
Sicherheitsindustrie in der Sackgasse
Die Politik arbeitet fleissig daran, den Schweizer Rüstungssektor ganz aufzugeben. Das ist fahrlässig.
Der Zerfall war schleichend, aber dramatisch: Nach dem Mauerfall 1989 demontierten linke Politiker und Historiker systematisch das Narrativ der bewaffneten Neutralität, z.B. mit der Bergier-Kommission, die das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg einseitig «aufarbeitete». In der Hoffnung auf Frieden in Europa wurde die Friedensdividende in Sozialkonsum umgeleitet. Armee und Sicherheitsindustrie wurden immer mehr zum Aschenputtel der Politik.
Dramatisch zeigt sich das an der Demontage und Zerstückelung der Ruag. 1998 in einer vom Bund gehaltenen Aktiengesellschaft verselbständigt, eignete sie sich dank Ingenieurwissen und strategischer Positionierung über die Jahre einzigartiges Technologiewissen in Bereichen wie dem F/A-18 oder der Raumfahrt an. Dieses Wissen sicherte die Einsatzbereitschaft der Systeme der Schweizer Armee über auch im Ausland aufgebautes Know-how. Noch wichtiger waren aber einzigartige Technologien, die unserem Land ein Pfand gegen technologische Abhängigkeiten vom Ausland gaben. Leider stellte sich der Schutz gegen Angriffe mutmasslich russischer Hacker 2016 als ungenügend heraus, was vor allem linke Politiker zur Zerschlagung des Konzerns nutzten. Unterstützt wurden sie durch reisserische Berichterstattung des Staatsfernsehens sowie eine in diesem Bereich politisch angetriebene Eidgenössische Finanzkontrolle. War es die Ironie der Geschichte, dass der Verkauf der weltweit führenden Munitionssparte Ammotec von Ruag an einen ausländischen Bieter ausgerechnet in der Frühjahrssession 2022 erfolgte?
Lehrstück Ammotec-Verkauf
Die Transaktion wurde heftig kritisiert. Kritik ist gerechtfertigt – aber sie zielt auf den Falschen: Es waren und sind unsere gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der fehlende politische Mut des Ruag-Eigentümers, der Eidgenossenschaft, die erstens einen Verkauf notwendig machten und zweitens nur einen ausländischen Käufer zuliessen, weil dieser weniger innenpolitischem Druck ausgesetzt ist. Die Fakten zeigen das Dilemma der Ruag, in dem die ganze Sicherheitsindustrie der Schweiz steckt. Die Munitionsherstellung ist in eine europäische Wertschöpfungskette integriert. Pulver und Zündelemente werden aus dem Ausland bezogen. Das Werk in der Schweiz, in Thun, ist aber hochmodern. Es arbeitet ab einer Auslastung von rund 70 Prozent profitabel. Der Regelbedarf der Schweizer Armee sowie der Schützenvereine von 40 Millionen Schuss pro Jahr lastet das Werk aber nur zu rund 30 Prozent aus. Ohne Exporte würde somit nicht nur die Munition für die Schweiz massiv teurer werden, sondern es wären auch keine Investitionen in Innovation mehr möglich.
Innovation zeichnete Ammotec (die heute unter SwissP Defence AG firmiert und zu Beretta gehört) bisher aus – und auch Innovation im Rüstungsbereich kann, wie folgendes Beispiel zeigt, die Welt «verbessern». Das Unternehmen stellte Munition her, bei der Einzelpatronen pro Cachets eindeutig identifizierbar sind. Für korruptionsgeplagte Staaten, in denen die Bevölkerung unter Menschenrechtsverletzungen durch Militärs, Polizei und kriminelle Banden leidet und in denen erstere an letztere illegal Munition verkaufen, wäre solche Munition hilfreich gewesen. Man hätte nachvollziehen können, wer welche Munition illegal verkauft hat, die Schuldigen bestrafen und die Bevölkerung besser schützen können. Allerdings hätte es Bilder von Zivilisten gegeben, die durch Munition der Ammotec zu Tode gekommen wären, und damit auch einen Aufschrei in den Medien. Der Bund als Eigentümer scheute früher diese Reputationsrisiken – heute wäre der Export solcher Munition sogar gesetzlich ausgeschlossen. Die Kritik am Verkauf der Ammotec muss sich also gegen den Bund und das vom Parlament geschaffene Exportkorsett richten.
Mitte 2018 wollte der Bundesrat die Kriegsmaterialverordnung auf Anstoss des Parlaments anpassen: Der Export primär von Verteidigungswaffen sollte unter strikten Bedingungen auch in Ländern mit internem Konflikt zugelassen werden. Damit hätten beispielsweise Flugabwehrgeschütze nach Thailand verkauft werden können. Dort gibt es im Süden einen Konflikt zwischen Buddhisten und Moslems, in dem aber keine Flugabwehrgeschütze eingesetzt werden können. Sie wären vielmehr zum Schutz Thailands gegen seine bedrohlichen Nachbarn vorgesehen gewesen. Zudem wollte der Bundesrat die Aufrechterhaltung einer schweizerischen Industriebasis als eigenständiges Kriterium im Bewilligungsverfahren aufnehmen.
Der Vorschlag löste einen Sturm der Entrüstung aus. Dank professionellem…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1106 – Mai 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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