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Sozialdemokrat, sei still!

Generation Y?

Ich bin zu alt für die Generation Y. Doch schon 1993, als ich die Gymnasialreife erlangte, stellte ich Merkwürdiges fest. Ein Schüler der Parallelklasse meldete sich nach dem Gymnasium sogleich arbeitslos, um sich mit den eingestrichenen Hilfsgeldern eine schöne Überseereise zu finanzieren; andere gingen erst mal reisen, um sich nach den anstrengenden Jahren (!) was zu gönnen. Der Verwöhnungsgrad war (und ist) in jedem erdenklichen Sinne hoch, alles nice to have, nichts Verpflichtung, um von Pflicht gar nicht erst zu reden. Ich bin in einer Zeit des totalen Überflusses aufgewachsen, wenn mir meine Eltern auch ein gerüttelt Mass an Pflicht- und Verzichtsethik antrainierten: 1) das Leben ist ein Geben und ein Nehmen; 2) spare (was auch immer), um es gut zu investieren, dann hast
du am Ende mehr davon.

Ich habe die Lektion gelernt, und doch muss ich sagen: Wer in einer solchen gesamtgesellschaftlichen Verwöhnungskultur gross geworden ist, kann ihr wohl nie ganz entrinnen – und wird dadurch sehr verletzlich. Er glaubt insgeheim, Geschichte, also Veränderung, also radikaler Einschnitt finde, wenn überhaupt, stets woanders statt. Er orientiert sich an der Gegenwart, und Zukunft ist nichts anderes als verlängerte Gegenwart. Er glaubt, das wirtschaftliche Leben verlaufe linear: Was man hat, das hat man, und stets kommt noch ein Sahnehäubchen dazu. Er glaubt, dass ein anonymer Dritter in extremis einspringt und ihn beschützt. Er glaubt, dass sich alles versichern lässt. Kurz und gut, in jedem von uns schlummert ein moderner Sozialdemokrat. Ich habe mit dem Sozialdemokraten in mir tagtäglich gerungen
(und tue es bis heute), um ihn wenigstens zeitweise zum Schweigen zu bringen. Denn ihm fehlt es nicht nur an Phantasie und Mut, er ist auch ziemlich geschwätzig und einlullend. Sein meistgehasstes Wort ist «Stress». Dabei ist es nicht zuletzt ein Restquantum an existenziellem Stress, das meinen Körper und Geist wach hält – der Mensch ist nichts anderes als ein hochkomplexer Stressverarbeitungsorganismus. In unseren sozialstaatlich fundierten Verwöhnungskulturen kann sich jeder den Luxus leisten, freiwillig den Stress zu suchen – stets wirkt eine Asymmetrie zu seinen Gunsten: mehr Upside-Chancen als Downside-Risiken, mithin die Gewissheit, niemals alles verlieren zu können. Wenn der sich stressende Mensch Glück hat, ist er dann sogar für den Ernstfall gewappnet, der gar nie eintritt. Aber vor allem hat er begriffen (wie ich nun begriffen zu haben glaube): Das nur bequeme Leben ist das unerfüllte Leben. Wage was! Probiere was! Bis der Sozialdemokrat in ihm wieder das Wort ergreift…

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