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«So viele Alphornbläser wie heute hat es noch nie gegeben»

Heinz Tschiemer führt in Habkern im Berner Oberland den Bernatone-Alphornbau. Als einer der wenigen Hersteller des traditionsreichen Schweizer Musikinstruments kennt er neben dessen Geschichte auch die aktuellen Trends und Herausforderungen.

«So viele Alphornbläser wie heute hat es noch nie gegeben»
Heinz Tschiemer, fotografiert von Vojin Saša Vukadinović.

 

Herr Tschiemer, wer kauft sich ein Alphorn?

Das sind drei Gruppen von Leuten. Das Alphorn ist ein Musikinstrument, ein Statussymbol, ein Kulturgut – drei Komponenten, die sich abstossen und sich zugleich anziehen. Es gibt Leute, die das Alphorn als reines Musikinstrument sehen, auf dem sie einfach spielen. Andere verstehen das Musikmachen damit als etwas Traditionelles, mit dem sich das Brauchtum pflegen lässt und auf das sie stolz sind. Und wieder andere nutzen das Alphorn als etwas Therapeutisches, weil man damit Naturtöne spielt, die beruhigen, während zugleich der Einsatz der Lungen trainiert wird.

 

Wie kamen Sie zu diesem Instrument?

Ich bin hier in Habkern aufgewachsen, wo das Brauchtum sehr stark verankert ist. Wir wohnen nicht nur, sondern leben hier. Und das ist ein Unterschied, denn hier im Lombachtal gibt es keinen Durchgangsverkehr; hier bleibt alles, wie es ist. Das Brauchtum gehört zum Leben dazu, fast alle hiesigen Familien haben Kühe im Stall, und auf 600 Einwohner kommen 28 Vereine, darunter Trachtengruppen, Jodlerclubs sowie Fahnenschwinger. Der Betrieb Bernatone Alphorn, den wir führen, war vorher in Niederbipp, zwischen Bern und Zürich, angesiedelt. Wir kannten unseren Vorgänger, weil er bei uns in der Sägerei, die mein Vater führte, immer das Klangholz holen kam, das man zum Instrumentenbau braucht. Weil wir diesen Rohstoff hier im Tal haben, kam ich auf die Idee, auch die Wertschöpfung aus diesem Rohstoff gleich hier vorzunehmen. So kam ich 2012 zum Alphorn.

 

Was ist Ihr beruflicher Hintergrund?

Ich bin gelernter Landwirt, machte später betriebswirtschaftliche Weiterbildungen und war dann Produktmanager in Bern. Ich hatte dort einen guten Job in einem Büro, doch das hat mich nie befriedigt. Ich bin ein Naturmensch! Das verträgt sich schlecht mit einer Tätigkeit, die sich den ganzen Tag vor dem Bildschirm abspielt.

Bei einem Alphornbauer liegt zunächst die Vermutung nahe, dass es sich um einen Familienbetrieb handelt.

Ja, die allgemeine Vorstellung beim Alphornbau ist, dass diese Tätigkeit vom Vater zum Sohn weitergegeben wird. Das ist bei uns aber nicht der Fall, und einen anderen Alphornbetrieb in dieser Grösse gibt es auch nicht. Die übrigen Hersteller machen das als Hobby oder nebenbei, wenn sie pensioniert sind. Der Markt ist so klein, dass er mehrere grössere Player gar nicht zulässt. Ich habe einen einzigen Mitarbeiter. Meine Frau hilft mir, wenn sie Zeit hat; wir führen ja auch noch einen Landwirtschaftsbetrieb.

 

Wenn der Markt so klein ist, besteht dann nicht die Gefahr, dass das Interesse irgendwann so sehr abnimmt, dass die ­Produktion ganz verschwindet?

I wo, wenn ich das hier nicht mehr mache, macht’s ein anderer. Ich habe drei Söhne, vielleicht hat einer davon Interesse, vielleicht aber auch nicht. Das Alphorn wird es aber immer geben. Das schwindende Interesse am Traditionellen wird zwar gerne herbeigeredet, aber das ist nicht der Fall, im Gegenteil. So viele Alphornbläser wie heute hat es noch nie gegeben.

 

Können Sie sich das erklären?

Das Alphorn, wie wir es heute kennen, ist noch nicht so alt. Im 20. Jahrhundert hat es sich von einem Hirteninstrument zu einem Musikinstrument entwickelt, das sich auch dafür eignet, bei Wettbewerben gespielt zu werden.

Blick in die Werkstatt von Heinz Tschiemer, wo die Alphörner gefertigt werden. Fotografiert von Vojin Saša Vukadinovic´.

 

Wie kam es zu diesem Wandel?

Früher passten die Alphorn spielenden Alphirten, angestellte Tagelöhner, im Sommer auf die Kühe auf. Im Winter hielten sie sich als Bettelbläser in den Städten auf und hatten kaum genug Geld für Essen und Unterkunft. Im Unterland war das Alphornblasen dann eine Weile verboten. 1805, auf dem ersten Unspunnen-Fest, wurde das Instrument erstmalig prominent gewürdigt. Im 19. Jahrhundert begann dann der Fremdenverkehr in Interlaken, als mit wohlhabenden Russen und Engländern die ersten Touristen kamen. Weil man alsbald merkte, dass diese Touristen das Alphorn mögen, belebte man es kommerziell. Mit der Gründung des Jodlerverbandes 1910 wurden dann Feste veranstaltet, auf denen das Alphorn vor einer Jury gespielt wurde, die darüber entschied, ob man diese Kultur musikalisch wie optisch richtig pflegt.

«Im Winter hielten sich die Alphorn spielenden Alphirten als Bettelbläser
in den Städten auf und hatten kaum genug Geld für Essen und Unterkunft.»

 

Und damit ging die Kultivierung zu einem richtigen Musikinstrument einher?

Ja, das kam erst mit der Entwicklung der Technik und des Wissens über die Musik. Der erste, der wirklich gute Alphörner gebaut hat, war Adolf Oberli. Er lebte von 1897 bis 1944 und hat das Musikinstrument, wie wir es heute kennen, in seiner Werkstatt in der Nähe von Spiez erfunden.

 

Was für Alphorntypen gibt es?

Das Berner und das Innerschweizer Alphorn. Die Innerschweizer hatten zunächst den Büchel, eine Naturtrompete, als Naturtoninstrument und fingen erst in den 1950er- und 1960er-Jahren an, Alphörner zu bauen. Das Berner Alphorn, wie ich es herstelle, klingt etwas wärmer, so dass das Zusammenspiel der beiden Typen nicht ideal ist.

 

Wie lange bauen Sie an einem Alphorn?

Pro Alphorn rechne ich mit 50 bis 60 Stunden.

 

Wie treffen Sie die Holzauswahl?

Das ist ein etwas komplizierter Vorgang. Klanginstrumente – egal, ob Geige, Klavier oder Gitarre – bestehen immer aus Fichtenholz. Es schafft eine gewisse Resonanz, die andere Holzarten nicht haben, was durch die Struktur dieses Holzes bedingt ist. Fichtenholz ist sehr leicht, es muss aber möglichst langsam gewachsen sein – präferabel an einem Ort mit langem Winter und kurzem Sommer, denn das ist wichtig für die Obertöne. Dann sollte das Holz möglichst astfrei sein und kein Harz aufweisen.

 

Ist das schwierig?

Ja, man kann nicht irgendwo hingehen und sagen: «Ich suche genug Klangholz für 100 Alphörner.» Man muss es finden! Will man also ein Alphorn auf einem gewissen Niveau herstellen, kann es kein Massenprodukt sein, denn der Rohstoff dafür ist gar nicht vorhanden. Das macht es auch für den Hersteller sehr anspruchsvoll.

 

Wie kommen Sie zu Holz in dieser Qualität?

Mein Vater sucht das richtige Klangholz für mich.

Mit Rattan umwickelte Alphornteile, fotografiert von Vojin Saša Vukadinovic´.

 

Und die Kundschaft findet Sie von selbst?

Ja, denn ein Alphorn wird auf Bestellung hergestellt. Vom Bergbauern bis zum Bundesrat spielt alles Alphorn. In der Schweiz gibt es etwa 8000 Alphornspieler, und wenn man das auf das ganze Land verteilt, sind es gar nicht so viele. Viel Werbung müssen wir trotzdem nicht machen. Was ich von Kunden öfters höre, ist der Satz: «Ich wollte schon immer mal auf dem Alphorn spielen, weil mich das berührt.»

 

Was macht den Klang des Alphorns einzigartig?

Ein Alphorn produziert lange Töne, «Wohlklänge» genannt, die unser Gehirn gut verarbeiten kann. Früher spielte man Alphorn, um den Nutztieren in den Bergen zuzurufen – es macht sie neugierig und lockt sie an. Wenn man heute in Interlaken auf der Höhematte das Instrument spielt, dauert es keine 20 Sekunden, bis man von Touristen umringt ist. Menschen hören das einfach gern.

«Wenn man heute in Interlaken auf der Höhematte das Instrument spielt, dauert es keine 20 Sekunden, bis man von Touristen umringt ist.»

 

Sehen Sie Ähnlichkeiten zu anderen Instrumenten?

Ja, und zwar zum Waldhorn. Aber auch zur Posaune, denn wenn man diese ganz auszieht, hat sie dieselbe Tonart wie das Alphorn. Man zählt das Alphorn heute zur Instrumentengattung der Blechblasinstrumente, weil es die gleiche Spieltechnik hat.

 

Gibt es aktuelle Trends im Alphornbau?

Ja, Alphörner werden nicht mehr so oft umwickelt. Umwicklung ist aufwendig, und das Tropengewächs, das dafür verwendet wurde, ist Rattan, eine Schlingpflanze, die immer schwieriger zu bekommen ist. Ohne Umwicklung sehen die Instrumente sehr sexy aus, weil sie eine glatte Oberfläche haben – sie gehen damit aber auch viel schneller kaputt. Für uns als Hersteller wäre das eigentlich profitabel, weil man dann gleich das nächste Alphorn verkaufen könnte, das dann wiederum nicht so alt würde. Für mich ist es jedoch wichtig, dass die Hörner umwickelt sind, weil es sie langlebig und dauerhaft macht.

 

Auf der Oberfläche der Hörner sind häufig Bilder zu sehen. Um was für Motive handelt es sich hierbei?

Tatsächlich hat sich auch die Bemalung verändert. Es ist nicht mehr so sehr im Trend, Alphörner mit Bergblumen und Naturmotiven zu verzieren, was früher der Fall war. Heute ist eine eher natürliche Aufmachung gefragt.

 

Was ist Ihr Verständnis von Volksmusik?

Traditionelle Musik, die sich nicht so schnell verändert wie andere Stilrichtungen. Allerdings verändert sich auch die Alphornmusik stetig. Derzeit werden viele Alphornstücke geschrieben, die nicht mehr so traditionell sind – wir reden von schnellerer und rhythmischer Musik.

 

Was für Rückmeldungen haben Sie beispielsweise aus den Musikvereinen, in denen Alphorn gespielt wird?

Ich bin in keinem Verein, weil ich einfach keine Zeit habe, richtig zu üben. Bei Wettbewerben, die ich mir ansehe, laufen mir die von mir gebauten Alphörner immer wieder über den Weg.

 

Verläuft der Alphornbau immer gleich?

Ja, das muss auch so sein, damit die Instrumente auch gleich klingen. Das Schönste an dieser Sache ist deshalb der Kontakt mit anderen Menschen, das schafft Abwechslung. Hier hängt zum Beispiel ein Alphorn, das ich eines Morgens vor der Tür meiner Werkstatt abgelegt auffand. Keine Ahnung, wer das deponiert hat. Ich bin auf der Suche nach dem Besitzer, denn das Instrument kommt mir vor wie ein Findelkind in der Babyklappe. Vielleicht könnten Sie einen Aufruf im «Schweizer Monat» starten und fragen, wem es gehört? (lacht)

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