So gelingt der Wissenstransfer
Es ist eine der zentralen Aufgaben von Hochschulen, Wissen von älteren zu jüngeren Generationen weiterzugeben. Was können Wirtschaft und Gesellschaft davon lernen?
Eine Hochschule wie die ETH ist auf generationenübergreifenden Wissenstransfer und ständiges Dazulernen angelegt. Eine ihrer zentralen Aufgaben ist es, neues Wissen in Gesellschaft und Wirtschaft zu tragen – gleichsam aber auch Rückmeldungen und Hinweise aufzunehmen und zu verarbeiten. Mitarbeitende, egal ob in Forschung, Lehre oder Management, sind angehalten, die Wissensproduktion immer wieder zu beleben. Dazu tragen u.a. Sabbatical-Aufenthalte bei, die nicht nur Professorinnen und Professoren in Anspruch nehmen, sondern alle langjährigen und verdienten Mitarbeitenden beantragen können. Eine solche Auszeit, beispielsweise an einer anderen vergleichbaren Institution, öffnet den eigenen Horizont, und man kehrt mit frischen Ideen zurück an die ETH.
Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass das institutionelle Know-how und die definierenden Werte von abtretenden auf neue Mitarbeitende übertragen werden und so der Organisation erhalten bleiben. Angesichts der geburtenstarken Jahrgänge – der Babyboomer –, die in den nächsten 12 Jahren in Pension gehen, mag sich dieses Problem zwar akzentuieren, grundlegend neu für die ETH ist es nicht. Schauen wir genauer hin.
Fluktuation im Mittelbau
Die Mitarbeitenden der ETH Zürich sind vergleichsweise jung, im Schnitt nur 35 Jahre alt. Einen wesentlichen Anteil daran hat der akademische Mittelbau, also Assistierende und Oberassistierende, die im Schnitt zwischen 29 und 37 Jahre alt sind und rund 47 Prozent der ETH-Angestellten ausmachen. Innerhalb dieses Mittelbaus ist die Fluktuation gross: Doktorierende leisten während ihrer Zeit an der ETH wichtige Beiträge in Forschung und Lehre, die meisten von ihnen ziehen am Ende ihres Doktorats aber weiter, an andere akademische Institutionen oder in die Wirtschaft. Nicht selten bleibt der Draht zur ETH bestehen und wertvolle Hinweise aus der Praxis fliessen so zurück an die Hochschule.
Vertreter der Babyboomergeneration sind am ehesten in der Professorenschaft und bei den Mitarbeitenden in Verwaltung und Technik zu finden – also im weniger schnell rotierenden Teil der ETH-Belegschaft. Den entscheidenden Vorteil beim Bewältigen des anstehenden Generationenwechsels hat die Bildungsinstitution genau hier: Die Lehrenden geben ihr Wissen nicht nur an demographischen «Tipping Points» weiter, sondern täglich. Im Hörsaal, in ihren Publikationen, an Tagungen und Messen, in Diskussionsrunden, in der Kaffeepause. Jede gute Professorin und jeder gute Professor erhält auch Rufe an andere Universitäten, mal als Gast, mal längerfristig – Wechsel sind auch hier nichts Ungewöhnliches.
Mentoring stärken
Mentoring findet typischerweise an Hochschulen in der Interaktion zwischen Professorin, Oberassistenten und Doktorierenden statt. Diese finden in regelmässigen Laborseminaren ein Übungsfeld, um vor Kolleginnen und Kollegen über ihren aktuellen Forschungsstand zu berichten und so neues Wissen zu teilen. Verschiedene Förderinstrumente, die in den letzten Jahren entstanden sind, bauen auf Mentoringstrukturen auf; so etwa in den ieLabs der ETH, in denen Alumni, Industrieexperten und serielle Unternehmer junge Forschende auf dem Weg zur Firmengründung unterstützen. Mentoring scheint mir aber auch mit Blick auf die Babyboomerthematik ein vielversprechendes Konzept: Warum nicht motivierte und qualifizierte Berufsleute vor der Pensionierung (oder darüber hinaus) als Mentoren einsetzen – und dafür von Führungs- oder Managementaufgaben entlasten?
Die langfristig ausgerichtete Planung einer Hochschule hilft, einen potenziellen Abfluss von Wissen frühzeitig zu erkennen und Massnahmen einzuleiten, um dies zu verhindern. Zur Illustration ein Beispiel aus dem Departement Biologie der ETH: Eine besondere Konstellation will es, dass gleich mehrere Professoren in wenigen Jahren emeritiert werden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie über die letzten Jahre mit viel Engagement mit neuen Lehrformen experimentiert haben. Was tun, damit diese wertvollen Erfahrungen nicht verlorengehen? Im vorliegenden Fall entstand ein Lernzentrum, das das aufgebaute Wissen sichert und den nachfolgenden Dozierenden zur Weiterentwicklung zur Verfügung stellt.
Angst vor Veränderungen nehmen
Wissensmanagement wird sowohl ausserhalb wie innerhalb grosser Organisationen in den kommenden Jahren an Wichtigkeit gewinnen. Personalwesen und Management können Mitarbeitende dafür sensibilisieren, aber primär müssen die Fachverantwortlichen selbst sicherstellen, dass essenzielles Wissen in der Institution bleibt. Der demographische Wandel wird dabei überlagert von den grossen Veränderungen, die Digitalisierung und Automatisierung mittelfristig in der Arbeitswelt hervorrufen werden – und deren Auswirkungen wir heute nur erahnen können. Fakt ist: die Lebens- und Lernentwürfe der Babyboomer weichen bereits jetzt stark von denen ihrer Nachkommen ab. Wissens- und Qualifikationserwerb ist längst vom beruflichen Etappenziel zu einer Lebensaufgabe geworden, es gibt auch kein «Naturgesetz», das den Zeitpunkt der Pensionierung vorgibt oder die genaue Rolle im Arbeitsleben bis zu diesem Zeitpunkt bestimmt.
Weil sie inmitten des schnellen Wandels aufwachsen, sind die heute Jungen agiler als die Babyboomer, ihnen aber das kritisch-kreative Denken zu vermitteln, ist die Aufgabe der abtretenden Generation. Dabei erlebe ich die heutige Generation nicht weniger wissens- und lernbegierig als frühere. Wichtig ist, dass nicht Ängste vor Veränderungen die kommende Diskussion um den Abtritt der Babyboomer dominieren, sondern auch dieser Wandel als Chance wahrgenommen wird. Wenn alle Beteiligten sie partnerschaftlich angehen und nach kreativen Lösungen suchen, mache ich mir um den Wissenstransfer von Generation zu Generation auch in Zukunft keine Sorgen. Denn: Wissen hat die wohltuende Eigenschaft, sich zu vermehren, wenn man es teilt.