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Soft Power

Warum China keine Kavallerie braucht, um die Welt zu erobern.

Man lege für einen Tag alles weg, was «made in China» ist – das wird ein schwieriger Tag. Das fängt schon beim Zähneputzen an: Auch wenn Philips draufsteht, kommt die elektrische Zahnbürste aus China. Beim Ankleiden beginnen die grossen Probleme. Die Jeans, die Bluse, selbst das teure Designerkleid kommen aus China – vielleicht findet sich eine aus Bangladesch stammende Alternative. Aber gehört nicht ein wesentlicher Teil der Textilunternehmen in diesem Land chinesischen Investoren? Selbst bei «made in Italy» ist Skepsis angesagt, haben Chinesen doch die toskanische Textilhochburg Prato längst erobert. Der Frühstückstee fällt dahin, auch der Wasserkocher mit dem gefälligen Retrodesign ist kein Amerikaner, das Smartphone nicht, der Laptop erst recht nicht. Auch die lieben Kleinen werden auf die meisten ihrer Spielzeuge verzichten müssen. Sogar der Regenschirm müsste zu Hause bleiben: selbst wenn er für gutes Geld im Kunsthaus Zürich erworben wurde, ist er «made in China».

Sagen wir es offen: ohne China wäre unser mobiler Besitz jämmerlich. Wir wären ziemlich nackt, bei Regen auch nass – und unsere Kommunikation und damit unser Wirtschaftsleben kämen zum Erliegen. Niemand in der Wohlstandsgesellschaft kann sich der Werkstätte der Welt entziehen, nicht einmal jene, die sich im Nationalratssaal medienwirksam für die Menschenrechte der chinesischen Arbeiter ins Zeug legen. Wer aber in abendländischer Überheblichkeit geglaubt hatte, China würde sich mit diesem dienenden Status als Fabrik der Welt zufriedengeben, hat sich getäuscht: China will mehr, kann mehr und macht mehr. Die Zeiten der Demütigung sind vorbei, ein neuer, hart erarbeiteter Nationalstolz ist erwacht und findet im verunsicherten Westen nur einen schwachen Gegenspieler. China ist reich, leistungswillig und industriepolitisch in der Offensive. 30 Milliarden Euro hat China im Jahr 2017 allein in der EU investiert.

Soft Power von den Filmen bis zu den Flugplänen

Auch Hollywood ist ohne chinesisches Geld nicht mehr denkbar, und hier spürt sie manche Produktionsfirma schon ganz deutlich, die neue chinesische Soft Power: wer zahlt, der befiehlt. Schauplätze werden nach China verlagert («Karate Kid»), Tibeter durch Keltinnen ersetzt («Dr. Strange») oder böse Chinesen von berühmten Nichtchinesen verkörpert («Iron Man 3»). Da China – der nunmehr grösste Kinomarkt weltweit – jedes Jahr nur eine zweistellige Anzahl ausländische Filme in seine Kinos lässt, möchte man es sich mit dem Zensor nicht verscherzen und übt sich in Selbstzensur. Das hinterlässt Spuren im gängigen Chinabild: Jeder dieser Filme ist auch ein bisschen Propaganda. So kommt China ganz ohne eigenen Energieeinsatz Schritt für Schritt zum Ziel.

Chinas Soft Power wirkt auch jenseits des Kinos wahre Wunder. So haben Ende Juli auch die letzten Störrischen, nämlich Delta Air, United Airlines und American Airways, das vollzogen, was andere Mitbewerber – darunter Air India, Air Canada oder Qantas – schon hinter sich gebracht hatten: Sie verzeichnen auf Wunsch von Peking in ihren Flugplänen Taiwan nicht mehr als eigenständigen Staat. Auch die Hotelkette Marriott hat sich Peking gebeugt: «Taipei, Taiwan, China» heisst es jetzt, wenn man online ein Zimmer in Taiwans Hauptstadt bucht.

Eine Kleinigkeit, so könnte man meinen, ein paar Buchstaben mehr oder weniger – was soll’s? Die vermeintlichen Nichtigkeiten haben aber System: Taiwan soll marginalisiert und zugunsten eines alles Chinesische einenden Grosschinas als selbständiger Staat unsichtbar werden. Tatsächlich: so kann man ein Land erobern – indem man «die Namen richtigstellt». Die «korrekte Regelung der Begriffe» (zheng ming) steht nach Konfuzius am Anfang jeder politischen Ordnung. Das gleiche kommunistische China, das sich vom Westen jede Einmischung in innere Angelegenheiten verbittet, zwingt so der Weltgemeinschaft die eigene Sicht von China auf. Und die Weltgemeinschaft gehorcht nicht selten ohne Widerspruch. Sie verweigert damit – aller Rhetorik über Menschenrechte zum Trotz – Taiwan nicht nur die Anerkennung, die es als lebendigste Demokratie Asiens mehr als verdient hätte. Sie ignoriert auch die Befindlichkeit der Mehrheit der gut 20 Millionen Insulaner, die sich primär als Taiwaner und nicht als Chinesen verstehen. Nur noch 18 Staaten unterhalten gegenwärtig diplomatische Beziehungen zu Taiwan. Es werden immer weniger. Als letztes hat Burkina Faso im laufenden Jahr die Seiten gewechselt.

Die von Peking verfolgte Einchinapolitik ist letztlich ein Plan zur Monopolisierung. Es geht um nichts weniger als um die absolute Deutungshoheit Pekings über alles Chinesische. Es soll nur noch ein China geben, nämlich Pekings China mit seiner normierten Standardsprache: Mandarin. Dass die chinesische Welt alles andere als ein homogenes Gebilde ist, dass sie sich durch zahlreiche Regionalsprachen und ein vielfältiges Völkergemisch auszeichnet, dass die Geschichte des Reiches durch fremde Herrscher und wiederholten Zerfall in seine Einzelteile geprägt ist, ist für Peking dabei keine Herausforderung. Denn Chinas Vielfalt ist ausserhalb Asiens weitgehend unbekannt. Der Wissensstand zu China ist im Westen beschämend tief. Es ist daher eine der leichteren Übungen für die Parteizentrale in Peking, ein politisches Narrativ nach eigenen Vorstellungen zu kultivieren – und alle anderen zum Verschwinden zu bringen.

Konfuzius-Institute vermitteln politisches Chinawissen

Die Konfuzius-Institute, die Peking seit 2004 weltweit etabliert, sind dabei ein ebenso wirksames wie gefälliges Instrument. Sie sind Soft Power in Reinform: Die chinesischen Kulturagenturen, die sich gerne mit den Goethe-Instituten vergleichen, siedeln sich in Europa und Nordamerika mit Vorliebe an Universitäten an, auf dass ein Abglanz von Wissenschaftlichkeit auf sie falle. An den Konfuzius-Instituten wird zweifellos Chinawissen vermittelt, aber es ist ideologisiertes, von der Partei zertifiziertes Chinawissen. Die Sprachlehrer werden unter anderem nach politischen Kriterien rekrutiert, dürfen keiner in China verbotenen Organisation angehören und verbreiten das pekingtreue Bild des einen «richtigen» Chinas. Die drei sogenannten T-Themen, nämlich Tibet, Taiwan und Tiananmen (die blutige Niederschlagung der Studentenbewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989), sind tabu, ebenso die Menschenrechtsfrage. Mit westlichen Auffassungen von Wissenschaftlichkeit ist das nicht vereinbar.

«Niemand in der Wohlstands­gesellschaft kann sich der Werkstätte der Welt entziehen.»

Mit harmlosen Kochkursen, bunten Kulturabenden, Sprachkursen für Erwachsene und lustigen Programmen für die Kinder tragen die Institute Pekings heiles Chinabild in die Welt hinaus. Dies ist das freundliche Antlitz der Konfuzius-Institute. Ihr wahres Wesen wiederum offenbarte sich an anderer Stelle im Jahr 2014 ganz unverblümt an einem Kongress der European Association for Chinese Studies (EACS) in Portugal. Eine hohe Funktionärin des «Hanban», der obersten Pekinger Steuerstelle der Konfuzius-Institute, vergriff sich eigenhändig an den Tagungsunterlagen der Teilnehmer. Zu nächtlicher Stunde entfernte sie taiwanesische Inhalte aus den Unterlagen, riss aus sämtlichen Dossiers mit roher Gewalt unliebsame Seiten heraus und hinterliess eine komplett kon­sternierte Forschergemeinschaft. So etwas hatten sich selbst die chinaerprobtesten unter den Sinologen in den kühnsten Zensurträumen nicht vorstellen können. Ein Protestbrief des EACS-Präsidenten folgte zwar auf dem Fusse, doch der Vorfall zeigt, dass die gar nicht so sanfte Soft Power auch an der Sinologie arbeitet und sie zu vereinnahmen versucht. Pekings Umarmungen sind verführerisch, aber auch gefährlich. In diesem Fall steht nichts weniger als die akademische Freiheit auf dem Spiel.

Auch die Nachrichtendienste beurteilen die Konfuzius-Institute mit Skepsis. China sei generell ein undurchsichtiger Akteur, sagte der Chef des Schweizer Nachrichtendienstes, Markus Seiler, 2016 am Schweizer Radio. Auch Exponenten anderer Sicherheitsinstitute wie des FBI kommen zu solchen Einschätzungen. Einige Universitäten haben ihre Konfuzius-Institute mittlerweile wieder geschlossen; Chicago etwa oder Stockholm. Auch die amerikanische Association of Scholars warnt vor einer Zusammenarbeit mit den Instituten. Trotzdem sind Chinas Kulturagenturen vielerorts noch gerne gesehen. Sie entlasten die Universitäten vom aufwendigen Sprachunterricht und ergänzen das Bildungsangebot zu China. Doch der Preis dafür ist hoch: Wer Bildung herstellt und vermittelt, bestimmt auch ihre Inhalte.

Wer all dies sehenden Auges kritiklos entgegennimmt, darf sich später nicht über geistige Übernahmen beschweren. Fast alle Fremden, die China während seiner langen Geschichte überfielen, gingen letztlich in der überragenden kulturellen Strahlkraft Chinas auf. Erst mit der Ankunft der Europäer erlebte China seine halbkoloniale Unterwerfung. Im 21. Jahrhundert könnte sich der Spiess wieder drehen. Es ist daher höchste Zeit, eine adäquate Chinakompetenz zum notwendigen Allgemeingut zu erklären und entsprechende Bildungsanstrengungen einzuleiten. Denn nur ein bisschen Wissen ist eine gefährliche Sache.

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