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Sicherheit wovor und wofür?

Armeediskussion mit Defiziten

Die Schweizer Armee ist zum Problem geworden. Und offenbar steckt mehr dahinter als nur das obligate Sommertheater. Die vom zuständigen Departement mitfinanzierten regelmässigen Befragungen weisen eine zunehmende Distanz, vorab der jüngeren Generation, zu den ehernen Traditionen der allgemeinen Wehrpflicht und des Milizsystems aus. Eine ansehnliche Bevölkerungsminderheit würde eine Berufsarmee vorziehen. Umfragen stellen freilich stets auch ein Spiegelbild der öffentlichen Debatte in Politik und Medien dar. Und hier musste man schon während der mühseligen Armeereform, die nun ihre Kinderkrankheiten kuriert, ein bedenkliches Defizit an fundierter Analyse und strategischer Orientierung feststellen. Der neue Armeechef weist kurzerhand die Zuständigkeit für den Auftrag der Armee der Politik zu und mimt den Soldaten, der diesen Auftrag umsetzt. Und der Verteidigungsminister stellt überraschend die Wehrpflicht zur Diskussion und weist auf die mögliche Alternative einer allgemeinen Dienstpflicht hin, kann dann aber kurz darauf weniger überraschend erklären, dass der Bundesrat an den bestehenden Grundlagen des Wehrsystems festhält. Kein Wunder, dass angesichts der allgemeinen Irritation auf der einen Seite die Hüter der Traditionen zum unreflektierten Widerstand aufrufen und auf der anderen Seite Zweifel, Unsicherheit und Illusionen die öffentliche Meinung prägen.

Dass seit mehr als einem Jahrzehnt die potentielle Bedrohung durch feindliche Armeen im europäischen Raum obsolet geworden ist – zumindest für absehbare Zeit –, ist auch dem einfachen Füsilier, Kanonier und Panzerfahrer längst klar geworden. Nur die Flieger, die Raketenabwehr und die Techniker der elektronischen Kriegführung können noch mit realen Bedrohungsszenarien operieren. Die ter-ror-istischen Bedrohungen sind in militärischen Kategorien allein kaum mehr adäquat zu erfassen und verlangen umfassendere sicherheitspolitische Vorkehrungen auch im polizeilichen und in andern zivilen Bereichen. Die Armee hat aus diesem Grund ergänzende Aufgaben im Bereich der Existenzsicherung erhalten, subsidiär nur, aber mit der paradoxen Konsequenz, dass sie Bewachungsaufgaben – eine ureigene militärische Kompetenz – nur mehr als Hilfstruppe der Polizei wahrnehmen darf. Dass Truppen, die für Kampfaufträge ausgebildet werden sollten, während mehrerer Wiederholungskurse zu Botschaftsbewachungen abkommandiert werden, wird zu Recht als Zumutung empfunden. Solche Einsätze ohne spezifische, professionelle Aus-bildung untergraben letztlich das Selbstbewusstsein und das Ansehen der Armee und ihrer Angehörigen.

Deswegen gleich eine Berufsarmee zu fordern, ist kurzschlüssig. Ihre Aufgabe wäre so unklar wie diejenige der in Frage gestellten Milizarmee, ihr fehlte jedoch deren staatspolitische Legitimation, ihre Kosten-Nutzen-Rechnung wäre ein ständiges politisches Ärgernis, und im militärischen Krisenfall wäre sie mit Sicherheit zu klein. Die für einen Kleinstaat sinnvollere Alternative wäre eine Wehrpflichtarmee, in der das Gros der Truppe seine Dienstpflicht einschliesslich der Kaderausbildung an einem Stück absolvieren und damit eine ständige Bereitschaft der Armee für ihre unterschiedlichen Aufgaben gewährleisten würde. Vergleichbare Länder wie Finnland praktizieren dieses System seit Jahrzehnten erfolgreich. Der alte Verfassungsgrundsatz der Wehrpflicht würde damit beibehalten – und damit der Grundgedanke der Miliz. Die traditionelle Ausgestaltung dieser Wehrform in einem System mit kurzen Unterbrüchen im Berufsleben während mehrerer Jahre entspricht heute weder den Anforderungen des technisch anspruchsvollen Militärhandwerks noch jenen aus der zivilen Tätigkeit. Der Milizgedanke muss in der Armee ebenso wie in Politik und Gesellschaft neu interpretiert werden. Das Nebeneinander verschiedener Aktivitäten beeinträchtigt schon jetzt die Auswahl der fähigsten Leute und führt zu Überforderungen oder Dilettantismus.

Die Armeereform hat zwar Konsequenzen dieser Entwicklung berücksichtigt, indem sie die Bestände noch einmal verkleinerte und die Dienstpflicht verkürzte. Den politisch heiklen Systemwechsel hat sie jedoch nicht gewagt, ein «Durchdienermodell» als Alternative nur halbherzig und in engen Grenzen vorgesehen. Nun hat der Bundesrat zwar Korrek-turen am noch pannenanfälligen Reformmodell beschlossen. Doch werden dessen Strukturen damit eher noch kompliziert statt vereinfacht. Der Weg zu einer kleineren, professionelleren Armee ist mit der letzten Reform zweifellos noch nicht abgeschritten.

Und die Verunsicherung bleibt bestehen. Wofür wir eine Armee überhaupt brauchen, müsse die Politik entscheiden, wird dringlich gefordert. Man will endlich Klarheit haben, wie wir unsere Sicherheit nach aussen und im Innern schützen wollen. Wovor und wofür? Auch die klügste Sicherheitspolitik kann die Ungewissheit künftiger Entwicklungen nicht aus der Welt schaffen; die Prioritäten können sich jederzeit ändern. Wir sollten uns damit vertraut machen, dass wir eigentlich eine Unsicherheitspolitik bräuchten, die alle Entwicklungen und Bedrohungen laufend analysiert und die eigenen Möglichkeiten und Chancen evaluiert. Dafür braucht es jedoch geeignete strategische Instrumente in der Hand der Regierung und der militärischen Führung. Die Politiker – die das Hier und Heute im Blickfeld haben – sind für diese Aufgabe nicht geeignet.

Ulrich Pfister, geboren 1941, ist Publizist in Zürich.

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