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Smartphones machen uns nicht dümmer, aber die Social-Media-Apps, von denen wir abhängig werden
Ein Mädchen mit einem Smartphone. Bild: Keystone/Christof Schürpf.

Smartphones machen uns nicht dümmer, aber die
Social-Media-Apps, von denen wir abhängig werden

Die Geschäftsmodelle von Tech-Firmen führen zu Kontrollverlust, Schlafmangel und psychischen Problemen. Um uns davon zu befreien, müssen wir bei der Jugend ansetzen.

«Das Problem ist nicht der Aufstieg von smarten Maschinen, sondern die Verdummung der Menschheit», erklärte die «Occupy Wall Street»-Aktivistin Astra Taylor. Hat sie recht? Können Smartphones uns dumm machen? Oder sind wir es bereits?

Ich denke, das Problem liegt nicht im Smartphone an sich. Man kann es klug benutzen, Fakten checken oder gut recherchierte Artikel lesen. Das Problem liegt vielmehr im Geschäftsmodell der sozialen Medien. Es erfordert, Menschen mit psychologischen Tricks so lange wie möglich auf der Plattform zu halten, damit sie möglichst viel Werbung sehen. Die Nutzer sind in diesem Fall nicht die Kunden ‒ ihre Aufmerksamkeit ist vielmehr die Ware. Je erfolgreicher diese psychologischen Tricks sind, desto mehr Zeit, Schlaf und Konzentration entzieht es den Menschen und desto weniger bleibt zum Nachdenken und zur Ausbildung von kognitiven Fähigkeiten. Gemäss Studien aus den USA checkt fast die Hälfte aller 13- bis 17-Jährigen ihr Smartphone alle fünf Minuten. Die meisten Erwachsenen checken mindestens alle 10 Minuten und gehen auch mit ihrem Smartphone ins Bett und auf die Toilette. Vielleicht geht es Ihnen genauso. Oder Ihren Kindern.

Sofortiger Dopaminschub

All das ist das Ergebnis einer erfolgreichen Konditionierung – das Checken alleine löst bereits einen Dopaminschuss aus. In der Psychologie nennt man diesen Vorgang Pawlow’sches Konditionieren, nach dem russischen Physiologen Iwan Pawlow, der in Versuchen mit Hunden zeigte, dass ein neutraler Reiz (ein Metronom) durch die Verbindung (Assoziation) mit einer Belohnung (Futter) zu einem konditionierten Reiz wird, der schliesslich alleine die Reaktion (Speicheln) auslöst. Bei konditionierten Menschen wird das Checken oder der Anblick des Smartphones bereits zum Auslöser von Dopamin, man braucht die Likes nicht dazu. Direkter sozialer Kontakt – reden, Augenkontakt halten, gemeinsam auf Partys gehen – wird mit dieser Konditionierung weitgehend ersetzt durch indirekten Kontakt über Posts, Likes und Sharing, denn Letzteres liefert Dopamin schneller, jederzeit und überall.

Was macht das mit unserem Gehirn? Die Konditionierung hat ihren grössten Effekt, solange sich die neuronale Struktur noch entwickelt. Eine Studie im «Journal of the American Medical Association» von 2023 kam zum Schluss, dass sich das Gehirn bei Jugendlichen mit gewohnheitsmässigem Checken (von Facebook, Instagram und Snapchat) nachweisbar verändert. Die Sensitivität für soziale Belohnung und Bestrafung wird deutlich über das normale Ausmass erhöht, was dann wiederum zu mehr Checken führt. Während bei den Jugendlichen, die nicht ständig soziale Medien checken, die Sensitivität mit dem Älterwerden wieder ganz normal zurückgeht, steigt diese bei den habituellen Checkern weiter an. Diese Langzeitfolgen können Menschen extrem abhängig von der Meinung anderer machen – Fremde und Bots eingeschlossen. Das hemmt die Motivation, sich eine eigene informierte Meinung zu bilden. Manche werden abhängig von Likes und Kommentaren, und das ist ihre Welt. Einige Eltern klagen, dass sie ihr Kind an diese virtuelle Welt verloren hätten.

Indirekte Wirkung

Die Ergebnisse von IQ-Tests werden von Jahr zu Jahr schlechter. Manche Forscher stellten deshalb die Hypothese in den Raum, dass das Smartphone uns schlicht verdumme. So kann es aber nicht sein, da dieser sogenannte umgekehrte Flynn-Effekt1 bereits für Kinder beobachtet wurde, die 1975 geboren wurden. Ich glaube nicht, dass es eine direkte Wirkung von Smartphonenutzung auf Intelligenz gibt, aber es gibt indirekte Wirkungen auf kognitive Fähigkeiten, insbesondere kritisches Denken und Urteilsvermögen. Ein erster Faktor ist der Schlafmangel, verursacht durch Abhängigkeit und Kontrollverlust. Andauernder Mangel an Schlaf ist der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten nicht förderlich und durch das Smartphone als unruhigen Bettgenossen verursacht. Zwischen dem Jahr 2012, als zum ersten Mal die Mehrheit der Jugendlichen in den USA ein Smartphone besassen, und 2021 ist der Anteil der Teenager, die in den meisten Nächten weniger als sieben Stunden schlafen, von etwa einem Drittel auf die Hälfte angestiegen.

Ein zweiter Faktor ist Zeitmangel. Die Stunden, die man mit ziellosem Scrollen und dem sofortigen Beantworten jeder Notifikation verbringt, lassen wenig Zeit zum Nachdenken. Drittens zeigen Studien eine zunehmende Verringerung der Aufmerksamkeitsspanne. Vielen fällt es immer schwerer, sich auf eine Sache länger als ein paar Minuten zu konzentrieren und genau und sorgfältig zu arbeiten. Die Kombination von habituellem Checken und mangelnder Fähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren, kann lebensgefährlich werden – nicht nur beim Autofahren. Kardiotechniker sind Personen, die Herz-Lungen-Maschinen während einer Operation am offenen Herzen bedienen. In einer Umfrage unter 439 Kardiotechnikern in den USA berichtete ein Drittel, sie hätten Kollegen beobachtet, die sich während einer Bypass-Operation durch ihr Handy ablenken liessen, was ein beträchtliches Sicherheitsrisiko für den Patienten darstellt.

Stetiger Leistungsabfall

Wie sieht es mit Schulleistungen aus? Die jüngste Pisa-Studie von 2022 zeigte, dass in Deutschland die 15-Jährigen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen schlechter abschnitten als je zuvor seit dem Beginn der Erhebung im Jahr 2000. Im Vergleich zur Pisa-Studie von 2018 entspricht der Rückgang einem ganzen verlorenen Schuljahr.

Zwischen dem Jahr 2000, in dem Deutschland durch den Pisa-Schock traumatisiert wurde, und 2012 sind die Leistungen kontinuierlich angestiegen, aber dann kam das plötzliche Ende. Seither sind die Leistungen kontinuierlich abgefallen. Also kann es nicht allein die Pandemie gewesen sein, und auch Migration erklärt den Leistungsabfall nur zum Teil. Andreas Schleicher, der «Pisa-Chef», sagte, dass der Leistungsabfall mit der Smartphonenutzung stärker zusammenhänge als mit den Folgen der Pandemie. Zu Schlafmangel und Konzentrationsverlust kommt hinzu, dass viele Schüler digitale Geräte während des Unterrichts zu anderen Zwecken benutzen, wie für Videospiele und soziale Medien. Im Jahr 2012 hatte erstmals die Mehrzahl der 15-Jährigen ein Smartphone, genauso wie in den USA. Die amerikanischen Psychologen Jean Twenge und Jonathan Haidt nehmen die Jahre 2010‒2014 als den Beginn einer massiven Veränderung des sozialen und emotionalen Lebens der «ängstlichen Generation» – die Generation Z, geboren nach 1995, die mit sozialen Medien aufgewachsen ist.

Retweets und Selfies verstärken Suchtgefahr

Bis etwa 2009 waren soziale Medien ein relativ angenehmer und ruhiger Ort, an dem man seine engen Freunde virtuell treffen konnte. Es gab nicht die heutige Toxizität und Abhängigkeit. Ein ruhiger Ort ist jedoch nicht im Interesse des Geschäftsmodells, das von Werbung lebt. Ein paar Techniken änderten das. Mit der Einführung der Likes und Retweets (Shares) 2009 wurde die Basis für eine zweite Art der Konditionierung geschaffen, das abhängig machende intermittierende Konditionieren. «Intermittierend» bedeutet unvorhersagbar, das heisst, man checkt ständig, weil man ja nicht weiss, wann ein Like oder Comment kommt. Der Psychologe B. F. Skinner hatte diese Verhaltensänderung in seinen Experimenten mit Ratten und Tauben demonstriert, die mit hoher Frequenz auf eine Taste drückten oder pickten, wenn die Belohnung nicht vorhersehbar war.

Mit der Einführung der invertierten Kamera im Jahr 2010 wurden dann Selfies einfach gemacht, und damit fanden sich viele plötzlich in einem ständigen Wettbewerb des sozialen Vergleichs. Die Einführung von Verschönerungs-Apps trug ihren Teil dazu bei. Viele Mädchen und Frauen, die in den Spiegel schauen, sehen ein Gesicht, das eben nicht dem entspricht, was auf Instagram zu sehen ist. Dieses Ensemble von Techniken hat das soziale Leben umdefiniert und ist einer der Gründe, warum heute mehr Menschen ängstlich, depressiv und einsam sind.

«Viele Mädchen und Frauen, die in den Spiegel schauen, sehen ein

Gesicht, das eben nicht dem entspricht, was auf Instagram zu sehen ist.»

Zwischen 2010 und 2020 stieg der Anteil der weiblichen Teenager, die unter Depression litten, in den USA von 12 auf 30 Prozent, der Anteil der Studierenden, die mit einer Angststörung diagnostiziert wurden, von 10 auf 25 Prozent und der Anteil von 10- bis 14-jährigen Mädchen, die in der Notaufnahme wegen Selbstverletzung eingeliefert wurden, von 0,1 auf 0,45 Prozent. Die ehemalige Facebook-Managerin Frances Haugen sagte vor einer Kommission des US-Senats aus, dass Facebook diesen Schaden an der Psyche junger Menschen bewusst in Kauf nehme, um damit Profit zu machen.

Was können wir tun? Um Kinder und Jugendliche vor der Flut von Fake-News, Hass, Mobbing und Pornos zu schützen, können einige einfache Regeln helfen:

  • Kein Handy in Schulen, einschliesslich Pausen und Schulhof
  • Soziale Medien ab 16 Jahren
  • Smartphones ab 13 Jahren

Jüngere Kinder können einfache Telefone erhalten (mit ein paar Apps, aber ohne Internet-Browser), mit denen sie mit Eltern und Freunden in Kontakt bleiben können. Dies sind einfache Regeln, welche Eltern, Schulen und Regierungen gemeinsam einführen können, und sie wären eine schnelle Lösung für viele Probleme. Von Meta und anderen Tech-Konzernen kann man dagegen keine Hilfe erwarten. Wie gesagt sind deren Kunden die Firmen, die für personalisierte Werbung bezahlen, nicht die Nutzer, die ja nichts bezahlen. Die Algorithmen im News Feed müssen daher so eingestellt werden, dass alles nach oben gespült wird, was menschliche Instinkte und Aufmerksamkeit auf sich zieht, von Lüge und Hass bis Online-Shaming. Und das funktioniert. Als Facebook einmal seine Algorithmen änderte und einfach die neuesten Nachrichten zuerst anzeigte, verbrachten die Nutzer deutlich weniger Zeit auf der Plattform. Das wäre gut für die psychische Gesundheit der Nutzer, nicht aber für das Geschäftsmodell «Zahle mit deinen Daten».

Privatheit ist kein Wert mehr

Müssen wir wirklich all das akzeptieren, nur weil wir nichts bezahlen? In meinem Buch «Klick» habe ich ausgerechnet, dass jeder Nutzer nur 2 Euro pro Monat bezahlen müsste, um Zuckerberg den gesamten Umsatz für Meta zu erstatten. Die Freiheit kostet also weniger als eine Tasse Kaffee im Monat. In einer repräsentativen Umfrage in Deutschland habe ich 2022 gefragt, wie viel die Teilnehmer monatlich bezahlen würden, wenn im Gegenzug die Tech-Firmen ihre persönlichen Daten nicht mehr sammeln und monetarisieren würden. Zu meiner Bestürzung sagten 72 Prozent, dass sie keinen einzigen Euro zahlen würden. Privatheit ist, wie Mark Zuckerberg uns erklärte, kein Wert mehr. Sie ist Vergangenheit – ausser für ihn selbst und die Meta-Manager, die ihr privates Leben abschirmen und mit ihren Angestellten Geheimhaltungsverträge abschliessen. Mündige Bürger und Privatheit passen nicht in das Geschäftsmodell des Überwachungskapitalismus. Roger McNamee, ein früher Facebook-Investor, machte die Lage klar: «You grab your smartphone before you pee in the morning, or while you pee. Those are your only choices.»

Werden wir durch Smartphones dümmer? Nein, nicht durch das Smartphone selbst. Aber das Geschäftsmodell hinter den sozialen Medien kann Menschen verdummen. Es macht viele abhängig und raubt ihnen Zeit, Schlaf und Konzentration. Wenn man einmal die Kontrolle über die eigene Zeit und Aufmerksamkeit verloren hat, wird es schwierig, ein intelligentes und selbstbestimmtes Leben zu führen.

  1. Der Flynn-Effekt beschreibt das Phänomen, dass seit 1950 die Leistung in IQ-Tests Jahr für Jahr anstieg – bis er sich dann umkehrte.

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