Showcase 2: Oris behauptet sich mit «High Mech»
Ein Unternehmen, das ausschliesslich mechanische Uhren produziert? Das ist kein Anachronismus – und es ist gewollt. Die Uhrenmanufaktur aus dem baslerischen Hölstein behauptet sich im internationalen Markt. Wie kann das gehen?
Ende Juni ist auf dem Militärflugplatz bei Ambri ganz schön was los: Es dröhnen die Motoren. Elegante Doppeldecker und schnittige Pilatus-Flugzeuge aus Stans sowie imposante Hunter Jets bringen an einem Sommerwochenende die Gäste in schwindelerregende Höhen. Oris Aviators Academy – so der Titel des exklusiven Anlasses für Vertriebspartner aus Dutzenden von Ländern. Der CEO und VR-Präsident des Schweizer Uhrenherstellers Oris, Ulrich W. Herzog, kümmert sich persönlich und während mehrerer Tage um seine internationale Gästeschar, die in die Schweiz gekommen ist, um die neuste Uhrenkollektion unter die Lupe zu nehmen. Diese schnörkellose Frontarbeit, dieses Anpacken vor Ort ist typisch für den vor Energie strotzenden, 72jährigen Herzog.
«High Mech» aus Überzeugung
Oris hatte schon immer ein Flair für die Fliegerei. Das neuste Modell, die Big Crown ProPilot Calibre 111, ist gemacht für Piloten und Reisende, die zwischen den Zeitzonen fliegen. Der gewählte Rahmen auf dem Militärflugplatz von Ambri für die Präsentation des neusten Bijous aus dem Hause Oris passt deshalb. Doch das Unternehmen hat im Verlaufe seiner Geschichte nicht nur Höhenflüge erlebt. Seit 111 Jahren produziert es funktionale und präzise Zeitmesser – nicht immer mit geschäftlichem Erfolg. Nach unsicheren Jahren während der Schweizer Uhrenkrise haben erst ein Management-Buy-out in den 1980er Jahren und die Ausrichtung auf mechanische Uhren dem Unternehmen Aufwind gegeben. «High Mech» statt «High Tech» heisst der Werbeslogan des Unternehmens, der dem Erfolg zugrunde liegt.
Zukunft selbst in die Hand genommen
Oris, 1904 gegründet, brachte es Mitte der 1960er Jahre auf über 1000 Mitarbeitende in vier Produktionsbetrieben. Das Unternehmen stand dennoch lange im Schatten der konkurrierenden Uhrenhersteller aus den traditionellen Uhrenregionen in der Romandie ennet dem Röstigraben. Mit der Krise der Schweizer Uhrenindustrie in den späten 1970er Jahren kam fast das Aus für das traditionsreiche Unternehmen aus dem beschaulichen Waldenburgertal in Baselland. Die Firma verschob ihre Produktion in Richtung billiger Quarzuhren, dennoch musste sie innert kürzester Zeit zahlreiche Entlassungen aussprechen. Die Rettung nahte Anfang der 1980er Jahre. Dr. Rolf Portmann vollzog zusammen mit dem 1978 als Marketingleiter zu Oris gestossenen Ulrich W. Herzog 1982 einen Management-Buy-out und löste Oris aus der ASUAG-SSIH Holding, der Vorläuferin der heutigen Swatch Group. Zusammen mit einer Belegschaft von vierzig Mitarbeitenden ebnete er den Weg in eine Zukunft, die das in Schieflage geratene Unternehmen laut damaligen Branchenkennern schon gar nicht mehr hatte.
Lange bevor andere Uhrenproduzenten auf die Manufaktur rein mechanischer Uhren setzten, wagte Oris den Einstieg in dieses Feld. Die riskante Strategie zahlte sich bald aus, zumal das wiedererwachte Interesse an mechanischen Uhren den Absatz mehr und mehr anfeuerte. Heute beschäftigt die Oris Group rund 140 Mitarbeitende weltweit und ist mit Niederlassungen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Grossbritannien, China, Taiwan, Singapur, Malaysia, den USA, Kanada, Australien, Indien und Mexico direkt vertreten und überdies auf allen Kontinenten aktiv.
Uhren für vier «Welten»
Ulrich W. Herzog und ein gewichtiger Teil des Oris-Managements sind im Flughafen von Ambri zugegen, dazu noch zehn Piloten, welche in einem Fliegerbriefing die Gäste betreuen und mit in die Luft nehmen. Alles wirkt sehr professionell und doch ist die Stimmung locker. «Der Aufwand für solche Events ist beträchtlich», bemerkt der CEO. Dieser sei aber durchaus gerechtfertigt, zumal die Big-Crown-Serie, die Fliegeruhren, mehr als einen Viertel des Oris-Umsatzes ausmachten. Stark vertreten ist das Unternehmen mit ebenfalls rund einem Viertel Umsatzanteil im Formel-1-Autoumfeld. Weitere Themen besetzt Oris im Kulturbereich, insbesondere im Jazz, sowie in der Tauchwelt. Mit geschätzten zehn Millionen Franken pro Jahr ist der Werbe- und Sponsoringaufwand für ein KMU vom Kaliber Oris’ bemerkenswert hoch.
Es sind vorwiegend maskuline Themen, die Oris besetzt. Das ist kein Zufall: Der typische Oris-Kunde ist männlich, zwischen 25 und 40 Jahre alt und verfügt über ein mittleres Einkommen. Die Preise oszillieren zwischen 1000 und 6000 Franken, doch werden von Zeit zu Zeit weit teurere Uhren als Spezialeditionen auf dem Markt angeboten. Oris produziert nach eigener Aussage «real watches for real people» und verzichtet weitgehend auf Berühmtheiten aus dem Sport- und Showbusiness für die Vermarktung seiner mechanischen Uhren. Dazu Herzog: «Wir konzentrieren uns auf die vier Themenfelder Motorsport, Fliegerei, Kultur und Tauchsport. Hier bieten wir solide mechanische Uhren an, die einen hohen Anspruch punkto Funktionalität und Design zu vernünftigen Preisen erfüllen. Hier sind wir stark und sehen für uns die besten Wachstumsmöglichkeiten.»
Der CEO des inhabergeführten Unternehmens redet nicht gerne über Zahlen, verrät aber immerhin so viel: «Bis 2008 betrug unser jährliches Umsatzwachstum 15 bis 20 Prozent, nach einem Zwischentief nach der Finanzkrise 2009 sind wir nun wieder im Wachstumsmodus.»
Reale Werte in einer digitalen Welt
Bis der Erfolg einkehrte, mussten Herzog und seine Partner viel unternehmerisches Risiko auf sich nehmen. Der gelernte Bankkaufmann durchlief zunächst eine Karriere bei Chevron Oil, wo er das «Branding» von der Pike auf lernte, und landete schliesslich 1978 als junger Marketingmanager bei Oris. Hier entdeckte er seine Liebe «für die faszinierende Welt der Uhren», wie er es ausdrückt. Er kam zu einer Zeit in die Uhrenbranche, als bereits dunkle Wolken den Horizont trübten. So war es für ihn eine Herzensangelegenheit, das Unternehmen zusammen mit weiteren Weggefährten aus dem Oris-Management in ein anderes Fahrwasser zu führen.
Der Entscheid, künftig auf mechanische Uhren zu setzen, war zu jener Zeit kühn. Herzog und der damalige Präsident des Unternehmens, Rolf Portmann, glaubten an den emotionalen Mehrwert rein mechanischer Uhren. Zwei Banken, die damalige SBG und die Basler Kantonalbank, konnten die neuen Eigentümer davon überzeugen, dass das vorhandene Know-how im Unternehmen erfolgversprechend sei. Das Geld floss, auch das eigene, die Partner übernahmen die Firma und positionierten sie neu.
Routine ist der Tod
Heute besitzen insgesamt 16 Shareholders das Unternehmen. Für den CEO und Verwaltungsratspräsidenten in Personalunion hat sich das Risiko gelohnt: «Oris hat eine reiche, über 100jährige Geschichte, die nun fortgesetzt wird. In einer Welt, die zunehmend digitaler wird, ist die Nachfrage nach realen Produkten tendenziell wachsend. Darauf bauen wir.»
Der ehemalige Offizier der Schweizer Armee, der keine klassische Managerausbildung durchlaufen hat, packt seine Aufgaben stets mit pragmatischem Elan an. Er setzt Kaizen als betriebliches Kontrollinstrument ein, in welchem alle Produktionsschritte minuziös aufeinander abgestimmt und optimiert sind, und schwört auf den Leitsatz: «Routine bedeutet langfristig den Tod!» Dass keine Routine einkehrt, dafür sorgt der Chef mit seinen ambitiösen Vorgaben selbst: «Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jedes Jahr ein Patent anzumelden. Bislang ist uns das in den letzten acht Jahren stets gelungen.» Gerade ein kleines oder mittleres Unternehmen müsse sich auf dem Pfad der Innovation stets vorwärtsbewegen, das sei die einzige Überlebenschance.
Sein Verständnis für Qualität, für die sprichwörtliche Schweizer Qualität, ist differenziert: «Es geht um die Grundhaltung aller Mitarbeitenden. Bei Oris steht die Idee am Anfang und dann deren Verwirklichung mit konkreten Zielen. Dann folgt die Durchsetzungskraft unseres Unternehmens, das sehr beharrlich und zuverlässig arbeitet. Hier kommen durchaus Schweizer Urtugenden zum Tragen. Und schliesslich, wenn operativ die richtigen Pflöcke eingeschlagen sind, richten wir unsere Strategie individuell nach den verschiedenen Ländern. Das ist wichtig, um sich nicht unnötig zu verzetteln.» In China habe Oris zum Beispiel zu Beginn wenig Erfolg gehabt, trotz einer intensiven Marktbearbeitung während mehr als zwölf Jahren. Erst mit der Eröffnung einer eigenen Firma in China vor acht Jahren habe sich der Markt für Oris geöffnet.
Der Aufwand hat sich gelohnt, mittlerweile generiert Oris rund fünfzig Prozent seines Umsatzes in Asien. Die angebotenen Uhren, im mittleren Preissegment positioniert, passen ideal zur wachsenden Mittelklasse in diesen Ländern. Trotz der fortschreitenden Internationalisierung produziert die Baselbieter Uhrenfirma weiterhin in der Schweiz. Die Entwicklung, das Design und die Qualitätskontrolle sind in Hölstein, Baselland, konzentriert. Oris entwickelt, wie schon zu den Anfängen, mittlerweile wieder eigene Uhrwerke mit innovativen Zusatzfunktionen. Das ist eine Praxis, die sich bislang gelohnt hat, zumal sich dadurch die Abhängigkeit von Dritten reduziert. Ulrich W. Herzog will seine Marke schrittweise etwas höher ansiedeln: «Wir sehen auch in höheren Preissegmenten Wachstumschancen, aber nur dann, wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.» Oris tickt auch hier beständig weiter. Im Steigflug.