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Sicherheit durch Kooperation

Was bringen der Schweiz internationale Kooperationen im Bereich der Sicherheitspolitik? Was können sie nicht bringen? Und wie sind sie mit der Neutralität vereinbar?

Erinnern Sie sich an Aremorica? Das kleine, gallische Dorf, die Heimat von Asterix und Obelix, das allein der römischen Übermacht trotzte und zugleich keinen Aufwand scheute, innere Zerwürfnisse in vollen Zügen auszutragen? Oft lieferte der Fisch bzw. dessen Frische den auslösenden Moment für solche inneren Kämpfe, bei denen am Schluss alle ermattet am Boden lagen, in vollem Bewusstsein darüber, dass es mit Sicherheit weitere Dispute geben würde. Der Fisch hatte sich mit der Zeit zu etwas Identitätsstiftendem für diese kleine Gemeinschaft entwickelt.

Die Schweiz ist weltweit das Land, das am besten das Bild dieses kleinen gallischen Dorfes verkörpert, wenn auch ihr Verhältnis zur Neutralität nicht ganz so irrational wie der Umgang der Gallier mit dem Fisch ist. Und dennoch: Neutralitätsdebatten weisen etwas hochgradig Repetitives auf und die meisten Protagonisten sehen darin eine Möglichkeit, ihre immerwährenden Wahrheiten ein weiteres Mal in den Ring der politischen Debatte zu werfen. Somit lässt sich durchaus sagen: So wenig wie eine Schlägerei im Dorf von Asterix und Obelix ohne Fisch möglich war, so wenig denkbar ist eine aussen- oder gar sicherheitspolitische Diskussion in der Schweiz ohne Rückgriff auf die Neutralität.

Diese war für die Schweiz stets ein Mittel zum Zweck: Sie sollte den Zusammenhalt und die Unabhängigkeit der Schweiz zu einer Zeit gewährleisten, als Europa durch kriegerische Auseinandersetzungen geprägt war und die verschiedenen Sprachgruppen des Landes auch unterschiedliche Sympathien für die Kriegsparteien hegten. Dass die Neutralität in der Schweiz wie in keinem anderen Land zum Bestandteil der nationalen Identität geworden ist, rührt allerdings auch daher, dass sie über die Jahre hinweg als Projektionsfläche für sehr verschiedene politische Anliegen diente1Der Reigen an Exegesen reichte von einer integralen (heute würde man sagen: fundamentalistischen) Interpretation eines Max Petitpierre zu Beginn des Kalten Krieges bis zur aktiven (um nicht zu sagen: aktivistischen) Neutralität einer Micheline Calmy-Rey im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. Entsprechend variierten die aus der Neutralität abgeleiteten Handlungsempfehlungen von der diplomatischen Schockstarre bis zum manchmal etwas forciert wirkenden Einsatz für das Gute in der Welt.

Neutralität als Recht zum Nichtkrieg mit wirtschaftlichem Nutzen

Die Neutralität hatte einen wirtschaftlichen Nutzen. Denn sie erlaubte es der Schweiz, auch in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen wirtschaftliche Beziehungen mit möglichst vielen Akteuren aufrechtzuerhalten. Auch die humanitäre Politik der Schweiz gründete auf der Neutralität, teils weil sie diese zur Kompensation ihres fehlenden kriegerischen Engagements pflegte, teils weil die Unparteilichkeit der Schweiz das Erbringen humanitärer Leistungen erleichterte. Allerdings ist auch humanitäre Politik letzten Endes nie wirklich neutral, zumal dann, wenn sie im Ausland erbracht wird. Sie begünstigt dort immer denjenigen Akteur, der die jeweilige territoriale Kontrolle innehat. Schliesslich haftete der Neutralität auch etwas Progressives, ja gar Revolutionäres an: In einer Zeit, in der Kriege nicht nur erlaubt, sondern auch als ehrenhaft betrachtet wurden, verkörperte sie ein Recht zum Nichtkrieg oder auf «Gewaltabstinenz».2

Sicherheitspolitisch stand die Neutralität immer in Konkurrenz mit zwei weiteren Instrumenten: der kollektiven Verteidigung (Militärbündnisse) und der kollektiven Sicherheit. Das erste Verhältnis war stets klar und ausschliessend: Ein Land kann nicht zugleich versprechen, sich in einem allfälligen militärischen Konflikt zwischen zwei Parteien jeglicher Unterstützung zu enthalten, und zugleich einer Partei seine Solidarität zusagen. Somit kann ein neutraler Staat nicht auch Mitglied eines Militärbündnisses wie etwa der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation (Nato) sein. Das zweite Verhältnis ist komplexer und hat sich über die Jahre hinweg gewandelt: Alle Staaten, also auch neutrale, profitieren von einer funktionierenden Organisation kollektiver Sicherheit. Diese gewährleistet auch deren Sicherheit. Es liegt somit in deren Interesse, diese Organisation zu unterstützen. Funktioniert eine solche Organisation jedoch schlecht, kann sie für neu­trale Staaten zu einer doppelten Hypothek werden: Erstens wird deren Sicherheitsgarantie in Frage gestellt und zweitens kann die Unterstützung der Organisation in einem Konflikt als parteiisch angesehen werden. Der Völkerbund geriet in der Zwischenkriegszeit in eine solch prekäre Lage, die den Rückzug der meisten neu­tralen Staaten zur Folge hatte. Geprägt durch diese Erfahrung verhielt sich die Schweiz anfänglich sehr skeptisch gegenüber den Vereinten Nationen (UN). Deutlich später als alle anderen europäischen neutralen Staaten trat sie erst nach dem Ende des Kalten Krieges bei.

In welchen Organisationen die Schweiz dabei ist und warum

Im Vergleich zu dieser langen Skepsis der UN gegenüber beschloss die Schweiz in den 1990er Jahren erstaunlich schnell und ungestört von jeglicher öffentlichen Diskussion ihre Mitwirkung am Programm «Partnerschaft für den Frieden» (PfP) und am «Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat» (EAPC) der Nato. Weil es sich nicht um eigentliche Beitritte handelte, waren dafür keine Volksabstimmungen notwendig. Der UN-Beitritt bedingte demgegenüber eine Zustimmung von Volk und Kantonen. Die Mitwirkung in den beiden Nato-Foren bringt der Schweiz vor allem eine bessere Vernetzung und Informationen. Als Preis könnte man die neutralitätspolitisch nicht ganz unbedenkliche Nähe zu einem Militärbündnis bezeichnen, die bisher jedoch weder innen- noch aussenpolitisch negativ aufgefallen ist.

Massgeschneidert auf die Interessen und Möglichkeiten der Schweiz ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Ihre Kernziele des Austausches und der Vertrauensbildung in den Bereichen der Sicherheit und der Menschenrechte passen perfekt zu den aussenpolitischen Zielen der Schweiz. Alle euroasiatischen Länder gehören ihr an und Entscheidungen können nur im Konsens gefällt werden. Das kann rasches Reagieren erschweren, stellt aber im Gegenzug die Einbindung sämtlicher Länder sicher. In den Jahren 1996 und 2014, als politisch äusserst sensible Fragen anstanden, übernahm die Schweiz den Vorsitz der Organisation. Vor allem in der Ukraine-Krise während ihres zweiten OSZE-Vorsitzes konnte die Schweiz ihre Erfahrungen als umsichtige Vermittlerin zur Geltung bringen. Dass sie weder der EU noch der Nato angehörte, war in diesem Fall sogar von Vorteil. Bei aller Tragik der Entwicklungen vor Ort ermöglichte es der eskalierende Konflikt der Schweiz, ihre Stärken unter Beweis zu stellen. Es zeigte sich, dass die neutrale Schweiz durch internationale Kooperation auch jenseits von Image-Überlegungen einen Beitrag zur Sicherstellung ihrer aussen- und sicherheitspolitischen Interessen leisten kann.

Die UN und die OSZE bieten den dafür geeignetsten Rahmen: Erstens sind in diesen beiden Organisationen die Kompetenzen der Schweiz im Bereich der zivilen Friedensförderung am meisten gefragt. Zweitens bilden beide Organisationen weder aufgrund ihrer Zusammensetzung noch aufgrund ihrer Zielsetzungen Herausforderungen für die Neutralität der Schweiz. Dies gilt auch im Hinblick auf eine mögliche Mitwirkung der Schweiz im UN-Sicherheitsrat: Internationale Interventionen, selbst militärischer Art, sind gemäss Völkerrecht keine kriegerischen Handlungen, sondern internationale Polizeieinsätze zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit. Neutrale Staaten haben aufgrund ihrer Geschichte ein besonders starkes Interesse an einer funktionierenden kollektiven Sicherheit. Zudem sind sie aufgrund ihrer Unparteilichkeit und ihrer ausgeprägten Sensibilität gegenüber militärischer Gewalt dem Ansehen und der Legitimität dieses Gremiums zuträglich.

Neutralität mit Nutzen

Die Neutralität verlangt von der Schweiz kein Abseitsstehen von der Staatengemeinschaft. Im Gegenteil: sie ist als Konzept in dieser Gemeinschaft begründet. Schliesslich kann ein Staat nicht mit sich selber neutral sein. Wenn Staaten historisch gesehen die Neutralität als sicherheitspolitische Orientierung respektiert hatten, geschah dies auch deswegen, weil sie sich davon einen Nutzen erhofften. Neutrale Staaten wirkten als Vermittler, ermöglichten Zusammentreffen von Konfliktparteien, erbrachten humanitäre Leistungen.

Diese Leistungen haben seit dem Ende des Kalten Krieges enorm an Bedeutung gewonnen und bilden wichtige Bestandteile der heutigen internationalen Friedensförderung. Die Schweiz ist etwa in der internationalen Mediation, in der Aufarbeitung der Vergangenheit nach Gewaltkonflikten oder auch in der Förderung guter Verhaltenspraktiken von Wirtschaftsunternehmen in Konfliktgebieten stark involviert. Sie nimmt diese Rollen sowohl auf zwischenstaatlicher Ebene, in Kooperation mit nichtstaatlichen Akteuren, aber eben auch im Rahmen internationaler Organisationen wahr. Im Rahmen der UN unterstützt sie die Koordination und Bereitstellung von Mediatorinnen und Mediatoren und den Genfer Vermittlungsprozess im syrischen Bürgerkrieg. In der zivilen Friedensförderung hat die Schweiz die grössten komparativen Stärken aufzuweisen.3

Diese Leistungen und die mit ihnen verbundenen Kooperationen sind mit der Neutralität nicht nur kompatibel, sondern sie stärken sogar deren Ansehen. Um zur Eingangsmetapher zurückzukehren: Es wäre bedauerlich, falls die Schweiz in ihrem erfolgreichen Engagement von stinkenden Fischen eingeholt würde. Allerdings werden wie im kleinen gallischen Dorf Aremorica wohl auch hierzulande dazu noch einige Schlägereien ausgefochten bzw. Diskussionen geführt werden.

  1. Georg Kreis: Kleine Neutralitätsgeschichte der Gegenwart. Bern: Haupt, 2004.

  2. Daniel Frei: Neutralität − Ideal oder Kalkül? Zweihundert Jahre aussenpolitisches Denken in der Schweiz. Frauenfeld: Huber, 1968.

  3. Thomas Greminger: Swiss Civilian Peace Promotion: Assessing Policy and Practice. Zürich: Center for Security Studies (CSS) und ETH Zürich, 2011.

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