an staatliches Handeln als beste Lösung für alle Probleme. Und gutes Geld ist historisch und geografisch eine Ausnahme, die Geschichte eine Abfolge von Erfahrungen mit schlechtem Geld. Vor diesem Hintergrund ist die Hoffnung auf eine digitale Geldrevolution hin zu einer nicht inflationierbaren und der Kontrolle des Staates entzogenen Währung ohne Gegenparteirisiko nachvollziehbar.

«Gutes Geld ist ­historisch und ­geografisch eine ­Ausnahme, die ­Geschichte eine ­Abfolge von ­Erfahrungen mit schlechtem Geld.»

Bei aller Sympathie für das Ideal sollte man aber die gewaltigen politischen und ökonomischen Interessen nicht unterschätzen, die ein wie auch immer geartetes Geldsystem stützen, das im Zweifel politisch beeinflusst werden kann. Wirklich erfolgreiche Coins lösen rasch harsche politische Gegenmassnahmen aus – besonders deutlich wurde das beim Projekt Libra (später Diem) von Facebook, Visa, Mastercard und anderen, sicher eine der interessantesten Cash-Ideen der letzten Jahre.

Bitcoin & Co. erfüllen die meisten Eigenschaften für gutes Geld nicht. Am klarsten zeigt sich das bei der Wertbeständigkeit: Noch ist ihre Geschichte zu kurz, die Preisschwankungen zu hoch. Als sicherer Hafen dienten sie auch dann nicht, als die traditionellen Währungen (mit Ausnahme des Schweizer Frankens) im turbulenten Jahr 2022 hohe Inflationsraten verzeichneten. Bislang haben sich die Kryptocoins somit eher als Indikator für Spekulation denn als Sicherheitsanker hervorgetan. Wer Bitcoin besass, musste damit rechnen, dass sich der Wert alle zwei bis drei Jahre entweder (mindestens) verdoppelte oder (mindestens) halbierte – Stabilität sieht anders aus. Bitcoin als Weltwährung wird aller Voraussicht nach ein Traum bleiben.

Weniger starke Schwankungen erhofft man sich bei sogenannten Stablecoins, die auf bestehenden Währungen oder auch Rohstoffen basieren. Diese sind jedoch nichts anderes als auf der Blockchain gehandelte Derivate. Ihr Wert hängt davon ab, ob der Basiswert die Kriterien für gutes Geld erfüllt. Die mit einer Kapitalisierung von etwas über 110 Milliarden US-Dollar drittgrösste Kryptowährung, Tether, ist ein solcher Stablecoin, 1:1 auf dem US-Dollar basierend. Allerdings musste Tether vor einigen Jahren eine Strafe zahlen, weil behauptete US-Dollar-Reserven gar nicht vorhanden waren. Bloss weil etwas auf der Blockchain gehandelt wird, ist es noch lange nicht stabil und vertrauenswürdig.

Keine realistische Alternative

Die Welt der Kryptocoins ist enorm dynamisch und innovativ. Das produziert Gewinner und Verlierer, auch wenn man von Letzteren meist nicht viel hört. Und immer wieder gibt es spannende neue Projekte, wie etwa der 2019 ins Leben gerufene Worldcoin, bei dem die theoretischen Grenzen der Inflationierbarkeit in der Anzahl Augen auf der Welt liegen – pro menschlicher Iris ein Worldcoin.

Aber bei aller Sympathie für die neue Welt: Kryptowährungen sind bis auf Weiteres kein gutes Geld. Zumindest so lange nicht, wie eine genügende Anzahl herkömmlicher Währungen nicht versagen. Insbesondere sind Bitcoin & Co. bis auf Weiteres keine realistischen Alternativen zum Schweizer Franken oder – bei aller berechtigten Kritik – auch zum Euro oder Dollar. In Ländern wie Venezuela oder Zimbabwe mag das anders sein. Doch vorläufig sind Investitionen in Bitcoin eine Wette auf eine durch einen Computer generierte künstliche Knappheit und ­darauf, dass die Verschlüsselung der Private Keys nicht von ­zunehmenden Rechenkapazitäten und einem allfälligen Innovationssprung durch Quantencomputer geknackt wird.

Leicht transportierbar und ohne Gegenparteirisiko ist Bitcoin nicht zuletzt eine Spekulation auf den Zusammenbruch des bestehenden Finanzsystems. Hierbei gibt es einige Parallelen zum physischen Gold, wie sie Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto 2009 anklingen liess. Es ist denkbar, dass einige wenige Kryptocoins mit der Etablierung im Mainstream den Weg in die Portfolios von Privatanlegern finden, wie dies bereits bei einigen institutionellen Investoren und Family Offices der Fall ist. Dort haben sie allenfalls auch einen guten Platz: als alternative Anlagen mit hoher Volatilität, nicht aber als sicheres Cash.

Auf die Frage, ob es sich lohne, Bitcoin in der Tasche zu haben, antwortete Satoshi Nakamoto 2009: «Es könnte sinnvoll sein, ein paar [Bitcoin] zu haben, nur für den Fall, dass er sich durchsetzt.» Diese Nüchternheit würde man so manchem Apostel der vermeintlichen «Geldrevolution» heute wünschen.

»
Demonstration gegen die Corona-Massnahmen der deutschen Regierung im August 2020 in Berlin. Sie wurde organisiert von der von Michael Ballweg gegründeten Bewegung «Querdenken-711». Bild: Keystone/sulupress.de.
Plötzlich ohne Bankkonto

Ich organisierte Proteste gegen die Covidmassnahmen – dann verlor ich den Zugriff auf mein Vermögen und damit meine Firma. Jetzt bleiben mir nur noch Bitcoin und Bargeld.

Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!